Timothy Keller

Jesus


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das zu verstehen?

      Als Jesus aus dem Wasser steigt, umgibt und bedeckt der Vater ihn mit Worten der Liebe: „Du bist mein lieber Sohn, an dir habe ich Wohlgefallen.“ Und gleichzeitig umhüllt der Geist ihn mit Macht. Hier lässt Markus uns einen Blick hinein in das Herz der Realität tun, in den tiefsten Sinn des Lebens, in das Wesen des Universums, denn was hier bei der Taufe von Jesus geschieht, ist das, was von Ewigkeit her im Inneren der Trinität geschieht. Die Bibel sagt, dass Vater, Sohn und Heiliger Geist einander verherrlichen. Wir sehen dies in dem hohepriesterlichen Gebet Jesu, das Johannes überliefert hat: „Ich habe dich verherrlicht auf Erden und das Werk vollendet, das du mir gegeben hast, damit ich es tue. Und nun, Vater, verherrliche du mich bei dir mit der Herrlichkeit, die ich bei dir hatte, ehe die Welt war“ (Johannes 17,4-5, LÜ). Jede der drei Personen der Trinität verherrlicht die andere. Es ist ein ewiger Tanz.

      Mit den Worten meines Lieblingsautors C.S. Lewis: „Der Gott des Christentums ist nichts Statisches ... , sondern eine dynamisch pulsierende Kraft; ein Leben, fast so etwas wie ein Theaterstück oder, wenn man es nicht für Blasphemie hält, fast so etwas wie ein Tanz.“11 Der Theologe Cornelius Plantinga führt diesen Gedanken weiter aus; er stellt fest, dass die Bibel sagt, dass Vater, Sohn und Heiliger Geist einander verherrlichen, was er so versteht: „Die Personen innerhalb Gottes erhöhen einander, haben Gemeinschaft miteinander und beugen sich einander. ... Jede der göttlichen Personen hat die beiden anderen im Zentrum ihres Seins. In einer beständigen Bewegung des Sichöffnens und Annehmens umgibt und umkreist jede die anderen. ... Gottes Inneres fließt [daher] über von Wertschätzung für andere.“12

      Ich verherrliche etwas, wenn ich es um seiner selbst willen schön finde. Seine Schönheit nötigt mich, sie zu bewundern, meine Gedankenwelt wird davon gefangen genommen. Das ging mir mit Mozart so. Um eine Eins in Musik zu bekommen, habe ich in der Schule Mozart gehört. Ich brauchte gute Noten, um einen guten Beruf erlernen zu können. Also mit anderen Worten: Ich hörte Mozart, um Geld zu verdienen. Heute bin ich gerne bereit, Geld auszugeben, um Mozart zu hören, und das nicht, weil es mir irgendeinen Vorteil verschafft, sondern einfach um seiner selbst willen, weil es schön ist. Es ist nicht länger ein Mittel zum Zweck.

      Und wenn wir eine Person auf die Art schön finden, dann geben wir uns ihr bedingungslos hin. Wenn ich sage: „Ich gebe mich dir hin, solange mir das einen Vorteil verschafft“, dann gebe ich mich nicht dieser Person hin, sondern verwirkliche mich selbst durch sie. Ich drehe mich dann nicht um diese Person, ich benutze sie, um sie in meinen Machtbereich, in meine „Umlaufbahn“ zu bringen.

      Natürlich gibt es viele Zeitgenossen, die selbstlos und pflichtbewusst erscheinen – aus dem einfachen Grund, weil sie nicht Nein sagen können. Sie sagen Ja zu allem, und werden permanent von anderen Menschen benutzt. Und jeder sagt ihnen: „Du bist so selbstlos, du opferst dich so für andere auf – du solltest wirklich mehr auf dich selbst achten.“ Aber wer keine Grenzen setzen kann, alle auf sich herumtrampeln und sich benutzen lässt und nicht Nein sagen kann – tut er das aus Liebe für andere Menschen? Natürlich nicht – er tut es aus Not heraus, aus Angst und Feigheit. Das hat nichts damit zu tun, sich einem anderen Menschen wirklich hinzugeben, ihm wirklich zu dienen. Andere Menschen zu ehren, „verherrlichen“, meint, sich ihnen bedingungslos hinzugeben, nicht, weil wir damit irgendeinen Zweck erreichen, sondern nur aus Liebe und Wertschätzung dessen, was diese Menschen wirklich sind.

      Der Vater, der Sohn und der Heilige Geist drehen sich jeder um den anderen, sie verehren die jeweils anderen und dienen ihnen. Und weil Vater, Sohn und Heiliger Geist einander diese einander verherrlichende Liebe geben, ist Gott unendlich und zutiefst glücklich. Stellen Sie sich vor: Sie finden jemanden, den Sie verehren, für den Sie alles tun würden, und Sie entdecken, dass diese Person dasselbe für Sie empfindet. Würde sich das gut anfühlen? – Es wäre unglaublich! So empfindet Gott in alle Ewigkeit. Der Vater, der Sohn und der Heilige Geist verströmen sich vor Liebe und Freude und Verehrung aneinander und füreinander, jeder dient dem anderen. Sie suchen ohne Ende die Herrlichkeit dess anderen und sind daher unendlich glücklich. Und wenn es wahr ist, dass diese Welt vom dreieinigen Gott geschaffen ist, dann ist die tiefste Realität dieser Tanz.

      „Und welche Bedeutung hat dies alles?“, schreibt C.S. Lewis. „Es ist bedeutsamer als alles andere auf dieser Welt. Der ganze Tanz, das ganze Schauspiel oder das Vorbild dieses dreieinigen Lebens muss in jedem von uns vollendet werden ... [Freude, Kraft, Frieden, ewiges Leben] entspringen einer gewaltigen Quelle der Kraft und Schönheit, die aus der Mitte aller Wirklichkeit hervorsprudelt.“13 Warum wählt Lewis das Bild des Tanzes? Ein Leben, das um sich selber kreist, ist statisch, nicht dynamisch. Der Egozentriker will, dass alles sich um ihn dreht. Ich helfe anderen, ich habe Freunde, ich verliebe mich sogar – aber nur solange es meinen ureigenen Interessen und Bedürfnissen nicht zuwiderläuft. Vielleicht spende ich sogar für die Armen – solange das mein Ego kitzelt und meinen Geldbeutel nicht zu sehr belastet. Für den Egozentriker ist alles nur Mittel zum Zweck, und dieser Zweck, dieses Etwas, ohne das nichts läuft, ist das, was ich will und was mir gefällt, es sind meine Interessen und nicht die der anderen. Ich spiele mit anderen, ich rede mit anderen, aber letztlich kreist alles um mich.

      Wenn aber jeder sagt: „Alles hat sich um mich zu drehen!“, was ist die Folge? Stellen Sie sich fünf, zehn oder auch hundert Menschen vor, die auf einer Tanzbühne stehen und von denen jeder der Mittelpunkt sein will. Es wird zu keinem Tanz kommen, denn jeder steht nur da und sagt den anderen: „Los, tanzt um mich herum!“

      Die Trinität ist völlig anders. Vater, Sohn und Heiliger Geist sind nicht jeder auf sich bezogen, sondern ihrem ureigenen Wesen nach sich selbst verströmende Liebe. Keine Person der Dreieinigkeit fordert die anderen auf, sich um sie zu drehen, sondern jede dreht sich um die beiden anderen, verherrlicht sie, ehrt sie, dient ihnen und beugt sich ihnen. Jeder der drei kreist aus freien Stücken um die beiden anderen.

      Aufforderung zum Tanz

      Wenn dies die tiefste Realität ist, wenn der Gott, der das Universum schuf, so ist, dann hat diese Tatsache unglaubliche, unvorstellbare, lebensverändernde und fantastische Auswirkungen für unser Leben. Wenn diese Welt die Schöpfung eines dreieinigen Gottes ist, dann machen Liebesbeziehungen das Wesen und den tiefsten Sinn des Lebens aus.

      Unterschiedliche Ansichten von Gott bringen unterschiedliche Folgen für unsere Sicht der Welt mit sich. Wenn es keinen Gott gibt und wir nur durch reinen Zufall auf dieser Erde sind, lediglich als Produkt der natürlichen Selektion, dann ist das, was Sie und ich Liebe nennen, nur ein chemischer Zustand des Gehirns. Die Evolutionsbiologen erklären uns, dass wir so sind, wie wir sind, weil diese Eigenschaften es unseren Vorfahren leichter machten, ihren genetischen Code weiterzuvererben. Wenn wir Liebe spüren, dann nur deswegen, weil die entsprechende Kombination von Chemikalien uns zum Überleben hilft und unseren Körper in die Lage versetzt, unseren genetischen Code weiterzugeben. Liebe ist Chemie, und sonst nichts. Gibt es Gott dagegen, ist er nur eine Person, dann gab es eine Zeit, wo Gott nicht Liebe war. Bevor er die Welt erschuf, gab es keine Liebe, denn er war ja allein. Damit aber wäre Liebe lediglich eine zweitrangige Eigenschaft Gottes, die nicht zu seinem innersten Wesen gehört. Sein innerstes Wesen könnte Allmacht sein, aber nicht Liebe. Wenn aber von Ewigkeit her, ohne Anfang und ohne Ende, die tiefste Realität eine Gemeinschaft von Personen ist, die einander kennen und lieben, dann geht es in der Realität im Tiefsten um Liebesbeziehungen.

      Warum erschafft ein dreieiniger Gott eine Welt? Bei einem unipersonalen Gott könnte man sagen: „Er hat die Welt erschaffen, damit er Wesen hat, die ihn lieben und anbeten und ihm so Freude machen.“ Aber der dreieinige Gott hatte dies ja bereits, und die Liebe, die er in sich selber empfing, war viel reiner und stärker als das, was wir Menschen ihm je bieten könnten. Warum hat er uns trotzdem erschaffen? Es gibt nur eine Antwort. Offenbar hat er uns nicht erschaffen, um Freude zu bekommen, sondern um Freude zu geben. Er muss uns erschaffen haben, um uns zum Tanz aufzufordern, um uns zu sagen: Wenn ihr mich verherrlicht, wenn ihr euer ganzes Leben auf mich ausrichtet, wenn ihr mich schön findet, weil ich der bin, der ich bin, dann werdet ihr euch einreihen in den großen Tanz, denn dazu seid ihr erschaffen. Ihr seid nicht bloß dazu da, um an mich zu glauben oder ein bisschen spirituell zu sein, nicht nur, um zu beten und in dunklen Stunden etwas Inspiration zu bekommen. Ihr seid dazu erschaffen, euch mit eurem ganzen Sein um mich zu drehen und