miteinander verbunden, daß beide Läufe gleichzeitig losgingen, wenn man den hinteren abzog. Wer das bewerkstelligt hat, war fest entschlossen, seinem Opfer keine Chance eines Davonkommens zu geben. Die abgesägte Flinte war nur etwa 60 Zentimeter lang. Man kann sie bequem unter dem Rock tragen. Der Name des Fabrikanten war unvollständig, man konnte nur die Silbe ›Pen‹ auf der Rille zwischen den beiden Läufen lesen; das übrige war offenbar auf dem abgesägten Teil.«
»Ein großes ›P‹ mit einem Schnörkel darüber und dann e und n etwas kleiner?« fragte Holmes.
»Sehr richtig.«
»Pennsylvania Small Arms Co., eine wohlbekannte amerikanische Firma«, erklärte mein Freund.
White Mason blickte ihn mit ebensolcher Ehrfurcht an, wie etwa der Dorfarzt einen Universitätsprofessor, der durch ein Wort Schwierigkeiten löst, die für jenen eine unübersteigbare Mauer bilden.
»Ausgezeichnet, Mr. Holmes! Sie haben Recht, ohne Zweifel. Wundervoll, wundervoll! Sagen Sie, haben Sie die Namen aller Waffenfabriken der ganzen Welt im Kopf?«
Holmes machte eine abwehrende Bewegung.
»Zweifellos ist es eine amerikanische Flinte«, fuhr White Mason fort. »Ich glaube irgendwo gelesen zu haben, daß abgeschnittene Schrotflinten in Amerika sehr gebräuchlich sind. Ich dachte schon daran, unabhängig von dem Namen auf dem Lauf. Wir können dies als einen Beweis auffassen, daß der Mann, der sich in das Haus geschlichen und den Hausherrn getötet hat, ein Amerikaner ist.«
McDonald schüttelte den Kopf.
»Mensch, halten Sie Ihre Gedanken im Zaun«, sagte er. »Wir haben noch gar keinen Beweis, daß sich überhaupt jemand ins Haus geschlichen hat.«
»So! Und das offene Fenster, das Blut am Fensterbrett, die sonderbare Karte, die Fußspuren in der Ecke, die Flinte, ist das gar nichts?«
»Es ist nichts, was nicht auch absichtlich hätte inszeniert werden können. Mr. Douglas war Amerikaner oder hat lange in Amerika gelebt, desgleichen Mr. Barker. Sie brauchen nicht erst einen Amerikaner von außen zu importieren, um eine Erklärung für amerikanische Vorkommnisse im Hause zu haben.«
»Ames, der Diener, –«
»Was ist’s mit ihm? Ist er zuverlässig?«
»Er war zehn Jahre bei Sir Charles Chandos. Er ist unbedingt einwandfrei. Hier bei Douglas war er während der ganzen fünf Jahre, die dieser das Haus bewohnt hat. Er sagte mir, daß er niemals eine Flinte dieser Art im Hause bemerkt hat.«
»Die Flinte ist leicht zu verstecken und offenbar auch dazu bestimmt; darum die abgesägten Läufe. Sie geht in jede größere Schachtel. Wie kann er mit Bestimmtheit sagen, daß keine solche Flinte im Hause war.«
»Jedenfalls hat er keine gesehen.«
McDonald schüttelte seinen störrischen Kopf.
»Ich bin gar nicht überzeugt, daß jemand von außen ins Haus gekommen ist«, sagte er. »Überlegen Sie sich einmal, was es bedeuten würde, wenn tatsächlich jemand die Flinte ins Haus gebracht hätte und alle diese sonderbaren Dinge von einer Außenperson verübt worden wären. Mensch, es ist geradezu undenkbar. Es widerspricht jeder gesunden Logik. Was ist Ihre Meinung, Mr. Holmes, nach dem, was wir bisher gehört haben?«
»Zunächst legen Sie uns einmal den Fall dar, Mr. Mac«, sagte Holmes im Tone des Untersuchungsrichters.
»Der Mann war kein Einbrecher, wenn wir schon annehmen, daß ein solcher Mann überhaupt existiert hat. Die Sache mit dem Ring und die Karte deuten auf persönliche Motive hin. Nun gut. Denken wir uns einen Mann, der sich in das Haus schleicht mit dem bestimmten Vorsatz, jemanden umzubringen. Er weiß und mußte wissen, daß für ihn ein Entrinnen äußerst schwierig ist, weil das Haus ringsum von Wasser umgeben ist. Was für eine Waffe würde er verwenden? Ich würde sagen, die geräuschloseste, die es gibt, denn er mußte doch trachten, nach vollbrachter Tat Zeit zu gewinnen, um aus dem Fenster zu steigen, den Wassergraben zu durchwaten und sich auf der anderen Seite davonmachen zu können. Das wäre verständlich. Aber es ist nicht verständlich, daß er etwas so Ausgefallenes tun würde, eine Waffe zu wählen, die nach menschlichem Ermessen jeden Hausbewohner in kürzester Zeit zur Stelle bringen würde, bevor er den Wassergraben durchqueren konnte. Halten Sie das für logisch, Mr. Holmes?«
»Ich muß sagen,« antwortete mein Freund nachdenklich, »Sie haben starke Gründe für sich. Sicherlich wäre die Erklärung einer solchen Handlungsweise nicht ganz einfach. Darf ich Sie fragen, Mr. White Mason, ob Sie den Boden auf der anderen Seite des Wassergrabens untersucht haben und Spuren eines Menschen, der aus dem Wasser gestiegen war, entdeckten?«
»Nicht das geringste von Spuren, Mr. Holmes. Die Böschung ist gepflastert, und wir konnten natürlich nichts anderes erwarten.«
»Keinerlei Anzeichen irgendwelcher Art?«
»Keine.«
»Haben Sie etwas dagegen, Mr. White Mason, wenn wir jetzt zum Haus hinuntergehen? Vielleicht finden wir noch irgend etwas, das uns einen Anhaltspunkt bieten könnte.«
»Das wollte ich soeben vorschlagen, Mr. Holmes. Ich habe es nur für ratsam gehalten, Ihnen zuerst alles mitzuteilen, was ich weiß. Ich denke mir, daß, wenn Sie irgend etwas finden, –« White Mason betrachtete den Amateurdetektiv zweifelnd.
»Ich habe mit Mr. Holmes schon öfter gearbeitet,« sagte Inspektor McDonald, »man kann sich auf ihn verlassen.«
»Wenigstens soweit, als ich dies für notwendig erachte«, bemerkte Holmes lächelnd. »Wenn ich mich je von der Seite der Polizei getrennt habe, so geschah dies, weil sie sich von mir trennte. Ich arbeite, um der Polizei und der Rechtspflege zu nützen. Es liegt mir nicht das geringste daran, einen Triumph auf deren Kosten einzuheimsen. Dagegen beanspruche ich für mich, Mr. White Mason, auf meine eigene Weise vorgehen und was ich finde, zu der Zeit preisgeben zu dürfen, die ich für die geeignete halte, – vollständig und nicht ratenweise.«
»Ihre Mitwirkung ehrt uns sehr, das kann ich Ihnen versichern, Mr. Holmes, und wir werden Ihnen gern alles zur Verfügung stellen, was wir wissen«, erklärte White Mason herzlich. »Kommen Sie, Dr. Watson, wir hoffen alle noch in Ihr Buch zu kommen.«
Wir schritten die wunderliche, auf beiden Seiten von gestutzten Ulmen eingefaßte Dorfstraße entlang. Jenseits sahen wir zwei altertümliche Steinpfeiler, verwittert und mit Flechten besät, die oben ein unbestimmtes Etwas, das einmal der Wappenlöwe der Capus von Birlstone gewesen sein mochte, trugen. Dann folgte ein kurzer gewundener Weg zwischen Wiesen, flankiert von Eichen, wie man sie nur im ländlichen England findet. Nach einer unvermittelten Wendung lag das langgestreckte, niedrige Haus aus der jakobinischen Periode mit seinem dunkelbraunen Ziegelmauerwerk, umgeben von seinem altmodischen Garten mit zahlreichen beschnittenen Eibenbäumen vor uns. Als wir uns näherten, gewahrten wir die hölzerne Zugbrücke und den schönen breiten Festungsgraben, in dem das stille Wasser wie Quecksilber in dem kalten Wintersonnenschein glitzerte. Drei Jahrhunderte waren an dem alten Herrenhaus vorbei gezogen, Jahrhunderte, die viele Menschen darin geboren werden, ausziehen und wiederkehren sahen, Jahrhunderte, erfüllt von Lustbarkeiten und ländlich-sportlichem Zeitvertreib. Es war ein eigenartiges Verhängnis, daß jetzt, in seinen alten Tagen, der Schatten dieses düsteren Ereignisses auf seine ehrwürdigen Mauern fallen mußte. Und doch bildeten diese sonderbar gegiebelten Dächer, mit ihren altmodischen, wunderlichen Vorsprüngen, die stimmungsvolle Bedachung eines ernsten, schrecklichen Geschehnisses. Als ich die tief eingelassenen Fenster und die lang hingestreckte, dunkle, vom Wasser bespülte Fassade sah, kam mir zum Bewußtsein, daß kaum ein passenderes Milieu für ein solches Drama denkbar war.
»Das ist das Fenster,« sagte White Mason, »jenes, unmittelbar zur Rechten der Zugbrücke. Wir haben es offen gelassen, genau wie wir es gestern abend fanden.«
»Es sieht etwas schmal aus für einen erwachsenen Mann.«
»Nun, er kann eben nicht besonders beleibt gewesen sein. Wir brauchen nicht Ihre Schlußfolgerungen, Mr. Holmes, um das zu wissen. Aber jeder von uns beiden