– einverstanden«, meinte sie verächtlich. »Er schlägt sich mit seinem Gewissen herum – indessen verstreicht die Zeit, und die Frau und das Kind treten an seine Stelle. Das muß unter allen Umständen verhindert werden.«
Eine Welle von Haß schlug dem jungen Anwalt entgegen. Gedankenvoll sah er vor sich hin.
»Haben Sie Unterlagen, die Ihnen das Recht geben, das Testament anzufechten?«
»Ich glaube«, erwiderte sie kalt. »Das Testament enthält eine Bedingung. Die Frau muß würdig sein, das Erbe anzutreten. Es hat sich aber erwiesen, daß sie ein leichtfertiges Geschöpf ist. Ich werde mit allen Mitteln kämpfen, um diese Frau als Erbin auszuschalten.«
»Und dabei soll ich Ihnen helfen?« fragte er ruhig.
Plötzlich war er nicht mehr der gutmütige Junge, sondern Rechtsanwalt.
»Sind Sie sich auch bewußt, daß ein solcher Prozeß viel Staub aufwirbelt?«
»Den fürchte ich nicht«, kam es hart als Antwort.
»Wie wäre es, wenn Sie sich in Güte mit dieser Frau auseinandersetzten?« schlug er vermittelnd vor.
»Niemals!«
Da schwieg Dr. Helmuth Wendler. Er wußte, die Frau ging aufs Ganze.
»Und Ihr Sohn ist damit nicht einverstanden? Sie müssen dabei bedenken, daß ja auch in seinem Namen geklagt wird«, gab er zu überlegen.
Verlegen spielte Leontine mit ihrer Handtasche.
»Ich stehe ganz allein in diesem Kampf – ich rechne aber fest mit Ihrer tatkräftigen Unterstützung.«
Da schossen Dankbarkeit und Mitleid mit der Frau in ihm empor, und sie nahmen alles, was an Abwehr in ihm war, mit hinweg.
»Gut!« Er richtete sich entschlossen auf. »Ich übernehme den Auftrag.«
Befriedigung glitt über ihre Züge. Dann hatte sie ihn also ganz richtig eingeschätzt. Sie hatte nicht daran gezweifelt, daß er aus einem Gefühl der Dankbarkeit heraus ihr williges Werkzeug werden würde, aus einer Dankbarkeit heraus, die sie gar nicht verdiente.
»Hier gebe ich Ihnen die Adresse eines Mannes, mit dem Sie sich in Verbindung setzen können. Er wird Ihnen erschöpfende Auskunft über das Vorleben der Frau meines verstorbenen Sohnes geben.«
Aus ihrer Handtasche brachte sie ein schmales Notizbuch zum Vorschein, dem sie eine Seite entriß und vor Helmuth niederlegte. Er las:
»Detlef Sprenger, Ingenieur.«
Und dann folgten die Anschriften seiner Wohnung und seines Büros.
»Mein Sohn und dieser Sprenger waren Freunde«, schloß sie.
»Und wann kann ich die Unterlagen haben? Ich meine das Testament, damit ich mir eine Abschrift anfertigen kann?«
Leontine Eckhardt stand auf.
»Ich schicke Ihnen heute noch alles zu, denn morgen verreise ich. Sie erhalten aber gleichzeitig meine Adresse, damit Sie mich auf dem laufenden halten können.«
Helmuth verneigte sich leicht.
»Ich werde mein möglichstes tun. Wenn das Recht auf Ihrer Seite steht, werden wir den Prozeß auch gewinnen.«
»Ich muß ihn gewinnen, hören Sie, Dr. Wendler, ich muß! Mir ist jedes Mittel recht!«
Wie vor den Kopf geschlagen von der Leidenschaft und dem Haß der Frau stand er wortlos, ohne sich zu rühren.
Erst als die Tür hinter ihr ins Schloß fiel, erwachte er wie aus einem bösen Traum.
*
Später als gewöhnlich erhob sich Nikolaus Eckhardt am Morgen und verließ sein Zimmer, um sich zum Frühstück zu begeben.
Auf dem Flur begegnete ihm Johannes, der, mit zwei Koffern beladen, aus dem Ankleidezimmer seiner Mutter kam.
Überrascht blieb er stehen.
»Nanu!«
»Die gnädige Frau verreist«, erklärte Johannes.
Wortlos sah Nikolaus den alten Getreuen an. Er konnte nicht feststellen, daß dieser darüber traurig war.
»Es ist gut«, winkte Nikolaus ab.
Mit ernstem Gesicht setzte er seinen Weg fort. Im Eßzimmer fand er den Tisch nur für sich gedeckt. Kurz entschlossen drehte er wieder um und suchte seine Mutter auf.
Fix und fertig angezogen stand Leontine inmitten des vornehmen Raumes und hetzte das Dienstmädchen mit ihren letzten Aufträgen umher.
Schwer atmend stand Nikolaus unter der Tür, gab dem Mädchen einen Wink und zog die Tür hinter sich ins Schloß.
»Du verreist wirklich?« fragte er, langsam näher kommend
Gleichmütig raffte Leontine Handschuhe und Tasche vom Tisch.
»Wie du siehst!«
»Mutter, du weißt, Petra Eckhardt wird heute aus dem Krankenhaus entlassen. Hast du dich nicht anders besonnen?«
»Nein!« Unversöhnlich, feindselig sagte sie es. »Du hast von mir verlangt, ich solle die Stellung der mir verhaßten Frau im Hause klarstellen. Nun, wie du siehst, bin ich im Begriff, es zu tun – und zwar gründlich. Soll man ruhig wissen, daß es von heute ab zwei Parteien in der Familie Eckhardt gibt, daß der eigene Sohn sich gegen die Mutter stellt.«
Leidenschaftlich anklagend schleuderte sie ihm die Worte ins Gesicht.
»Mutter!« kam es entsetzt von seinen Lippen. »Wie kannst du behaupten, daß ich mich gegen dich stelle? Bis zu diesem Moment habe ich immer die Mutter, meine Mutter in dir geachtet. Was du aber jetzt tust, verstehe ich nicht mehr. Ich beuge mich nur dem Recht und lebe im Sinne meines Vaters. Deshalb bin ich aber nach wie vor dein dankbarer Sohn.«
»Haha!« Sie lachte ihm rauh ins Gesicht. »Dankbarer Sohn? Ich habe nichts von Dankbarkeit wahrnehmen können. Sag mir, daß du dich auf meine Seite stellst, daß du der Frau den Zutritt zu unserem Haus verweigerst, und ich ändere sofort meinen Entschluß.«
Mutlos, in einem inneren Zwiespalt, starrte er an dem lauernden Blick der Mutter vorbei. Nur sekundenlang währte jedoch seine Unschlüssigkeit, dann richtete er sich höher auf und sagte fest:
»Das kann ich nicht. Eine Stimme in meinem Innern sagt mir, daß die Frau meines Bruders hochanständig ist, und dieser Stimme folge ich. Die Hauptsache ist und bleibt doch, daß Vater den Frieden mit ihr und dem Kind wünschte. Ich selbst sehne mich nach einem friedlichen Zusammenleben mit ihr, denn solange ich denken kann, hat es keine Ruhe in unserer Familie gegeben. Vater und du, ihr wart wie zwei Fremde, und wir standen dazwischen. Wann wurden wir schon einmal ins Elternhaus gerufen? Von einem Internat ins andere habt ihr uns geschickt. Heute kann ich Vater verstehen. Er wollte nicht, daß wir in den Unfrieden eurer Ehe hineingerissen wurden. Aber wir haben schwer darunter gelitten. – So«, schloß er, tief aufatmend, »das mußte ich dir einmal sagen, damit du meine Beweggründe verstehst. Und nun wünsche ich dir eine gute Reise und entsprechende Erholung. Jede Summe, die du benötigst, steht dir zur Verfügung.«
Er verneigte sich leicht, wie vor einer Fremden. In seinem Innern war jedes Gefühl erstorben. Er war der ewigen Streitereien müde.
Eigenartige Gefühle beherrschten ihn, als er den Wagen der Mutter davonfahren sah.
Glitt ein Seufzer der Erleichterung von seinen Lippen? Er kam sich geradezu schlecht vor, daß er kein Bedauern empfinden konnte. Nun, da er sich alles von der Seele gesprochen hatte, was ihn seit langem beschwerte, kam er sich freier und leichter vor.
Er schüttelte sich und damit fiel auch das letzte drückende Gefühl von ihm ab. Dann ging er ans Telefon und rief Beate Eckhardt an; ordentlich vergnügt klang seine Stimme:
»Tante Beate, pack deine und Lorchens Koffer und komm auf dem schnellsten Weg zu mir, du mußt Hausfrau bei uns spielen. – Meine Mutter?