das sehe selbst ich, daß Sie etwas Großes schaffen.«
»Hoffentlich denken die anderen auch so wie Sie, Leonore.«
Seit einiger Zeit rufen sie sich bei ihren Vornamen.
Sie kehrt wieder zu ihrem Stuhl zurück und macht es sich bequem. Schweigend starren sie auf den silbrig glänzenden Strom, auf die langsam dahinziehenden Schiffe.
Es ist eine gelöste Zufriedenheit, die die beiden Menschen umfängt. Unsichtbare Fäden spinnen hin und her. Jeder befaßt sich in Gedanken mit dem andern, und Leonore fährt leicht zusammen, als eine sonore Stimme sagt:
»In meinem ganzen Leben werde ich Ihnen meine Dankbarkeit nicht abtragen können. Ich wollte, ich könnte Ihnen einmal einen Herzenswunsch erfüllen.«
Sie zieht nervös an ihrer Zigarette; ohne seinen Augen zu begegnen, erwidert sie mit ruhiger Gelassenheit: »Bei passender Gelegenheit werde ich Sie daran erinnern. Also habe ich einen Wunsch bei Ihnen gut?«
»Darf ich noch eine Frage an Sie richten, Leonore?« Er stockt, bemerkt, wie ihre Augen seinen Blick suchen und fährt zögernd fort: »Warum haben Sie nicht wieder geheiratet? Eine so schöne junge Frau?«
Langsam steigt es ihr heiß in die Wangen. »Schön – jung?« Sie lächelt vor sich hin. »Für wie alt halten Sie mich eigentlich?«
Er betrachtet sie aufmerksam.
»Aber, bitte – kein Kompliment!«
»Tja«, meint er unsicher. »Schwer zu sagen. Ich halte Sie höchstens für dreißig Jahre.«
Sie drückt ihre Zigarette aus und greift zur Kaffeekanne. »Darf ich Ihnen noch eine Tasse einschenken?«
»Gern! Danke. Warum weichen Sie mir aus?« drängt er, ohne ihre offensichtliche Verwirrung zu bemerken.
»Ich weiche Ihnen nicht aus.« Ihre Stimme zittert vor unterdrückter Erregung. »Gerade Sie sollen die Wahrheit wissen: Ich bin fünfzehn Jahre älter – fünfzehn Jahre älter als Sie.«
Überrascht neigt er sich vor. »Nicht möglich.« Dann macht er eine wegwerfende Handbewegung. »Was bedeutet schon eine Zahl, Leonore. Sie sind jung, sehr jung. Jung in Ihren Empfindungen, in Ihrem ganzen Wesen. Ich kann mir gut vorstellen, daß sich ein Mann Hals über Kopf in Sie verliebt, nicht nur, weil Sie auch schön sind. Sie sind eine Frau, die Klugheit besitzt. Ich halte Klugheit für eine der höchsten Tugenden der Frau.«
Ehe sie aus ihrer Verwirrung eine passende Antwort findet, hört sie die Glocke des Fernsprechers anschlagen.
Mit ihrem wiegenden Gang geht sie hinüber zu dem kleinen Tisch und meldet sich. »Ja, Reinhold? Ich habe keine Zeit, nein, wirklich nicht. Ob du mich bestechen kannst? Seit wann fragst du erst bei mir an? Du weißt doch, daß ich immer für dich zu sprechen bin. Vielleicht klingelst du vorher bei mir wieder an. Wie meinst du? Heute abend?« Ein kurzes Überlegen, dann sagt sie zu. Nachdenklich legt sie den Hörer zurück in die Gabel und nimmt ihren Platz wieder ein.
»Da ist er schon«, sagt Wendhoff mit amüsiertem Lächeln. Nach ihrem Gesichtsausdruck zu urteilen, ist sie von dem Anruf und auch von dem angekündigten Besuch nicht gerade begeistert.
»Wer?« fragt sie aus ihren Gedanken heraus.
»Der Mann, der sich in Sie verliebt hat.«
»Sie haben recht.« Ganz ernsthaft sagt sie es, und das Lachen verschwindet von seinen Zügen. »Reinhold Schnitzler wirbt seit langem um mich – aber ich – ich…«
Sie verstummt, und er vollendet ihren Satz mit gespannter Aufmerksamkeit: »Sie mögen ihn nicht?«
Ihre Augen sehen ihn groß an. »Doch, ich mag ihn sogar sehr gut leiden, am besten von allen meinen Bekannten. Aber, meinen Sie nicht auch, daß mehr zu einer Ehe gehört als Sympathie?«
Er hebt ratlos die Schultern und entzündet sich eine neue Zigarette. »Darin habe ich keine Erfahrung. Ich war noch nicht verheiratet. Doch die Frau, die ich einmal zu meiner Lebensgefährtin erwähle, müßte ich leidenschaftlich lieben.«
Bei diesem Geständnis blickt er an ihr vorbei, als fürchte er, das in ihren Augen zu lesen, wonach er sich mit dem ganzen Herzen sehnt und was doch nicht sein kann. Er, der Habenichts, der nur von ihrer Güte und ihrem Gelde lebt.
Auf einmal lacht sie mit ihrer warmen dunklen Stimme, und es durchfährt ihn wie ein Schlag. Hat er etwas Törichtes gesagt? Hat er sich und seine Gefühle verraten?
»Sind wir beide nicht etwas zu romantisch in der heutigen schnellebigen Zeit, die uns mittreibt und in der man so schnell vergißt?«
Er beugt sich weit vor. »Sie wollen doch nicht behaupten, daß man die Liebe vergißt?«
»Nicht ganz.« Sie lehnt sich weit zurück und schlägt die schlanken, strumpflosen Beine mit den weißen hochhackigen Schuhen übereinander. »Man vergißt die Liebe. Man wird von allen möglichen Dingen aufgefressen, vom Geschäft, vom Alltag, ach, was weiß ich, wovon alles. Man hat zu wenig Zeit, sich auf sich selbst zu besinnen.«
»Eigentlich traurig, nicht?« Seine hellen Augen sind voll auf sie gerichtet. »Im Zeitalter der Technik, der Atombombe, alles Hirnen von Menschen entsprungen, läßt man das Gefühl verkümmern. Nur so kann man sich die Gedankenlosigkeit erklären, mit der unsere Zeitgenossen am Leid anderer vorübergehen.«
Sie lächelt leicht vor sich hin. »Wollen Sie mir damit sagen, daß ich Gefühl besitze?«
Seine Augen leuchten auf. Dankbarkeit und Liebe vereinen sich in seinem Blick. »Ja, bei Gott, das will ich. Sie haben sich ein warmes, mitfühlendes Herz bewahrt. Sie haben mich mit dieser Güte zu einem anderen Menschen gemacht. Alles, was ich geworden bin und was ich werde, verdanke ich Ihnen…«
Er steht langsam auf und stellt sich hinter ihren Sessel. Er nimmt ihren Kopf in seine Hände, drückt ihn ein wenig nach hinten und küßt sie auf die Lippen. Mit Beglückung spürt er, wie sie seinen Kuß erwidert, wie sie zittert, wie sie sich willig an seine Brust schmiegt.
»Soll das ein Heiratsantrag sein?« fragt sie scheu, als er sich zu ihr auf die Lehne des Sessels schwingt und den Arm um sie legt.
»Nein!« Das klingt beinahe wie früher, hart und schroff. »Noch nicht, Leonore. Ich liebe Sie, aber ich kann Ihnen noch nichts bieten.«
Sie schließt die Augen vor Glückseligkeit, die sie wie ein heißer Strom durchfließt. »Ich warte, Gert – ich kann warten. Aber…«, jäh verändert sich ihr Gesichtsausdruck, wird ängstlich und traurig. »Aber es geht nicht, Gert. Sie sind viel zu jung für mich.«
»Leonore!« Er preßt sie fest an sich und schmiegt sein braungebranntes Gesicht an ihre weiche Wange. Eine glänzende Locke fällt ihr in die Stirn. Ein angenehmer Duft steigt ihm in die Nase. Er entströmt ihrer Kleidung und verwirrt ihn. Er denkt nicht an den Altersunterschied. Sie ist in seinen Augen jung, und er liebt sie. »Was hat die Liebe mit dem Alter zu tun, Liebes?« Seine Stimme schmeichelt sich zärtlich in ihr Ohr. »Wenn ich Erfolg habe, willst du dann meine Frau werden?«
»Ja, Gert – ich will!« Alles wird von der Welle der Zärtlichkeit und Liebe hinweggeschwemmt, alle Vernunft und das Schreckgespenst ihres Alters. Sie weiß nur, daß sie Gert liebt, tief und leidenschaftlich. Es ist doch kein Märchen, wovon man so oft spricht, die Liebe auf den ersten Blick. Sie schließt die Augen, während Gerts Lippen über ihr Haar, die Wangen und über ihren Mund gleiten. Sie sieht ihn wieder vor sich, vor Monaten in dem Wartesaal. Er hat sie sofort interessiert und auf eine merkwürdige Art angezogen.
Sie hat seinen zähen Willen, etwas zu leisten, erkannt. Sie hat ihn scharf beobachtet und seine Ehrenhaftigkeit hat ihn ihr nur noch liebenswerter gemacht. Sie hat sich die ganze Zeit über sehr beherrschen müssen, um ihm nicht zu zeigen, daß er ihr Herz bedingungslos erobert hat.
Jetzt ist der Vorhang von ihren Gefühlen herabgeglitten. Nur ihren Empfindungen preisgegeben, stehen sie sich gegenüber. Aber ein klein wenig Vernunft ist noch in ihnen. Sein Ehrgeiz, etwas erreichen zu wollen, und ihre nur halb beschwichtigte