gut zum Stil eines großen Hauses, das entspricht dem Bild, das man sich gern von einem solchen Haushalt macht. Wie schön, wenn die ganze Familie sich regelmäßig zum Gebet versammelt!»
«Wunderschön!» sagte Miss Crawford lachend. «Es muß den Häuptern der Familie ungeheuer guttun, all die armen Hausmädchen und Diener zu zwingen, zweimal täglich ihre Arbeit oder ihre Muße zu unterbrechen und hier Gebete aufzusagen, während sie selber alle möglichen Vorwände erfinden, um der Andacht fernzubleiben.»
«Das entspräche wohl kaum Fannys Vorstellung von einer Familienandacht», bemerkte Edmund. «Wenn Herr und Herrin ihr nicht beiwohnen, muß die Sitte mehr Schaden als Nutzen bringen.»
«Auf alle Fälle ist es empfehlenswert, die Menschen in diesem Punkt ihrem eigenen Gewissen zu überlassen», sagte Miss Crawford. «Jeder verrichtet seine Andacht gern auf seine eigene Fasson, wann und wie es ihm am besten liegt. Der starre Zwang, zur bestimmten Stunde hier zu erscheinen, die Förmlichkeit, die Länge des Gottesdienstes – nein, das ist schrecklich und kann niemandem gefallen. Wenn die guten Leutchen, die einst hier gekniet und gegähnt haben, geahnt hätten, daß eine Zeit kommen würde, da man, beim Erwachen von Kopfschmerzen geplagt, zehn Minuten länger im Bett bleiben darf, ohne die ewige Verdammnis zu riskieren – sie wären vor Freude und Neid in die Luft gesprungen! Können Sie sich nicht lebhaft vorstellen, mit welchen Gefühlen die einstigen Schönen des Hauses Rushworth so manches liebe Mal diese Kapelle betreten haben? Ach, die armen Fräulein Eleonore und Brigitte hatten hinter ihren frommen Mienen wohl meist ganz andere Dinge im Kopf – besonders wenn an dem armen Hauskaplan nicht viel Sehenswertes war – und zu jenen Zeiten, denke ich, waren die Pfarrer noch viel minderwertiger als heutzutage.»
Ein paar Augenblicke lang erhielt sie keine Antwort. Fanny war ganz rot geworden und sah Edmund an, war aber zu böse, um etwas zu sagen, und er mußte sich erst ein wenig sammeln, ehe er erwidern konnte: «Ihr lebhafter Geist kann nicht einmal ernste Dinge ernsthaft betrachten. Sie haben uns da ein amüsantes Bild skizziert, und angesichts der menschlichen Natur kann man nicht einmal sagen, daß es falsch wäre. Wir alle kennen Augenblicke, in denen es uns schwerfällt, uns zu konzentrieren. Wenn Sie aber annehmen, daß dies der Normalfall ist, eine Schwachheit also, die durch mangelnde Selbstzucht zur Gewohnheit wird – was erwarten Sie dann von der privaten Andachtsübung solcher Menschen? Glauben Sie, daß die Gedanken, die man in der Kirche ungehindert umherschweifen läßt, im stillen Kämmerlein gesammelter wären?»
«Sehr wahrscheinlich ja. Zwei Umstände mindestens sprechen dafür: es gibt dort weniger Dinge, die die Aufmerksamkeit ablenken, und sie wird nicht so lange auf die Probe gestellt.»
«Ein Mensch, der in dem einen Fall nicht gegen seine Zerstreutheit ankämpft, würde sich im anderen Fall eben von anderen Dingen ablenken lassen; und die Stimmung des Ortes wie auch das Beispiel der anderen dürften oft einen günstigen Einfluß ausüben, so daß man die Kapelle andächtiger verläßt, als man sie betreten hat. Dagegen gebe ich zu, daß die ungebührliche Länge des Gottesdienstes manchmal auch den Frömmsten auf eine harte Probe stellt. Man möchte wünschen, daß es anders wäre – aber ich bin noch nicht so lange von Oxford fort, um gewisse Gebetsstunden vergessen zu haben.»
Während dieses Gespräches hatten sich die anderen in der Kapelle zerstreut, und Julia machte Mr. Crawford auf ihre Schwester aufmerksam: «Sehen Sie nur Mr. Rushworth und Maria an, wie sie nebeneinander vor dem Altar stehen, als sollten sie im nächsten Augenblick getraut werden! Sieht es nicht genau so aus?»
Mr. Crawford drückte seine Zustimmung durch ein Lächeln aus. Dann trat er an Maria heran und sagte so leise, daß nur sie es vernehmen konnte: «Ich sehe Miss Bertram nicht gern dem Altar so nahe.»
Die junge Dame wich in der ersten Überraschung unwillkürlich einen Schritt zurück, faßte sich aber gleich wieder und fragte lachend, aber in nicht viel lauterem Ton als er, ob er vielleicht den Brautführer spielen wolle?
«Ich fürchte, das würde ich sehr schlecht machen», erwiderte er mit einem vielsagenden Blick.
Julia, die sich in diesem Augenblick zu ihnen gesellte, spann ihren Scherz weiter aus.
«Nein wirklich, es ist doch jammerschade, daß es nicht gleich losgehen kann! Hier sind wir alle so gemütlich beisammen, ich könnte mir gar nichts Netteres und Intimeres vorstellen!» So schwatzte und lachte sie ungeniert weiter, bis auch Mr. Rushworth und seine Mutter ihre Anspielungen erfaßten; sie beschwor damit einen Schwall von geflüsterten Galanterien auf ihre Schwester herab, während Mrs. Rushworth mit geziertem Lächeln und geziemender Würde erklärte, wann immer das große Ereignis stattfände, würde es für sie ein beglückender Tag sein.
«Wenn Edmund doch schon ordiniert wäre!» rief Julia und lief zu ihrem Bruder hinüber, der neben Miss Crawford und Fanny stand. «Edmund, wenn du jetzt Pfarrer wärest, könntest du auf der Stelle die Trauung vollziehen! So ein Pech, daß du noch nicht in Amt und Würden bist! Sieh nur, Mr. Rushworth und Maria warten nur auf dich!»
Was bei Julias Worten in Miss Crawfords Miene vorging, hätte jeden unbeteiligten Zuschauer höchlich belustigt. Sie sah vollkommen entgeistert drein, und Fanny fühlte Mitleid mit ihr. Wie peinlich muß ihr jetzt sein, was sie vorhin gesagt! dachte sie.
«Ordiniert!» wiederholte Miss Crawford.
«Was – sollen Sie am Ende Pfarrer werden?»
«Ja, sobald mein Vater zurückkehrt, werde ich in mein Amt eingesetzt – wahrscheinlich zu Weihnachten.»
Miss Crawford nahm sich zusammen, und die Farbe kehrte wieder in ihre Wangen zurück. Sie antwortete nur: «Wenn ich das gewußt hätte, hätte ich respektvoller von dem schwarzen Rock gesprochen», und begann dann von anderen Dingen zu reden.
Bald darauf überließ man die Kapelle wieder der Stille und Verlassenheit, die mit wenigen Unterbrechungen das ganze Jahr lang dort herrschten. Miss Bertram, die sich über ihre Schwester ärgerte, wandte sich als erste zum Gehen, und alle hatten plötzlich das Gefühl, sie hätten lange genug hier verweilt.
Man hatte jetzt das ganze Erdgeschoß des Hauses besichtigt, und die unermüdliche Mrs. Rushworth hätte ihre Schritte zur Haupttreppe gelenkt, um auch noch sämtliche oberen Räume vorzuführen, wenn ihr Sohn nicht Bedenken geäußert hätte, daß die Zeit nicht reichen würde.
«Denn», sagte er mit der zwingenden Logik, die auch mancher hellere Kopf nicht immer zu vermeiden weiß,«wenn wir uns zu lange im Haus versäumen, bleibt uns nicht mehr Zeit genug für den Park. Es ist zwei Uhr vorbei, und um fünf sollen wir essen.»
Mrs. Rushworth fügte sich, und die Frage, wie und von wem der Park besichtigt werden sollte, trat nun wieder in den Vordergrund. Mrs. Norris begann bereits auszurechnen, mit welcher Kombination von Wagen und Pferden am meisten vollbracht werden könnte, doch da gewahrten die jungen Leute eine verlockend geöffnete Tür, durch die man über ein paar Stufen unmittelbar ins Grüne, in Wald und Wiese und alle Herrlichkeiten des sommerlichen Parks gelangte, und wie von der gleichen Sehnsucht nach Luft und Freiheit gepackt, strömten sie alle zugleich ins Freie.
«Vielleicht gehen wir zuerst hierher», sagte Mrs. Rushworth, die, sich höflich dem unausgesprochenen Wunsch ihrer Gäste fügend, folgte.
«Hier sind unsere interessanten Pflanzen und auch die merkwürdigen Fasane.»
«Ich stelle die Frage», rief Mr. Crawford, während er seinen Blick ringsum schweifen ließ, «ob wir nicht, bevor wir weitergehen, hier einiges zu tun finden. Ich sehe da allerhand vielversprechende Wege. Mr. Rushworth, sollen wir auf diesem Rasenplatz eine Beratung einberufen?»
«James», sagte Mrs. Rushworth zu ihrem Sohn, «ich denke, die Wildnis wird alle Herrschaften interessieren. Die Fräulein Bertram haben die Wildnis noch nicht gesehen.»
Niemand widersprach, aber fürs erste schien auch niemand gesonnen, sich einem bestimmten Plan unterzuordnen oder auch nur ein Stück weiterzugehen. Alle zerstreuten sich in glücklicher Unabhängigkeit über den Platz und betrachteten die Pflanzen und die Fasane. Mr. Crawford war der erste, der sich weiter entfernte, um die Möglichkeiten zu prüfen, die sich auf dieser Seite des Hauses boten. Der zu beiden