sich leise Schritte auf dem Kies knirschen hört.
Er wendet sich rasch um, in der Annahme, es sei Leonore, und steht einem jungen bildhübschen Mädchen gegenüber, das eine verblüffende Ähnlichkeit mit Leonore hat, nur die Augen sind anders, übergroß und von einem samtenen Dunkel. Zögernd verhält sie kurz vor ihm den Schritt und mustert ihn unbefangen. Er wirkt ungeheuer imponierend auf sie. Sein männliches Gesicht, braungebrannt, und darin die hellen prüfenden Augen.
»Verzeihen Sie«, hört sie seine sonore Stimme. »Mit wem habe ich das Vergnügen?«
Immer noch tasten ihre dunklen, vor Erregung glänzenden Augen ihr Gegenüber ab. »Ich bin Inka Hellweg und möchte zu meiner Mutter.«
Er lächelt belustigt. »Da dürften Sie sich wohl im Haus geirrt haben. Wir haben keine Kinder.«
Inka erblaßt. »Sind Sie… Muttis Mann?«
In seine Züge tritt Spannung. »Mein Name ist Gert Wendhoff«, stellt er sich mit einer Verbeugung vor.
»Also doch Muttis Mann.«
»Ich verstehe Sie nicht.« Wendhoff mustert Inka mißtrauisch. »Ich habe vor drei Tagen Frau Breitenstein geheiratet. Ist das etwa Ihre Mutter?«
Inka setzt schnell den Koffer ab. Er wird plötzlich zu Blei in ihrer Hand. Aus großen Augen starrt sie Wendhoff an.
»Vor… vor drei Tagen?« stößt sie atemlos hervor. »Aber Mutti sagte mir doch, daß Sie schon lange verheiratet sind.«
»Kommen Sie«, sagt er mit rauher Stimme, die ihm selbst fremd vorkommt. »Ich glaube, Sie sind mir eine Erklärung schuldig.«
Mit Herzklopfen folgt sie ihm. Warum haben sich seine Züge schlagartig verändert? Hat sie eine Dummheit begangen, die nicht wiedergutzumachen ist?
In der Halle stellt er den Koffer ab und greift auch zu ihrem Handkoffer. »Dort ist die Garderobe. Wenn Sie Ihre Garderobe ablegen wollen?«
Mechanisch zieht sie sich den Hut von den Locken, streift die Handschuhe ab und hängt ihre Kostümjacke an den Haken. Sie spürt, wie sie zittert, dabei sieht sie sich scheu um. Die Schönheit des Hauses beeindruckt und verwirrt sie zugleich.
»Wo finde ich meine Mutter?« wendet sie sich ihm ungeduldig zu.
»Meine Frau ist im Geschäft.« Er betont das »Frau« absichtlich, und Inka spürt etwas wie Abneigung gegen den Mann, der keinen Blick von ihr läßt.
»Halten Sie mich etwa für eine Schwindlerin?« fragt sie ärgerlich. »Meine Mutter ist Leonore Breitenstein und jetzt Ihre Frau.« Ihr Mund verzieht sich wie zum Weinen. »Nun verstehe ich auch, warum meine Mutter mich nicht mitgenommen hat. Sie hat meine Existenz bis jetzt noch verschwiegen.«
Sie macht eine ratlose Handbewegung, die Wendhoff irgendwie erschüttert. »Es tut mir leid, daß ich unverhofft gekommen bin. Ich sollte auf Nachricht von meiner Mutter warten. Sie wollte es Ihnen behutsam beibringen, daß ich auf der Welt bin. Und… und ich war so glücklich, daß ich endlich meine Mutter gefunden habe. Sie wird es mir nie verzeihen…«
Wendhoff ist immer noch nicht aus seiner Erstarrung erwacht. Erst als er Tränen aus den verzweifelt dreinblickenden Augen rinnen sieht, findet er zu sich selbst zurück.
»Was wird sie Ihnen nie verzeihen?« Das klingt schroffer als beabsichtigt und erweckt allen Trotz in ihr.
»Daß ich einfach aufgetaucht bin«, schluchzt sie und macht eine kleine hilflose Bewegung. »Ach, das werden Sie kaum begreifen können, wenn man jahrelang kaum mehr als eine Nummer war, wenn man von Lager zu Lager geschickt wurde und dann eines Tages das große Wunder erleben durfte, daß der einzige Mensch, den man mit ganzem Herzen zu lieben bereit ist, gefunden wurde, wie es mir mit meiner Mutter ging.
Sie kam zu mir, und ich klammerte mich an den Gedanken, sie würde mich mitnehmen, würde mir ein Zuhause geben. Statt dessen hat sie mich vertröstet und nichts von sich hören lassen.
So machte ich mich auf den Weg und bin nun da. Ich habe das Gefühl, es sei besser gewesen, ich wäre nicht gekommen…«
»Unsinn«, unterbricht Wendhoff sie, nachdem er jedes Wort aufmerksam in sich aufgenommen hat und jedes davon ihn tief traf.
Er geht auf sie zu und führt das leise vor sich hin weinende Mädchen tiefer in die Halle. Hier drückt er es in einen Sessel.
»Ich halte Sie weder für eine Schwindlerin«, sagt er jetzt mit gänzlich veränderter Stimme, »noch bin ich ohne Verständnis für Ihre augenblickliche Verfassung. Ich werde Ihnen zunächst eine Tasse starken Kaffee brauen. Und dann erzählen Sie mir mehr von sich.«
Er rollt den Teewagen herbei, auf dem die vorbereitete Kaffeemaschine steht, verbindet sie mit dem Steckkontakt und setzt sich Inka gegenüber. Sie hält den Kopf gesenkt. Er sieht die dichten dunklen Wimpern, die sich wie ein Vorhang über die Augen legen.
Leonore – denkt er – warum hast du mir das verschwiegen? Warum hattest du so wenig Vertrauen zu mir?
Ihm ist zumute, als sei eine Saite in ihm zersprungen.
Langsam beginnt das Wasser zu sprudeln. Nach ein paar Minuten füllt er eine der hauchdünnen Tassen und reicht sie ihr.
»Zucker? Sahne?« fragt er kurz, und sie nickt gehorsam und hebt die Lider mit den von Tränen glänzenden Wimpern.
»Wann war Ihre Mutter bei Ihnen?« stellt er die erste Frage, nachdem sie Schluck um Schluck genommen hat.
Kleinlaut gibt sie ihm Auskunft. Er weiß genug. Damals nach ihrer Veränderung begann Leonore ihn zu belügen.
Sie führen eine leise Unterhaltung. Alles, was er wissen möchte, muß er ihr förmlich abringen. Und plötzlich steht Leonore in der Halle, mit weit geöffneten Augen starrt sie auf das Paar vor dem Kamin. Schwerfällig erhebt Inka sich aus dem Sessel.
Im ersten Impuls will Leonore sich auf Inka stürzen, sie in die Arme nehmen, sie herzen und küssen. Da begegnet sie dem stummen, verächtlich verzogenen Mund Gerts, seinen vorwurfsvollen Augen, und sie beginnt vor Entsetzen aufzustöhnen.
Jetzt stürzt sie sich wirklich auf Inka. Sie ist ihrer Stimme kaum mächtig.
»Warum hast du meine Nachricht nicht abgewartet?«
In Inka steigert sich die Angst bis zur Panik vor den flammenden Augen ihrer Mutter. Lässig erhebt Wendhoff sich.
»Es dürfte besser sein, ich lasse euch jetzt allein«, sagt er kühl und geht rasch die Treppe empor in das gemeinsame Schlafzimmer.
Er hat wohl die schreckhafte Geste gesehen, mit der Leonore ihn zurückhalten wollte. Mit keinem Blick hat er sie angesehen.
»Mutti!« Inka macht ein paar taumelnde Schritte auf Leonore zu, doch diese sinkt, einer Ohnmacht nahe, auf den nächsten Stuhl, schlägt die Hände vor das Gesicht und stöhnt tief auf.
»Mutti… verzeih mir, ich… ich hielt es nicht aus vor Sehnsucht.« Und als keine Antwort kommt, nur abermals das sie beängstigende Stöhnen, kniet sie vor Leonore nieder und umfängt sie mit beiden Armen. »Wie konnte ich wissen, daß du jetzt erst geheiratet hast, Mutti. Warum hast du mich… und deinen… deinen Mann belogen?«
»Still, Inka!«
Leonore zieht das an allen Gliedern bebende Mädchen an sich. »Ich kann nichts zu meiner Verteidigung sagen als… ich… ich hatte Angst, ihn zu verlieren.« Ihre Stimme sinkt zu einem kaum verständlichen Flüstern herab. »Nicht du hast etwas zerbrochen, sondern ich. Ich ganz allein!«
Inka schließt die Augen und läßt sich herzen und küssen. Aber in ihr ist tiefer Schmerz. Lange halten sie sich stumm umschlungen, bis Leonore ihre Tochter von sich schiebt und diese sich vom Boden erhebt.
»Trinke noch eine Tasse Kaffee, Kind«, stößt sie übereifrig hervor. »Ich will mich schnell umziehen.«
Aus großen Augen sieht Inka hinter der schlanken Gestalt der Mutter her und wie sie fast die Treppe