David Signer

Die Ökonomie der Hexerei


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in den Stimmen und Gesichtern der Afrikaner. Oder wenigstens moralischen Vorbehalten. Keine Spur.

      Schließlich fragte einer von uns Europäern: „Und da findet niemand etwas dabei, dass der Bischof eine sechzehnjährige Freundin hat?“

      Ich weiß nicht einmal, ob die anwesenden Afrikaner die Anklage, das Moment der Übertretung in dieser Frage wirklich heraushörten. Eher war es so, dass wir, weil es schließlich ein „Bischof“ war, eine Übertragung vornahmen von unseren Bischöfen auf diesen Bischof, uns durch den Gleichklang der Wörter irreführen ließen und automatisch annahmen, die Afrikaner würden alle ethischen Implikationen dieses Wortes mit uns teilen. Auf jeden Fall folgte als Antwort der Afrikaner eine längere Erklärung über power und to share the power, die man etwa folgendermaßen zusammenfassen kann:

      „Der Bischof ist stark. Er verfügt über spirituelle, religiöse, in gewisser Hinsicht politische und auch finanzielle Stärke/Kraft/Energie/ Macht.“ (Das Gespräch wurde auf Englisch geführt, der Begriff power war zentral darin mit seinen Bedeutungen, die sich im Deutschen nur auf mehrere Wörter aufgefächert wiedergeben lassen). „Der Bischof ist eine öffentliche Person; er ist für die Gemeinschaft seiner Gläubigen da, er ist wie ihr Vater. Er lässt sie teilhaben an seiner Kraft. Es ist wichtig, dass er stark ist; dadurch ist auch unsere Kirche mit ihren Mitgliedern stark. Dass auch eine Frau etwas von ihm hat, ist nur normal. Sie hat erst Arbeit gefunden bei ihm, ein Einkommen, mit dem sie ihre Familie unterstützen kann, und jetzt hat sie auch teil an seinen anderen Vorteilen. Wenn jemand reich ist, dann kann er auch mehrere Frauen unterstützen, und dann soll er viele Kinder haben. Sie alle können leben durch ihn. Er hat ein großes Haus, das vielen Platz bietet. Und wenn viele da sind, ist es nur richtig, dass er sein Haus vergrößert oder ein zweites baut. Ein weites, schützendes Dach für seine Herde. Indem er verteilt, vermehrt er seine Kraft. Wer gibt, dem wird gegeben werden.“

      Wie gesagt, trug sich diese Geschichte vor etwa zwanzig Jahren zu. Ich dachte in dieser Zeit kaum an sie, aber jetzt, während meines Forschungsaufenthaltes in der Elfenbeinküste, kam sie mir wieder in den Sinn und beschäftigt mich seitdem, weil sie mir fast die Quintessenz dessen auszumachen scheint, was die Europäer von den Afrikanern, oder die Christen/Monotheisten von den Heiden/Polytheisten unterscheidet:

      In Afrika ist die Moral der power nicht entgegengesetzt, sondern folgt ihr. Der Erfolgreiche ist ein Muster des richtigen Lebens. Infolgedessen gibt es nicht – wie in unserer Kultur – ein Ressentiment des Unterlegenen und ein Schuldgefühl des Überlegenen, gibt es keine Idealisierung – wie bei uns – von Schwäche, Leiden, Armut, Krankheit, Ehelosigkeit, Einsamkeit, Ungebildetheit, Machtlosigkeit, Wahnsinn, Verzweiflung, Trauer, Verkanntheit, Außenseitertum, äußerlicher Unansehnlichkeit (versus innerer Schönheit), sogar des Selbstmordes und des Todes selbst, gibt es keine Verneinung oder Herabsetzung des Lebens zugunsten eines Jenseits‘ oder einer Transzendenz, kurz: keine „Sklavenmoral“ im Sinne Nietzsches. Der Antagonismus von Stärke und Moral dürfte eines der Kennzeichen unserer christlichen Kultur sein, das das eigentliche Christentum überdauert hat und fortwirkt in Leuten wie mir und den so genannten Entwicklungshelfern, die wir uns nicht allzusehr als „Christen“ verstanden und trotzdem in einer typisch abendländischen Art auf den Bischof reagierten. Wir partizipierten nicht, durch ihn, an seiner „Potenz“; wir stellten sie in Frage oder in ein schiefes Licht. In Afrika gibt es diesen moralischen Vorbehalt gegenüber Reichtum, Macht, Stärke, Potenz, Intelligenz, Wissen, Schönheit und Kinderreichtum nicht. Stärke ist gut, und zwar „gut“ in der ganzen Bandbreite seiner Bedeutung. Bei uns hat die Einstellung, dass der, der keine Macht hat, dafür die Moral für sich beanspruchen kann, über die eigentlich christliche Sphäre hinaus unzählige Diskurse geprägt: Die kritischen Diskurse der oppositionellen Politik, der Intellektuellen, des Journalismus, der Revolution, bis zur Psychoanalyse (die daraus ihre „subversive“ Kraft bezieht, aber vielleicht auch diesen etwas melancholisch-fatalistischen Tonfall, wenn sie von kulturell notwendigem Triebverzicht spricht, von Unbehagen, gemeinem Leiden, Todestrieb, Kastration und unvermeidlichem Mangel). Möglicherweise nähert sich diese Epoche dem Ende; der Begriff der Kritik wird heute selber kritisiert, und was man Postmoderne nennt, ist vielleicht tatsächlich das Ende des Monotheismus (der in Form verschiedener Mono-Ideologien den Tod Gottes noch etwas überlebte) und der Anfang eines neuen Polytheismus, mit allen psychischen Implikationen. Die unzählbaren Richtungen, Götter und Geister der Esoterik können als Zeichen dafür gelesen werden.

      Damit ist auch bereits die Grenze dieser Gegenüberstellung von afrikanischem Polytheismus mit seiner Wertschätzung der Stärke und abendländischem Monotheismus mit seiner moralischen Idealisierung der Schwäche angezeigt. In der Realität lässt sich die Grenze zwischen diesen Auffassungen nicht geografisch ziehen. Aber als Modell erlaubt es doch, im Umweg über das Andere am Eigenen einiges schärfer zu sehen.

      In diesem „heidnischen“ Modell also – um zusammenzufassen – gibt es keine moralische Herabsetzung des geglückten, glücklichen Lebens. Dadurch gibt es aber auch nichts, was den Neid leichter erträglich machen oder abwehren würde. Wenn ich den Erfolg des andern nicht entwerten kann, im abendländischen Sinne von „Seine Trauben, die ich selbst nicht habe, sind sowieso sauer“, dann möchte ich teilhaben am „Gut meines Nächsten.“ In diesem Sinne wäre die christliche Moral und Metaphysik mit ihrer Relativierung des physischen Glücks eine Medizin gegen den unerträglichen Neid, gegen den quälenden Wunsch nach dem, was der andere hat und ich nicht; eine Untersagung der schrankenlosen Übertragungen und Übertretungen. Eine Rezeptur auch gegen das Gespenst der Hexerei, wie noch zu zeigen sein wird; Rezeptur, die vielleicht sogar nebenbei den Kapitalismus mit ermöglicht hat, der nur mit einer gewissen Gier- und Neidkontrolle funktioniert, mit einer Legitimierung des nichtgebenden Habens, mit der Aufrichtung von unpassierbaren psychoökonomischen Schranken zwischen den Individuen. Vielleicht erklärt das auch den Widerspruch, dass es gerade unsere Kultur, in der der weltliche Erfolg so herabgesetzt wurde, zu einem solchen Erfolg gebracht hat; aber das ist eine andere Geschichte.

      Um vorerst auf den potenten Bischof zurückzukommen: Warum brauchte es diese Nachträglichkeit von zwölf Jahren, bis diese Geschichte in meiner bewussten Psyche ihre Wirkungen entfaltete? Dazu möchte ich nun die zweite Geschichte erzählen.

      Es ist die Geschichte eines Schweizer Agronomiestudenten, der in der Elfenbeinküste ein zweimonatiges Praktikum absolvierte. Zu diesem Zweck lebte er einige Wochen in einem Dorf, wo Jamsknollen angepflanzt wurden, deren Lagerung mit seiner Hilfe verbessert werden sollte. Eines Abends wurde ein Fest gegeben. Und was ihm da widerfuhr, erzählte er mir:

      Zwei Kollegen aus dem Dorf kamen am frühen Abend mit einem Mädchen zu meinem Haus, stellten es mir vor und sagten: „Willst du sie?“

      Ich war verwirrt und fragte: „Was heißt das – willst du sie?“ Sie lachten und sagten: „Wenn sie dir gefällt, kannst du heute abend mit ihr tanzen.“

      Ich sagte: „Gut, ich tanze gerne mit ihr, aber mehr nicht. Ich habe eine feste Freundin in der Schweiz, in drei Wochen werde ich zurückkehren, ich habe keine Lust auf ein Abenteuer.“

      Sie sagten: „Gut, um zehn Uhr holen wir dich ab.“

      Sie kamen, wir gingen zum Fest, ich tanzte mit dem Mädchen, aber es war etwas langweilig, sie sprach kaum Französisch, war auch gar nicht gesprächig und schien mir eher desinteressiert und abwesend. So verabschiedete ich mich gegen Mitternacht und legte mich schlafen.

      Am nächsten Morgen wurde ich durch Klopfen an meiner Tür geweckt. Die Delegation vom Vorabend stand wieder vor meinem Zimmer, dieses Mal allerdings ohne das Mädchen.

      „Warum hast du das Mädchen einfach stehen lassen?“, fragten sie. „Hat sie dir nicht gefallen?“

      Sie waren recht aggressiv und ich war zu verwirrt, um überhaupt richtig zu antworten. Zuerst meinte ich noch, sie scherzten, aber ihre Empörung über mein Benehmen war echt. Ihre Anklagen wurden immer heftiger und gipfelten schließlich in der Aussage:

      „Sie hat dir nicht gefallen, weil sie schwarz