die Hand. »Wir haben noch mehr zu besprechen. Auf später.«
Romberg weiß nicht, wie er zurück ins Ärztezimmer gefunden hat. Bei seinem Eintritt bemerkt er Doktor Sanders. Sie sitzt reglos, so, wie er sie verlassen hat. In einem blassen Gesicht leuchten ein Paar übergroße Augen.
»Das war es also«, sagt er und lehnt sich gegen den Türrahmen.
»Es ist natürlich alles Unsinn, Herr Doktor«, ringt Sybilla sich die Worte ab. Sein Aussehen erbarmt sie. Es muß ihn wie ein Schlag getroffen haben.
Romberg spricht wie zu sich selbst: »Wenn nur der widerliche Kerl, dieser Freytag, nicht dabeigewesen wäre.«
»Vielleicht – ist er der – Angeber?« gibt sie leise zu bedenken.
Er schüttelt heftig den Kopf.
»Haben Sie sich wenigstens verteidigt?« forscht Sybilla mit klopfendem Herzen.
»Verteidigt?« Romberg lacht grell auf. »Habe ich mich zu verteidigen? Ich habe meine Pflicht getan.«
»Haben Sie von Freytags Trunkenheit gesprochen?«
Rombergs Lippen verziehen sich verächtlich. »Dieser Wicht? Der kann mir doch nichts am Zeuge flicken.«
»Was – was gedenken Sie zu unternehmen?«
»Nichts«, kommt es rasch zurück. »Der Professor glaubt an mich. Das genügt mir.«
*
Und doch ist das Gemurmel hinter Doktor Rombergs Rücken, der nach wie vor unermüdlich seine Pflicht tut, nicht zu ersticken. Er spürt den feinen Widerstand, den man ihm, dem sonst so äußerst beliebten Arzt, entgegenbringt. Und er muß alle Kräfte zusammennehmen, um unbeirrt seinen Weg zu gehen.
Er ist unsagbar stolz. Er fühlt sich in keiner Weise schuldbewußt, und so läßt er die Sache laufen. Er ist noch verschlossener als sonst. Er lacht kaum mehr. Nur an den Betten seiner Patienten ist er der alte. Aber auch da schlägt ihm plötzlich eine Welle des Mißtrauens entgegen.
Zu keinem spricht er sich aus. Er vergräbt sich nach dem Dienst in seine Junggesellenwohnung und zwischen Fachzeitschriften und Büchern.
Sybilla Sanders leidet unsagbar an seiner Seite. Sie ist immer um ihn bemüht, wenngleich er sie kaum bemerkt, höchstens bei den Operationen, wenn sie ihm assistiert.
Romberg merkt, wie seine Nerven langsam aufgezehrt werden, wie er sich eisern zusammenreißen muß, um nicht einfach loszuschlagen. Aber gegen wen? Wo sitzt der unsichtbare Feind?
An einem der folgenden Abende ist es. Sie haben gemeinsamen Nachtdienst, er und Sybilla. Sie sind beide müde, und Sybilla braut, wie schon einmal, starken Kaffee.
Wie sie ihn so dasitzen sieht, grübelnd, finster vor sich hinstarrend, da überkommt sie das Elend. Ihre Hände wollen ihr kaum gehorchen, als sie ihm die Tasse reicht.
»Wie lange wollen Sie das eigentlich noch mitmachen?« zerreißt sie endlich die unerträglich lastende Stille.
»Was?« fragt er geistesabwesend.
»Dieses Stillehalten.«
»Ich weiß nicht«, kommt es mutlos aus seinem Munde, was sie noch mehr erschüttert, als wenn er sich austoben würde. »Ich stehe vor einer Mauer, über die ich nicht hinwegspringen kann.«
»Sie werden in dieser zwielichten Atmosphäre zugrunde gehen.«
»Wem liegt schon etwas daran?« Seine Worte sind mit Spott getränkt.
Sybillas Augen flammen auf. »Es gibt auch Menschen, die an Sie glauben.«
Er beobachtet sie aus sinnenden, umschatteten Augen. Dann stiehlt sich ein kleines Lächeln um seinen Mund.
»Wollen Sie mich trösten?« Er lacht rauh.
Nein! Ich liebe dich – möchte sie ihm zuschreien. Doch ihre Lippen pressen sich fest zusammen. Wie kann sie ihm helfen? Wie? Sie erkennt ihre Unfähigkeit und ist mutlos und todtraurig.
»Trinken Sie«, ermuntert sie ihn. »Sie klappen sonst zusammen.«
»Danke!«
Er nimmt den Kaffee schluckweise zu sich und fühlt, wie er ihn belebt, wie seine Kräfte langsam zurückkehren.
Ein Gedanke durchzuckt ihn, den er sofort ausspricht. »Warum geben Sie sich eigentlich soviel Mühe mit mir, Doktor Sanders?«
»Weil ich Sie als Kollegen sehr schätze.«
Wieder erscheint dieses flüchtige Lächeln in seinen Mundwinkeln. »Es ist doch schön, daß Sie da sind und mein Selbstbewußtsein hin und wieder stärken. Ich glaube bald selbst nicht mehr an mich.«
»Doktor!« Was liegt nicht alles in diesem Ausruf. Er müßte es heraushören, wenn er nicht so tief in seinen Kummer verstrickt wäre.
»Ja, ja«, bestätigt er noch einmal. »Es ist schon so, man wird an sich selbst irre.«
Im selben Augenblick flammt das Licht über der Tür auf. Sie werden beide zu einer Operation gerufen. Hastig trinken sie ihre Tassen leer, und Sybilla bedauert unendlich, daß soviel Unausgesprochenens zwischen ihnen liegt.
*
Schwester Magda führt ein regelrechtes Doppelleben. Tagsüber ist sie die ernste, gewissenhafte Oberschwester. Abends führt Martin Freytag sie aus. Sie raucht eine Unmenge Zigaretten, und sie ist eine unermüdliche Tänzerin. Den Rest der Nacht verbringt sie in Freytags Armen.
Oberschwester Magda ist eine glückliche Frau – aber nur, wenn sie in Martin Freytags Armen liegt. Sonst ist sie innerlich wie gehetzt. Sie spürt, wie die Nächte ihr zusetzen, wie dieses Tempo sie auslaugt, wie ihre Nerven überbeansprucht werden. Aber sie wagt dieses Leben nicht zu ändern, aus Angst, Martin zu verlieren.
In Stückers Villa, in der Martin Freytag augenblicklich Alleinherrscher ist, da sich Christiana auf Reisen befindet, erlebt sie ihr erstes Liebesglück.
Aber sie wird das Gefühl nicht los, daß dieses Glück eines Tages zusammenbricht. Um so mehr klammert sie sich an Freytag. Sie will die Zeit mit ihm genießen – was dann kommt, daran wagt sie nicht zu denken. Freytag ist sehr großzügig zu ihr. Er schenkt ihr duftige Nachtwäsche und elegante Morgenröcke, die sie in seinem Schrank in dem eleganten Zimmer der Villa verbirgt.
Sie sind soeben von einem Tanzabend heimgekehrt, und Doktor Freytag ist im Bad verschwunden. Sie muß ihm sagen, daß er auch mehr an sich denken muß und diese Vergnügungen ihn aushöhlen.
Sie liegt auf der breiten Couch, die Arme hat sie unter dem Kopf verschränkt und träumt von ihm. Manchmal sieht er aus, als sei ihm alles zuviel, als würde er nur ihr zuliebe von einem Lokal zum anderen ziehen. Dann wieder ist er fröhlich und ausgeglichen.
Wo er nur bleibt?
Sofort erwacht ihre Sorge. Ihm wird doch nicht übel geworden sein? Er hat reichlich viel getrunken. Sie schlüpft in die reizenden Pantöffelchen – auch ein Geschenk von ihm – und gleitet über den weichen Teppich ins Bad. Sie öffnet die Tür – und stößt einen spitzen Schrei aus.
Doktor Freytag fährt herum. Ein bleiches Gesicht mit wirren Haaren sieht sie, weitgeöffnete Augen starren sie an.
Eine Injektionsspritze fällt klirrend zu Boden.
Sie ist dem Zusammenbrechen nahe und klammert sich an den Türrahmen. Aus den zartgrünen Kacheln, dem vielen Chrom, dem blitzenden Kristallspiegel schält sich nur diese Spritze heraus, die da zerbrochen am Boden liegt.
»Das also – ist es –« flüstert sie, und es schüttelt sie. Mit einem Aufschrei macht sie kehrt, wirft sich auf die Couch und bricht in verzweifeltes Weinen aus.
Er ist süchtig – und sie selbst hat ihm die Ampullen gegeben. Er hat sie benützt, um seinem Laster zu frönen. Sie weint und weint, wie sie nie in ihrem Leben geweint hat. Das ist das Ende. Ein furchtbares Ende!
Da fühlt sie sich herumgerissen.