mehr als Thatsachen, wie wir jetzt eine berichten wollen. Welch ein Drama, abwechselnd Trauerspiel und Posse! Welch ein Durcheinander von Leidenschaften! Wie hört man an alle Thüren den Finger der Intrigue klopfen, wie schleicht die langen halbdunkeln Corridore entlang der verlarvte Amor, eine in parfümirte Spitzen und blutige Flore gehüllte Muse hinter sich schleppend! Wie rauscht im Saale der Tanz, wie fliegen auf silbernen Sohlen die berauschten Tänzer, wie tummelt sich der Maskenzug, indeß im einsamen Gemach die Sorge sitzt und der fahle Liebeskummer! Diese alten Schlösser mit ihren goldbrokatenen Wänden, ihren heimlichen Tapetenthüren, ihrem summenden Schwarm von Gästen, wie wunderlich stehen sie da, wenn wir sie aus der Ferne unsers kalten, geregelten, anständigen Jahrhunderts betrachten! Welche Glut schimmert aus diesen verhüllten Fenstern, die auf dunkle rauschende Bäume des Parks niederschauen, rothe Lichter auf die weißen Schultern und Hüften der Statuen werfend! Still! die Mandolinen girren, die Flöten kosen, durch die Taxusgänge des Parks flattert verbuhlte Seide, koketter Flor. Das schamhafte Blut der jungen Rose leuchtet im Dunkeln heller auf am Busen einer trunkenen Nymphe, die sich taumelnd in die Nacht einer Laube verliert. Seht jene Schaar junger Schäfer! Ihre kleinen Hüte, ihre Stäbe verwickeln sich jeden Augenblick in die Hecken, sie lallen Lieder, von denen Theokrit nichts weiß, sie führen Tänze auf, von deren Verschlingungen sich die keusche Terpsichore unwillig abwendet. Und jene Nymphe ist eine Nonne und diese Tänzer sind junge Priester. Wie gefällt euch das? Heißt das nicht das Leben genießen? Heißt das nicht alle Forderungen erfüllen, die ein leichtsinniges Jahrhundert an seine leichtsinnigen Kinder stellt? Ihr schüttelt das Haupt, ihr wollt von diesem Frevel nichts wissen, und doch – ich könnte euch ein Jahrhundert nennen, das diese bunten Sünden, diesen bacchantischen Wahnsinn des Genießens nicht kennt, ein Jahrhundert, ernst, prüde, pedantisch und kalt, ein Jahrhundert, das mit seiner Tugend und seinem Ernste prahlt, und das, in geheimen Lastern der Selbstsucht und der Habgier schwelgend, nicht gerade sehr hoch über jener Zeit steht.
Von dem frühern Leben unsers jungen Helden ist wenig zu sagen. Die Geschichte, die wir erzählen wollen, füllt eigentlich sein ganzes Leben aus. Er kämpfte auf dem Felde der Liebe und starb auf demselben mit eben dem düstern Ruhm, wie man auf dem Felde der Ehre zu sterben pflegt. Die arme Mutter, nachdem sie schon zwei ihrer Söhne verloren hatte, entließ mit großem Kummer diesen dritten, jetzt einzigen. Auch er ging auf Reisen, auch er fand sich bald in Venedig, welches das damalige Paris war, mit den jungen Fürstensöhnen Deutschlands zusammen. Hier lernte er den damaligen Kurprinzen, nachmaligen König August von Polen und Kurfürsten von Sachsen kennen. Beide fanden ihre größte Lust in Liebesabenteuern. August entwickelte schon hier jene Virtuosität, die ihn in der Folge berüchtigt machte und die späteren Genealogen bei Abfassung der Stammtafeln der sächsischen und polnischen Familien so oft in Verlegenheit setzte. Einzelne, aber nur sehr flüchtige Kriegsunternehmungen in Ungarn wider die Türken bildeten Episoden im vergnügensreichen Leben des jungen Königsmark. Um Kriegsruhm war es ihm nicht zu thun, wie seinem Bruder. Mit dem Kurprinzen heimgekehrt, trat er als sehr junger Obrist in die Dienste seines fürstlichen Freundes und ließ sich's wohl sein im Glanze und im Luxus des dresdener Hofes. Aber zwei so renommirte Liebesritter konnten nicht lange auf einem und demselben Felde friedlich neben einander Lorbern ernten. Der Graf entfernte sich und räumte dem Fürsten das Feld. August war unterdessen zur Krone gelangt, und nun begann der Pomp und der Tumult der Feste, die fast ein halbes Jahrhundert hindurch das kleine Sachsen zum Schauplatz alles Glanzes und aller Intriguen Deutschlands machten und die Blicke von ganz Europa auf einen Fürsten lenkten, der mit chevaleresker Anmuth sich auf einem schwankenden Königsthrone hielt und, von einem Serail schöner Frauen umgeben, es wagte, den großen Ludwig Frankreichs zu imitiren. Das größere und hellere Strahlen werfende Gestirn des preußischen Friedrich verdunkelte später diesen schönen, leichtsinnigen Fürsten, der mit dem Scepter spielte, als wäre es eine brillantene Busennadel.
Mit der Entfernung Königsmarks von Dresden und seinem Eintritt in die Dienste des Herzogs von Braunschweig zu Hanover entschied sich das tragische Loos unsers Helden. Um jedoch diese Katastrophe unseren Lesern klar vorführen zu können, müssen wir ein Blatt aus der Geschichte Hanovers aufschlagen. – Zwei Brüder herrschten in großer Nähe neben einander. Der kleine Hof zu Braunschweig-Lüneburg-Celle war der Sitz des ältern Bruders, des regierenden Herzogs Georg Wilhelm, die glänzendere und bei weitem mächtigere Hofhaltung in Hanover hatte Ernst August, Anfangs Herzog, später Kurfürsten von Braunschweig - Calenberg-Göttingen, an der Spitze. Georg Wilhelm hatte sich mit einer Französin, einer Mademoiselle d'Albreuse, vermählt, Ernst Augusts Gemahlin war die Tochter Friedrichs V. von der Pfalz, Sophie, jene berühmte Freundin Leibnitzens, jene Enkeltochter König Jacobs I., durch welche Verwandtschaft das Haus Braunschweig-Hanover auf den Thron Englands gelangte. Die beiden Brüder führten ziemlich offen mit einander Krieg. Georg kam von seinem Schloß zu Celle nie nach Hannover herüber, wenn es dort Feste gab; er mochte das Weib seiner Wahl, die Tochter, die sie ihm geboren, nicht dem Gespött der Schranzen am Hofe seines Bruders aussetzen; dagegen gab Ernst August deutlich zu verstehen, daß er auf das Erlöschen des Celleschen Stammes warte, um das Erbe, das eigentlich nie hatte getheilt werden sollen, wieder beisammen zu haben. Die diplomatischen Noten über diesen Gegenstand wurden eben nicht mit sehr großer Feinheit gewechselt. Der alte Georg Wilhelm fing nun seinerseits auch an zu cabalisiren und verrannte dem Bruder die Wege zur Erlangung der Kurwürde für das Haus Hanover. Als aber die Kurwürde dem Bewerber dennoch zu Theil ward, setzte er beim Kaiser durch, daß seine unebenbürtige Gemahlin in den Reichsfürstenstand und die Tochter zur Prinzessin erhoben wurden. Somit war der Allodialbesitz seiner Linie gesichert, und Ernst August sah seine Pläne auf die Cellesche Erbschaft scheitern. Es mußten nun andere Mittel in Anwendung gebracht werden, um zum Ziel zu gelangen. Da machte sich denn die Kurfürstin Sophie auf den Weg. Sie verließ auf einige Zeit ihre Bücher, ihre gelehrten Apparate, ihre Erdgloben und Himmelskarten, ertheilte gnädig ihrem berühmten Freunde die Erlaubniß, einstweilen nach Berlin zu gehen, wo eine andere fürstliche Schülerin, Sophie Charlotte, die erste Königin von Preußen, seiner wartete, und erschien am Hofe zu Celle, um ihren eigensinnigen Schwager zu bearbeiten. Es gelang. Georg Wilhelm gab sein Kleinod, den Glanz und den Ruhm seiner alten Tage, sein schönes, kluges, unschuldiges Mädchen, seine einzige Tochter hin und willigte in ihre Vermählung mit Georg Ludwig, dem ältesten Sohne des Kurfürsten. Sophie, glücklich, ihrem etwas verwilderten, rohen Sohne eine hübsche, tugendhafte Frau, und ihrem ländersüchtigen Gemahl die Cellesche Erbschaft überbringen zu können, kehrte im Triumph nach Hannover zurück, nach sich schleppend das arme Opfer, die unglückliche Sophie Dorothea, die hiermit den Dämonen jeglichen Misgeschicks, das ein fürstliches Haupt treffen kann, übergeben wurde.
Der Hof von Hanover im Jahre 1682 ist nur einer jener Schauplätze phantastisch lasterhafter Gruppirungen, wie wir sie oben leichthin skizzirt. Zwei Schwestern von dunkler Herkunft erschienen eines schönen Tages am Horizont dieses Hofes. Ernst August, ein Fürst, der die Schönheit suchte und den Geist nicht fürchtete, kam den Abenteuerinnen entgegen und nahm sie huldvoll auf. Die ältere wurde dem Hofmarschall Grafen Platen vermählt; die jüngere wählte einen Kammerherrn. Beide Schwestern blieben dabei ihren ursprünglichen Missionen treu, die ältere als Freundin des Kurfürsten, die jüngere als die seines Sohnes. Der Hofmarschall und der Kammerherr waren demnach Figuren, wie es deren an den Höfen damals zu hunderten gab. Die Gräfin Platen – denn an ihr Portrait müssen wir schon einige Pinselzüge mehr verwenden – war eine Frau, die mit der kleinen Kattunschürze der Putzmacherin anfing und mit dem Hermelinmantel aufhörte. Mit allen Leidenschaften einer Medea ausgerüstet, mit der Schönheit einer Helena und der wilden Gluth einer Phädra, verließ sie die dunkle, enge Hütte, um mit sicherm Schritt den Marmorboden der Paläste zu betreten.
Diese Gräfin Platen ist eine Frau, wie deren das achtzehnte Jahrhundert manche aufzuweisen hat, eine Frau, deren Schritte nichts zu hemmen im Stande ist und die jeden Weg, auch den durch die furchtbarsten Schrecken bezeichneten, sicher wandeln, um nachher am Ziele die Bewunderung der Mitwelt in Empfang zu nehmen. Gegen eine solche Gestalt voll unheimlicher Schrecken konnte sich die blühende, kindliche Unschuld nicht halten. Geknickt, gebrochen mußte die Blume dahinsinken.
Als die Prinzessin Sophie Dorothea zu Hanover erschien, fand sie bereits alle Gemüther gegen sich eingenommen. Der Kurfürst ließ es seine Schwiegertochter empfinden, daß er so lange und mit so großer Mühe nach ihrem Erbe getrachtet, und daß sie die Tochter des Mannes war,