besten Kräften zu befolgen. Wenn ich das tue und es nicht übertreibe, bin ich gemäßigt religiös. Aber wenn ich den Eindruck habe, dass ich meine Religion so treu befolge wie sonst keiner, werde ich mir bald einbilden, dass ich mir den Zugang zu Gott durch meinen richtigen Lebensstil und Glauben erarbeitet habe, und werde auf all die, die den „falschen“ Lebensstil und Glauben haben, herabsehen. Und dann gibt es bald kein Halten mehr: Weil ich auf sie herabsehe, halte ich sie mir vom Leib, und das wiederum macht es einfacher, sie zu hassen, auszuschließen und schließlich zu unterdrücken. Es gibt durchaus Christen, die so sind – aber nicht, weil sie zu weit gegangen sind mit ihrer Hingabe an Jesus, sondern weil sie nicht weit genug gegangen sind. Sie sind nicht so fanatisch demütig und sensibel oder so fanatisch verständnisvoll und großherzig, wie Jesus es war. Und warum sind sie das nicht? Weil sie den christlichen Glauben immer noch als Rezept zum richtigen Leben sehen, und nicht als gute Nachricht.
Das Evangelium dreht sich nicht um gute Ratschläge. Es ist die frohe Botschaft, dass ich mir meinen Weg zu Gott nicht verdienen muss, denn das hat Jesus schon für mich getan. Es ist ein Geschenk, das ich durch reine Gnade empfange – durch Gottes völlig unverdientes Wohlwollen. Wenn Sie dieses Geschenk ergreifen und festhalten, wird der Ruf von Jesus Sie weder zu einem Fanatiker noch zu einem Lauwarmen machen. Sie werden Jesus leidenschaftlich zu Ihrem höchsten Gut und absoluten Zentrum Ihres Lebens machen, aber wenn Sie jemandem begegnen, der andere Prioritäten oder einen anderen Glauben hat, werden Sie ihn nicht für einen Menschen zweiter Klasse halten. Sie werden ihn nicht unterdrücken, sondern ihm dienen. Warum? Weil es im Evangelium nicht darum geht, Regeln und Gesetze zu befolgen, sondern einem König nachzufolgen, der uns gerufen hat. Und dieser König ist nicht irgendein Jemand, der die Macht und Autorität hat, uns zu sagen, was wir zu tun haben, sondern er ist der Eine, der die Vollmacht hat, selber zu tun, was getan werden muss, und der es uns dann als frohe Botschaft anbietet.
Wo sehen wir diese Vollmacht? Bereits die Taufe von Jesus ist von übernatürlichen Zeichen begleitet gewesen, die seine göttliche Vollmacht unter Beweis stellen. Dann sehen wir, wie Simon, Andreas, Jakobus und Johannes Jesus unverzüglich folgen; sein Ruf selber hat also Autorität. Markus führt dieses Thema fort:
Nun kamen sie in die Stadt Kapernaum. Am nächsten Sabbat besuchte Jesus die Synagoge und sprach dort zu den Menschen. Die Zuhörer waren sehr beeindruckt von dem, was er lehrte. Denn anders als ihre Schriftgelehrten redete Jesus mit einer Vollmacht, die Gott ihm verliehen hatte. (Markus 1,21-22)
Hier benutzt Markus zum ersten Mal das Wort Vollmacht. Das im Urtext verwendete Wort kann auch mit Autorität wiedergegeben werden. Es meint die Freiheit, die Fähigkeit und das Recht, etwas, das man sagt, auch zu tun. Jesus machte nicht einfach etwas klarer, das die Menschen schon wussten, er legte die heiligen Schriften nicht so aus, wie die Schriftgelehrten dies taten. Seine Zuhörer spürten, dass hier jemand vor ihnen stand, dessen Worte Autorität über die Wirklichkeit hatten, und das machte sie sprachlos. Doch Markus ist noch nicht fertig mit dem Thema „Vollmacht“:
Nachdem Jesus die Synagoge verlassen hatte, ging er mit Jakobus und Johannes in Simons Haus, in dem auch Andreas wohnte. Dort erfuhr er, dass Simons Schwiegermutter mit hohem Fieber im Bett lag. Er ging zu ihr, nahm ihre Hand und richtete sie auf. Sofort war das Fieber verschwunden. Sie konnte sogar aufstehen und für ihre Gäste sorgen. (Markus 1,29-31)
Diese Heilung zeigt, dass Jesus nicht nur König über die geistliche Welt ist, sondern auch über die physische. Hier behauptet Jesus nicht nur, dass er Vollmacht hat (wie in der Berufung der Jünger und der vollmächtigen Lehre), sondern er stellt sie praktisch unter Beweis und übt diese Vollmacht aus. Er demonstriert, dass er reale Macht über Krankheit hat. Eine Berührung und das Fieber ist weg. Und so etwas geschieht wieder und wieder. Drei Verse später berichtet Markus, dass Jesus Scharen von Kranken heilte. Ein paar Tage später heilt seine Berührung einen Aussätzigen. Im 12. Vers des 2. Kapitels staunen alle nur und sagen: „Wir haben so etwas noch nie gesehen.“ Die Tauben hören, die Blinden sehen, die Lahmen gehen. Die Evangelien berichten uns von dreißig Heilungen, die alle demonstrieren, dass Jesus Macht über Krankheit hat. Und in den ersten Kapiteln seines Evangeliums arbeitet Markus eine Ebene des Beweises nach der andern ab, um zu zeigen, dass die Autorität von Jesus sich auf alle Bereiche des Lebens erstreckt.
Folge mir nach, sagt Jesus. „Folge mir, weil ich der König bin, auf den du wartest. Folge mir, weil ich die Macht über alles und mich doch für dich erniedrigt habe. Folge mir, weil ich am Kreuz für dich starb, obwohl du weder den richtigen Glauben hattest noch richtig lebtest. Folge mir, weil ich dir eine Botschaft bringe und nicht kluge Ratschläge. Folge mir, weil ich deine wahre Liebe bin, dein wahres Leben – folge mir.“
Dem Faden folgen
Vor etwa 150 Jahren schrieb George MacDonald ein Kinderbuch mit dem Titel Die Prinzessin und der Kobold. Die Heldin, Irene, ist acht Jahre alt und wohnt in einem großen, weitläufigen Haus. In diesem Haus gibt es eine Mansarde, in der zuweilen Irenes Elfen-Großmutter erscheint. Wenn Irene dorthin geht, um sie zu besuchen, ist sie oft nicht da, doch manchmal kommt sie, um sich mit Irene zu unterhalten. Irene liebt ihre Elfen-Großmutter, die ihr eine weise Ratgeberin ist. Eines Tages schenkt die Großmutter ihr einen Ring, an dem ein Faden befestigt ist, der in einem Knäuel endet. Sie erklärt ihr, dass sie das Knäuel selber behalten wird.
Irene sagt, dass sie den Faden nicht sehen kann. Die Großmutter erklärt: „Der Faden ist so fein, dass du ihn nicht sehen kannst. Du kannst ihn nur fühlen.“ Darauf probiert Irene den Faden aus.
Ihre Großmutter fährt fort: „Nun pass gut auf. Wenn du jemals in Gefahr gerätst ..., sollst du deinen Ring abziehen und unter das Kopfkissen in deinem Bett legen. Dann musst du den Zeigefinger, an dem du den Ring getragen hast, auf den Faden legen und ihm folgen, wohin er dich auch führen mag.“
„Oh, wie schön! Er wird mich zu dir führen, Großmutter, ganz gewiss!“
„Ja. Aber vergiss nicht, dass du niemals daran zweifeln darfst, auch wenn es dir wie ein großer Umweg erscheinen mag. Doch du kannst getrost sein, solange du den Faden hältst, halte ich ihn auch.“16
Einige Tage später liegt Irene im Bett, als Kobolde in das Haus eindringen. Sie hört, wie sie im Flur knurren und zischen, und hat Angst. Aber sie hat die Geistesgegenwart, sich den Ring abzuziehen und unter ihr Kissen zu legen. Darauf ertastet sie den Faden, im Wissen, dass er sie zu ihrer Großmutter führen wird. Doch der Faden führt sie nicht die Hintertreppe hinauf zu der Mansarde, sondern aus dem Haus hinaus nach draußen. Als sie weitergeht, merkt sie voller Schreck, dass er sie geradewegs zu der Koboldhöhle führt.
In der Höhle führt der Faden sie zu einem hohen Steinhaufen – eine Sackgasse. Sie hat die Idee, dem Faden einfach rückwärts zu folgen, um so wieder nach draußen zu gelangen, doch als sie das versucht, ist er auf einmal weg. Der Faden der Großmutter funktioniert nur vorwärts, aber da sind die Steine. Irene „stieß einen jämmerlichen Schrei aus und warf sich wieder auf die Steine nieder.“17
Als sie sich beruhigt hat, merkt sie, dass sie dem Faden einfach weiter folgen muss. Aber dazu muss sie offenbar die Steine wegräumen. Sie fängt an. Einen Stein nach dem anderen schiebt sie weg. Bald bluten ihre Finger, aber sie macht weiter.
Plötzlich hört sie eine Stimme. Es ist ihr Freund Curdie, den die Kobolde gefangen haben! Er fragt, wie sie hierher gekommen ist. Irene erwidert: „Meine Ururgroßmutter hat mich geschickt, und ich glaube, ich weiß nun, warum.“18
Als Irene das Loch groß genug gemacht hat, will Curdie aus der Höhle herausklettern – doch Irene geht noch tiefer in sie hinein. Curdie protestiert: „Wohin gehst du da? ... Dort bin ich nicht hinausgekommen.“
„Das weiß ich“, erwidert Irene. „Aber mein Faden geht hier entlang, und ich muss ihm folgen.“19 Und es zeigt sich, dass auf den Faden Verlass ist, weil auf ihre Großmutter Verlass ist.
Als Jesus den Jüngern sagte: „Folgt mir nach“, hatten sie keinen blassen Schimmer, wohin er ging. Sie dachten, er würde von einem Sieg zum nächsten gehen. Sie hatten nicht die Spur einer Ahnung.
Stellen Sie sich vor, Sie fordern ein siebenjähriges Mädchen auf, einen Aufsatz über die Liebe und das Heiraten