Die anderen sechs Dienstboten im Hause sind zu den Ereignissen, die sich in der Nacht des 6. Januar abspielten, in keinerlei Beziehung getreten.
Es war um ¾ 12 Uhr nachts, als die Nachricht von dem Verbrechen im Polizeibüro des Dorfes, das unter der Leitung des Sergeanten Wilson von der Sussex-Polizei stand, einlief. Mr. Cecil Barker war es, der in höchster Aufregung auf die Tür des Polizeibüros zugestürzt kam und heftig klingelnd Einlaß begehrte. Ein schreckliches Drama habe sich im Herrenhaus abgespielt, Mr. John Douglas sei ermordet worden. Das war der Inhalt der atemlos hervorgestoßenen Nachricht. Er eilte wieder zum Hause zurück, wohin ihm einige Minuten später der Sergeant folgte, nachdem er schnell seine vorgesetzte Behörde in Kenntnis gesetzt hatte, daß etwas Ernstliches vorgefallen sei. Sergeant Wilson traf einige Minuten nach 12 Uhr auf der Stätte des Mordes ein.
Als er das Herrenhaus erreichte, fand er die Zugbrücke heruntergelassen, die Fenster erleuchtet und den ganzen Haushalt in einem Zustand wildester Aufregung und größten Schreckens. Die Dienerschaft bildete mit bleichen Gesichtern eine Gruppe in der Halle; Ames stand händeringend im Torweg. Nur Cecil Barker schien Herr seiner Gefühle und Handlungen zu sein. Er öffnete die dem Eingang zunächst liegende Tür und winkte dem Sergeanten, ihm zu folgen. In diesem Augenblick traf auch Dr. Wood, der energische und tüchtige Arzt des Dorfes ein. Die drei Männer betraten das Schreckensgemach zu gleicher Zeit. Ames, der noch an allen Gliedern bebte, folgte ihnen und schloß die Tür, um dem draußenstehenden weiblichen Dienstpersonal den schauerlichen Anblick, der sich bot, zu entziehen.
Der Tote lag auf dem Rücken, ungefähr in der Mitte des Zimmers, alle Glieder von sich gestreckt. Er war nur mit einem Nachtanzug und einem rosafarbigen Schlafrock bekleidet. Seine bloßen Füße steckten in Pantoffeln. Der Arzt kniete neben ihm nieder und beleuchtete ihn mit der Handlampe, die auf dem Tisch stand. Ein Blick auf das Opfer genügte dem Mann der ärztlichen Wissenschaft, um zu erkennen, daß hier jede weitere Mühe vergeblich war. Der Tote war entsetzlich entstellt. Quer über seiner Brust lag eine sonderbare Waffe, ein Schrotgewehr, dessen Läufe etwa 30 cm, von den Drückern an gemessen, abgesägt waren. Es lag auf der Hand, daß das Gewehr aus nächster Nähe abgefeuert worden war, denn der Tote hatte die ganze Ladung ins Gesicht bekommen, wobei sein Kopf förmlich zertrümmert worden war. Die zwei Drücker waren mit Draht verbunden, um beide Läufe gleichzeitig abfeuern zu können und dadurch die entsetzliche Wirkung noch zu erhöhen. Der Dorfpolizist war völlig entnervt von dem Anblick und in größter Sorge über die Verantwortung, die unvermutet auf seine Schultern gefallen war.
»Wir wollen nichts anrühren, bis meine Vorgesetzten hier sind«, sagte er mit halblauter Stimme, den entsetzlich verstümmelten Kopf des Toten schaudernd anstarrend.
»Nichts ist berührt worden,« sagte Cecil Barker, »dafür stehe ich ein. Sie sehen alles so, wie ich es vorgefunden habe.«
»Wann war das?« Der Sergeant hatte sein Notizbuch hervorgezogen und hielt den Bleistift in Bereitschaft.
»Genau um ½ 12. Ich war noch vollständig angekleidet und saß am Kaminfeuer in meinem Schlafzimmer, als der Schuß ertönte. Er klang nicht sonderlich laut, eher gedämpft. Darauf stürzte ich hinunter. Ich glaube nicht, daß mehr als dreißig Sekunden verflossen waren, bis ich hier ankam.«
»War die Tür offen?«
»Jawohl, sie war offen. Der arme Douglas lag genau so da, wie Sie ihn jetzt sehen. Seine Schlafzimmerkerze stand brennend auf dem Tisch. Ich war es, der sie auslöschte und die Lampe anzündete.«
»Haben Sie irgend jemanden gesehen?«
»Nein, ich hörte Mrs. Douglas hinter mir die Treppe herabkommen und eilte ihr entgegen, um sie daran zu hindern, sich dem entsetzlichen Anblick auszusetzen. Dann kam Frau Allen, die Haushälterin, und führte sie hinweg. Auch Ames war unterdessen angelangt, und ich ging mit ihm wieder in das Zimmer zurück.«
»Die Zugbrücke wird doch, wie ich höre, jeden Abend aufgezogen?«
»Jawohl, sie war auch aufgezogen. Ich habe sie wieder heruntergelassen.«
»Wie war es dann aber möglich, daß der Mörder entkommen konnte? Es steht ganz außer Frage; Mr. Douglas muß sich selbst erschossen haben.«
»Das war auch unser erster Gedanke, aber hier, sehen Sie einmal!« Barker zog den Vorhang beiseite und enthüllte das lange, mit rombischen Scheiben versehene Fenster, das in voller Breite offen stand. »Und hier, sehen Sie dies an.« Er nahm die Lampe und beleuchtete, das Fensterbrett auf dem sich Spuren einer Fußsohle mit Blut vermischt abhoben. »Jemand hat hier gestanden, um hinauszugelangen.«
»Sie meinen also, daß der Betreffende den Festungsgraben durchwatet hat?«
»Sehr richtig.«
»Wenn Sie also innerhalb einer halben Minute nach dem Schuß im Zimmer waren, muß sich der Mann gerade zu der Zeit im Wasser befunden haben.«
»Ich zweifle nicht daran. Wollte Gott, daß ich zum Fenster gesprungen wäre. Aber es war hinter dem Vorhang verborgen, so wie Sie es sahen und ist mir daher nicht in den Sinn gekommen. Dann hörte ich den Schritt von Mrs. Douglas, und es mußte natürlich meine Aufgabe sein, zu verhindern, daß sie in das Zimmer kam. Es wäre zu schrecklich gewesen.«
»Schrecklich ist nicht zuviel gesagt«, bemerkte der Doktor, der den zerschmetterten Kopf und den grauenerregenden Zustand der unmittelbaren Umgebung betrachtete. »Ich habe seit dem großen Eisenbahnunglück in Birlstone keine so fürchterlichen Verletzungen gesehen.«
»Sagen Sie mir bitte,« bemerkte der Polizeibeamte, dessen ländliches, langsam denkendes Gehirn sich noch immer mit dem offenen Fenster beschäftigte, »es ist alles recht gut und schön, was Sie da sagen von dem Mann, der den Festungsgraben durchwatet hat und dadurch entkommen ist, aber, und das möchte ich Sie hiermit fragen, wie kann er überhaupt ins Haus gekommen sein, wenn die Brücke aufgezogen war?«
»Das möchte ich auch wissen«, sagte Barker.
»Um wieviel Uhr wurde sie aufgezogen?«
»Es ging gerade auf sechs«, bemerkte Ames.
»Ich habe gehört,« sagte der Sergeant, »daß dies gewöhnlich um Sonnenuntergang herum geschieht. Das wäre um diese Jahreszeit eher etwa um halb fünf als sechs.«
»Frau Douglas hatte Besuch zum Tee«, antwortete Ames. »Ich konnte die Brücke nicht gut aufziehen, bevor die Besucher gegangen waren.«
»Die Sache ist also die,« meinte der Sergeant, »wenn irgend jemand von außen hereingekommen ist, – wenn, sage ich, – so muß dies schon vor sechs geschehen sein, und der Betreffende muß sich dann versteckt gehalten haben, bis Mr. Douglas nach elf das Zimmer betrat.«
»So ist es. Mr. Douglas machte jede Nacht vor dem Schlafengehen eine Runde durch das Haus, um zu sehen, ob alle Lichter ausgemacht seien. Zu diesem Zweck ist er auch hierher gekommen. Der Mann hat hier gewartet und ihn niedergeschossen, dann machte er sich durch das Fenster davon, ließ aber sein Gewehr zurück. Das ist meine Ansicht von der Sache, – die einzige, die mir auf Grund der vorliegenden Tatsachen möglich erscheint.«
Der Sergeant hob eine Karte auf, die neben dem Toten auf dem Fußboden lag. Darauf befanden sich nur zwei Buchstaben V V mit der Zahl 341 darunter, grob mit Tinte geschrieben.
»Was ist das?«, fragte er, indem er die Karte hochhielt.
Barker betrachtete sie neugierig.
»Die Karte ist mir noch gar nicht aufgefallen«, sagte er. »Die muß der Mörder hinterlassen haben.«
»V V 341, was kann das wohl bedeuten?«
Der Sergeant drehte sie mit seinen dicken Fingern von einer zur anderen Seite.
»Was ist V V? Jemandes Anfangsbuchstaben wahrscheinlich. Und was haben Sie da, Dr. Wood?«
Es war ein ziemlich großer Hammer, der auf dem Teppich vor dem Kaminfeuer gelegen hatte, ein kräftiges, solides Handwerkszeug. – Cecil Barker wies auf eine Schachtel mit Messingnägeln, die auf dem Kaminsims stand.