Karin Bucha

Karin Bucha Paket 1 – Liebesroman


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      Wenn aber Gert sich von ihr wendet? Warum eigentlich? Wird er sie nicht verstehen müssen? Warum hat sie sich ihm vor der überstürzten Abreise nicht anvertraut?

      »Darf ich heute noch mit dir heimreisen, Mutti? Meinst du, daß man mich so schnell von hier fortläßt? Oder sind da Formalitäten zu erledigen?« reißt Inkas Stimme sie aus ihren schmerzlichen Gedanken.

      »Formalitäten?« wiederholt sie. »Vielleicht, Inka, wir werden uns erkundigen. Vorher gehen wir gemeinsam essen. Wir haben uns so viel zu erzählen.«

      Die Leiterin kehrt zurück, und Leonore erkundigt sich, wo man vernünftig essen kann.

      »Der Wagen draußen gehört wohl Ihnen, wenn ich richtig vermute?«

      »Allerdings.«

      »Dann fahren Sie die wenigen Kilometer bis nach Schloß Berlepsch. Dort sind Sie gut aufgehoben. Inzwischen bereiten wir Inkas Papiere vor.«

      Draußen im goldenen Sonnenschein steht der Wagen, und als die Mutter auf ihn zugeht und ihr winkt, da stößt sie einen Laut der Freude aus.

      »Der Wagen gehört dir, Mutti? Wirklich und wahrhaftig?«

      Sie vermag es kaum zu fassen.

      »Komm, Kind, steige ein. Wir fahren zum Essen. Wenn es dir Freude macht, laß ich dich den Führerschein machen, und dann kannst du ihn selbst lenken.«

      Sie öffnet den Schlag, und behutsam setzt Inka sich neben Leonore. Ihre Hände betasten das Polster, die Dinge am Armaturenbrett.

      »Unerhört schön ist der Wagen, Mutti.« Sie stockt und setzt leise hinzu: »Fahren möchte ich wohl auch lernen.«

      »Alles, was dir Freude macht, Kind. Du hast so viel entbehren müssen…«

      »… und du, Mutti?« fällt Inka ihr in das Wort.

      Leonore lenkt den Wagen aus dem Lager und schlägt den Weg zu der Burg ein, die sie schon von weitem bewundert hat. Jetzt erst, als sie die Richtung gefunden hat, antwortet sie.

      »Sicher habe ich viel entbehrt, zuerst, Kind. Später meinte es das Schicksal gut. Ach, Inka, ich werde dir alles später erzählen. Viel ist in mein Leben getreten…«

      Sie verstummt. Müßte sie jetzt nicht von ihrer großen Liebe sprechen, von dieser wahnsinnigen Liebe, an die sie sich, die reife Frau, wie an einen Rettungsanker klammert?

      »Du bist wieder verheiratet?« fragt Inka stockend, und ihr Auge streift den goldenen Ring an Leonores Hand.

      Leonore zögert. Ist es nicht, als wäre das Schicksal selbst mit ihr? Sie wird einfach so tun, als sei sie schon verheiratet, und nur so kann sie eine Verzögerung der endgültigen Heimkehr Inkas erklären.

      »Ich erzähle dir alles während der Mahlzeit, Kind«, vertröstet sie Inka, und diese lehnt sich beruhigt zurück. Sie genießt die schöne Gegend. Sie lauscht auf das gleichmäßige, tiefe Brummen des Motors. Wunderbar ist das, so dahinzufahren, nur die Augen zu öffnen und alles Schöne in sich aufzunehmen.

      Der Wagen nimmt die Windungen hinauf zur Burg. Bei der letzten großen Kurve sehen sie rechts zwischen Bäumen das Schloß hervorlugen. Eine Burg mit dunklen dicken Mauern. Im zweiten Burghof parkt Leonore den Wagen.

      Alles ist hier uralt, die Bäume, das Kopfsteinpflaster, die zwei winzigen Kanonen, die vor dem Eingang zum dritten Schloßhof aufgestellt sind und an die Belagerung vor vielen Jahren erinnern.

      »Romantisch, Mutti!« Inka schiebt scheu ihre Hand unter Leonores Arm. Sie gehen über eine steinerne, ausgetretene Treppe empor, vorbei an dem Schild »Hoteleingang«.

      Im Speiseraum nehmen Mutter und Tochter Platz. Leonore wählt mit Sorgfalt ein vorzügliches Mahl aus.

      Beim Mokka legt Leonore ihre Hand auf Inkas Finger.

      »Du hast mich gefragt, wie es mir ergangen ist. Nun, Kind, jetzt können wir in Ruhe darüber sprechen. Du kannst dir denken, daß das Leben nicht immer gut für mich war. Ich war einsam, sehr einsam und hilflos, und die Ehe mit deinem Vater war zu kurz, um ein berauschendes Glück zu sein.« Sie wirft einen unsicheren Blick auf das Gesicht Inkas. Deren Züge sind gespannt. Seufzend spricht sie weiter. »Jetzt habe ich den Mann gefunden, den ich unsagbar liebe. Zum erstenmal in meinem Leben ist es die große Liebe. Ich bin eine Frau, die im Herbst ihres Lebens steht, deshalb ist das Gefühl wohl doppelt stark. Natürlich habe ich nicht von dir gesprochen…« Sie stockt, da sie Inkas Zusammenzucken bemerkt.

      Ihre Stimme nimmt an Leidenschaft zu, wie eine Beichte ist es, die sie ihrer Tochter ablegt. Zunächst spricht sie von Ernst Breitenstein, der sie in Wohlhabenheit gesetzt hat, und zur Erbin machte, und dann leiser, innig von Gert Wendhoff.

      »Du bist also wieder verheiratet und hast deinem neuen Mann nichts von mir erzählt? Auch nicht, daß du mich gefunden hast?«

      Ganz ruhig, beinahe sachlich sagt es Inka, und Leonore tut diese Sachlichkeit, die nichts Kindliches an sich hat, sehr weh.

      »Du mußt mich verstehen, Inka. Ich bin einfach losgefahren. Nichts war mir wichtiger als du. Aber ich bin mir auch darüber klar, daß ich… ich Gert langsam auf dein Dasein vorbereiten muß.«

      Inkas Augen, groß, samtdunkel und irgendwie geheimnisvoll, sind starr auf Leonore gerichtet. »Also darf ich nicht mit nach Hause?«

      Leonore preßt ihre Hand fester um Inkas leise bebenden Finger.

      »Doch, Kind, ich hole dich nach Hause. Du sollst es gut, sehr gut bei uns haben. Nur laß mir Zeit, damit ich Gert auf alles vorbereiten kann. Willst du? Und denkst du deshalb nicht schlecht von mir?«

      »Nein, Mutti… nur traurig bin ich. Wenn du mir jedoch sagst, daß ich bald heimkommen darf, dann glaube ich dir.« Das klingt sehr vernünftig. Aber Leonores Mutterinstinkt hört die Erschütterung heraus.

      Langsam zieht Leonore ihre Hand zurück und preßt in ihrem Schoß die Handflächen gegeneinander. Lieber Gott! Bin ich eine schlechte Mutter? Aber ich will ja alles für Inka tun. Ich werde ihr das schönste Zimmer im Haus einrichten. Sie soll leben wie eine kleine Prinzessin.

      »Und jetzt fahren wir das Stückchen weiter in eine kleine Stadt, durch die ich mal gekommen bin. In Hannoversch-Münden kaufen wir für dich ein. Wenn es dir hier gefällt, Inka, werde ich versuchen, mit der Hotelleitung zu sprechen, um ein schönes Zimmer für dich zu bekommen. Heute nacht bleibe ich bei dir.«

      Inka ist mit allem einverstanden. Sie ist ein bescheidenes, williges und dankbares Geschöpf und gewöhnt, ihre Gefühle vor der Außenwelt zu verbergen.

      Leonore empfindet es schmerzlich, daß etwas zwischen ihr und Inka steht, was sie nicht im Sturm genommen hat.

      Unverzüglich fahren sie zurück ins Lager. Inka bekommt ihre Papiere, sie nimmt dankbaren Abschied von allen, die gut zu ihr waren, und sitzt dann wieder in dem eleganten Wagen neben ihrer Mutter, um ins Hotel zu fahren. Für diese Nacht hat Leonore ein Doppelzimmer genommen. Für die nächste Zeit, bis sie Inka endgültig abholt, mietet sie ein schönes Einzelzimmer.

      Nach einem guten Abendmahl ziehen sie sich in ihr Zimmer zurück, in das Leonore alle Pakete hat tragen lassen.

      Inka ist reichlich beschäftigt. Sie freut sich über jeden kleinsten Gegenstand. Ein Necessaire aus feinstem Leder. Eine Manicüre, Nagellack und -entferner. Eine rote Handtasche zu ein paar hochhackigen gleichfarbigen Schuhen, dazupassende Handschuhe und ein kleidsames Hütchen. Ein grauseidenes Jackenkleid von glänzender Seide, darunter ein hauchdünnes Blüschen.

      Ganz närrisch vor Freude ist Inka über ein paar schwarze moderne Hosen mit dazupassendem weißem Pullover und Jacke. Weiße Sandaletten und weiße Handtasche.

      In jede Tasche hat Leonore einen großen Geldschein gesteckt.

      »Nur Taschengeld, Kind«, sagt sie dabei. »Die Rechnung hier im Schloßhotel bezahle ich, wenn ich dich abhole. Und nicht wahr, du schreibst mir vorläufig nicht, bis ich zu dir komme, oder ehe du Nachricht von mir erhältst.«