magert ab. Sie hat mehrere Kinder gehabt, aber die Ehe ging in Brüche. Ihr Mann ist tot.“
Nun: Diese Beschreibung passte nicht auf Nadja, hingegen sehr wohl auf meine Großmutter, die eine große Bedeutung in meiner Biografie hatte, weil ich zum Teil bei ihr aufwuchs. Sie war tatsächlich seit etwa zwanzig Jahren Diabetikerin, stark abgemagert in den letzten Jahren, Mutter von fünf Kindern und geschieden. Nur eine Aussage stimmte nicht: Ihr Ex-Mann lebte immer noch.
Nach meiner Rückkehr in die Schweiz fragte ich meine Mutter, wie es ihr zu dieser Zeit gegangen sei.
Sie berichtete von ihrer äußerst schlechten Verfassung: Sie war krank gewesen und hatte, nach ihrer eigenen Aussage, die größten Schmerzen ihres Lebens erlitten. Hinzu kam, dass sich der Todestag ihres geliebten Bruders, der unter tragischen und gewaltsamen Umständen ums Leben gekommen war, gerade zum zehnten Mal gejährt hatte und sie intensiv an ihn gedacht und um ihn getrauert hatte. Dann hatte eine ihr nahe stehende Person sie verärgert und enttäuscht, was zusätzlich zu Herzproblemen führte. Es war, wie man sagt, tatsächlich „alles zusammengekommen“. Vor allem aber, und das scheint mir in diesem Zusammenhang besonders interessant, berichtete sie, sie hätte geträumt, ihr Vater – also der Ex-Mann meiner besagten Großmutter – sei gestorben, so wie das Coulibaly gesagt hatte. Tatsache war, dass der Mann zu diesem Zeitpunkt für eine Operation im Spital lag.
Ich sagte Coulibaly, dass es sich bei seiner Weissagung offensichtich um meine Großmutter handle. Er schlug vor, ihr einen Zaubertrank zu brauen, der ihr den Gatten zurückhole. Ich sagte ihm, dass sich meine Großmutter erstens weigern würde, so etwas zu trinken, und dass sie froh sei, wenn der Mann nie mehr zurückkomme.
Er warf ein weiteres Mal Muscheln und Münzen und sagte mir, ich müsse mir zu meinem Schutz und Glück einen Silberring kaufen.
Noch ein Wurf.
„Vor deinem Studium hast du im öffentlichen Bereich gearbeitet. Dann hast du Streit mit jemandem bekommen und bist von dort weggegangen.“
„Es ist richtig, dass ich vor meinem Studium anderthalb Jahre bei einer Zeitung gearbeitet habe. Ich bin allerdings nicht wegen Streit dort weggegangen. Es gab jedoch tatsächlich einen Chef, von dem ich mich nicht sehr geschätzt fühlte. Wäre das nicht gewesen, wäre ich vielleicht länger geblieben.“
„Ein kleiner, dicker, älterer Mann ist gegen dich. Du kennst ihn schon länger. Ihr seid zusammen gereist. Es gibt Streit mit ihm wegen Geld. Ich werde ein Ei präpieren, das du bei Sonnenuntergang auf einer viel begangenen Straße zerschlagen musst, ohne dass es jemand sieht.“
Dann wandte er sich Nadja zu.
Er sagte ihr voraus, sie werde eine Tochter und einen Sohn haben. Dann: „Du hast drei Schwestern und zwei Brüder.“
„Nein. Ich habe eine Schwester und einen Bruder.“
Er warf die Muscheln abermals und sagte:
„Das ist nicht möglich. Du hast nur einen Bruder?“
„Ja.“
„Ein Bruder ist gestorben. Seine Krankheit begann im Kopf.“
„Ja, das stimmt. Ich habe ihn vergessen. Er ist kurz nach der Geburt gestorben.“
„Du träumst oft davon, dass du mit David schläfst. Es ist aber in Wirklichkeit ein Geist, der sich als David ausgibt. Du hast bis jetzt nicht viel Geld. Du brauchst eine goldene Halskette, das wird dir Glück bringen. Du hast eine Maschine nicht gekauft, die du kaufen wolltest vor der Abreise. Du musst hundert Kauris darbringen, dann wird es ein gutes Jahr werden.“
Dann fragte Nadja nach ihrer gesundheitlichen Situation.
Coulibaly sprach von Blähungen und Völlegefühl, von zu viel Speichel, Erbrechen, Geräuschen im Bauch, kleinen Würmern und versprach Medizinen dagegen.
Nadja sagte ihm, sie sei Diabetikerin. Er fragte sie, unter was für Symptomen sie leide.
„Unter keinen, im Prinzip, solange ich Diät halte und regelmäßig die Spritzen mache.“
„Dann ist die Krankheit auch nicht sichtbar für mich, beziehungsweise es ist dann gar keine Krankheit. Du hast ja keine Schmerzen, und alles funktioniert. Ich kann Dir aber trotzdem eine Medizin machen. Wir brauchen vor allem Erdnüsse und Bohnen.“
(Das war insofern interessant, als wir ein halbes Jahr vorher eine Heilerin in Jerusalem konsultiert hatten, die gegen Diabetes ebenfalls das Einreiben von Erdnussöl und häufiges Essen von grünen Bohnen empfohlen hatte.) Er versicherte sich nochmals, ob wir alles Benötigte aufgeschrieben hätten, und damit war die Konsultation zu Ende.
Ich fragte ihn, ob ich ein Foto „nehmen“ könne – „Je pourrais prendre une photo?“
Er missverstand mich, holte einen Briefumschlag mit alten Fotos und wollte mir freudestrahlend eines schenken, das ihn mit einer Ziege vor dem Haus zeigte.
Ich erklärte ihm, ich würde gerne selber ein Foto von ihm machen und ihm eine Kopie schicken.
Er nahm seinen Fetisch und posierte damit, stolz lächelnd.
Nun zog er sein Zauberhemd aus, und wir gingen zusammen auf den Markt zu einem „magischen Einkauf“.
Ein weißer Hahn für 1700 CFA, sieben weiße Kolanüsse und eine Plastikflasche Kuhmilch gegen meine Angstträume.
Ein weißer Stoff gegen die Sorgen meiner Mutter.
Eine Goldkette für Nadjas Reichtum, für umgerechnet etwa 40 Fr.
Langsam wurde es uns etwas zu teuer, und bei meinem Silberring (für Glück und Schutz) gab es eine längere Diskussion darüber, welches Modell adäquat sei. Coulibaly beharrte darauf, es müsse ein großer Ring mit einer flachen, glänzenden Fläche sein, wie ein Siegelring, aber ohne Verzierung.
Die Ausgaben summierten sich und es kamen mir Zweifel, wie viel ich wirklich auszugeben bereit war. Mich beruhigte allein der Gedanke, dass der Gewinn Coulibalys dabei eigentlich minimal und eigennützige Interessen von ihm deshalb ausgeschlossen seien. Klar wurde mir allerdings bei diesem Marktgang, wie sehr Magie, Opfertiere, Glücksbringer und Nahrungsmittel für rituelle Zwecke auch ein beträchtliches Marktsegment in Afrika darstellen. Weiter hatten wir einzukaufen: ein Ei (gegen meinen kleinen, dicken Widersacher), hundert Kaurimuscheln für Nadja, Erdnüsse, Bohnen und diverse andere Zutaten für die Medizin.
Inzwischen war es etwa 1 Uhr mittags. Wir kehrten zurück und Coulibalys Frau bot uns Reis und Schafleber an.
Als er unsere Einkäufe überblickte, stellte er fest, dass wir doch einiges vergessen hatten. (Der ganze Einkauf war etwas chaotisch gewesen. Wir hatten ihn zum Beispiel wiederholt auf die Kauris aufmerksam gemacht, was er jeweils mit einer wegwerfenden Geste quittierte, sodass wir schließlich nicht mehr darauf insistierten, weil wir dachten, er hätte vielleicht noch genug davon zu Hause. Nun, als er sah, dass sie fehlten, ärgerte er sich über seine Vergesslichkeit. Wie Ahissia hatte er etwas Zerstreutes und Geistesabwesendes an sich und der Marktrundgang schien ihn viel Nerven gekostet zu haben).
Nach etlichem Hin und Her zog er schließlich wieder sein Zauberhemd an und sagte:
„Ich muss jetzt arbeiten, das heißt die Medizinen herstellen und die Rituale machen. Das dauert etwa bis vier Uhr, dann könnt ihr wieder kommen und alles holen.“
Wir fragten ihn noch, ob er uns seine Adresse aufschreiben könne, für den Fall, dass wir sein Haus nicht mehr fänden, aber auch, um ihm später die Fotos schicken zu können.
Wir hatten nicht realisiert, dass er Analphabet war. Er durchsuchte ein Bündel von Zetteln, in denen die Adresse irgendwo notiert war, was aber natürlich nicht einfach war. Schließlich gab er uns eine Elektrizitätsrechnung mit der Adressangabe, die wir abschrieben. Dann holte er einen Notizblock hervor, voll gekritzelt mit Zeichen und Zeichnungen. Er malte auf ein leeres Blatt einen Kreis und vier Zeichen und bat uns, unsere Namen darunter zu schreiben.
„Ihr