und Crawford-Gefühle, und in der Nähe von Sotherton gewannen die ersteren beträchtlich an Gewicht. Mr. Rushworths Ansehen erhöhte ihr eigenes Ansehen. Wenn sie Miss Crawford erklärte, daß jene Wälder dort schon zu Sotherton gehörten, wenn sie mit scheinbarer Gleichmütigkeit bemerkte, hier sei das Land zu beiden Seiten der Straße Mr. Rushworths Besitz, konnte sie nicht verhindern, daß ihr Herz vor Stolz schwoll. Und das Gefühl ihrer Überlegenheit verstärkte sich, je mehr sie sich dem schloßartigen Herrenhaus, dem Sitz einer alten Adelsfamilie mit allen feudalen Traditionen, näherten.
«Jetzt hört das Holpern auf, Miss Crawford, wir haben das Schlimmste überstanden. Von hier an ist die Straße gut, Mr. Rushworth hat sie ausgebaut, seit er den Besitz übernahm. Hier beginnt das Dorf. Die Hütten dort sind wahrhaftig eine Schande. Der Kirchturm gilt als sehr schön. Ich bin froh, daß die Kirche nicht so nahe beim Herrenhaus liegt, wie es auf diesen alten Landsitzen häufig vorkommt, das Glockengeläute muß einem schrecklich lästig werden. Dies hier ist das Pfarrhaus, ein wohlgepflegtes Haus, nicht wahr? Der Pfarrer und seine Frau sollen sehr nette Leute sein. Die Hüttchen dort bilden das Altersheim, von irgendeinem Vorfahren erbaut. Rechts ist das Haus des Verwalters, er ist ein sehr achtbarer, tüchtiger Mann. Jetzt kommen wir zur Einfahrt, aber wir haben noch fast eine Meile durch den Park zu fahren. Wie Sie sehen, ist er auf dieser Seite nicht häßlich. Die Bäume sind zum Teil prachtvoll, aber das Haus liegt schrecklich ungünstig. Von hier an geht es eine halbe Meile lang ständig abwärts. Es ist sehr schade, denn an sich wäre es kein unschönes Haus, wenn es nur imposanter gelegen wäre.»
Miss Crawford war nicht faul, alles zu bewundern; sie erriet Miss Bertrams Gefühle ziemlich genau und machte es sich zur Ehrenpflicht, sie in ihrem freudigen Stolz zu bestärken. Mrs. Norris hörte nicht auf, ihr Entzücken zu äußern, und selbst Fanny hatte ein Wort der Bewunderung zu sagen und wurde freundlich angehört. Ihre Augen nahmen begierig alles im Umkreis auf; und nachdem sie beim ersten, mit einiger Mühe gewonnenen Anblick des Hauses erklärt hatte, es sei ein Gebäude, das sie nicht ohne Ehrfurcht betrachten könne, fügte sie hinzu: «Aber wo ist die Allee? Das Haus liegt nach Osten, wie ich sehe. Die Allee muß also auf der anderen Seite sein. Mr. Rushworth hat von der Westfront gesprochen.»
«Ja, sie beginnt direkt hinter dem Haus und führt eine gute halbe Meile weit immer ansteigend zum höchsten Punkt des Parks. Von hier aus sieht man ein kleines Stück davon – das entferntere Ende. Es sind lauter uralte Eichbäume.»
Miss Bertram war jetzt in der Lage, mit großer Sachkenntnis über Dinge zu sprechen, von denen sie keine Ahnung gehabt hatte, als Mr. Rushworth sie um ihre Meinung fragte, und da nun der Wagen an der breiten Freitreppe des Hauses hielt, pochte ihr Herz in so glücklicher Erregung, wie Eitelkeit und Stolz sie nur hervorbringen können.
9. Kapitel
Mr. Rushworth stand schon in der Tür, um die Dame seines Herzens zu empfangen, und begrüßte die ganze Gesellschaft mit der größten Zuvorkommenheit; drinnen im Salon wurden sie von seiner Mutter nicht minder herzlich willkommen geheißen, und Miss Bertram konnte mit der Auszeichnung, die ihr zuteil wurde, zufrieden sein. Als die Begrüßung abgetan war, mußte man erst einmal etwas essen. Türen wurden aufgerissen und die Gesellschaft durch ein oder zwei dazwischenliegende Räume ins Eßzimmer genötigt, wo ein reichlicher, elegant angerichteter Imbiß vorbereitet war. Es wurde viel geredet und viel gegessen, und alle waren guter Dinge. Dann kam man zum eigentlichen Zweck des Tages: Mr. Crawford sollte sich äußern, wie er sich die Besichtigung des Grundstücks vorstellte, auf welche Weise er vorzugehen wünschte. Mr. Rushworth erwähnte sein Kabriolett. Mr. Crawford plädierte für einen Wagen, der Raum für mehr als zwei Personen böte; sich der Augen und des Urteils anderer zu berauben, könnte – ganz abgesehen vom Verzicht auf eine so angenehme Gesellschaft – der Sache zu dauerndem Nachteil gereichen.
Mrs. Rushworths Vorschlag, außer dem Kabriolett auch die Chaise zu nehmen, fand wenig Anklang; die jungen Damen würdigten ihn keines Lächelns und keines Wortes. Ihr nächstes Anerbieten, den Gästen, die ihr heute zum erstenmal die Ehre gaben, das Haus zu zeigen, wurde wohlwollender aufgenommen; denn Miss Bertram schmeichelte es, die Größe ihres künftigen Besitzes vorzuführen, und die anderen waren froh, wenn nur überhaupt etwas unternommen wurde.
So erhoben sich denn alle und durchwanderten unter Mrs. Rushworths Führung eine lange Reihe von hohen und zum Teil sehr großen Räumen, die vor etwa fünfzig Jahren nach der damaligen Mode reich und prächtig eingerichtet waren:
glänzende Parkettböden, schwere Mahagonimöbel, Brokat, Marmor, Stuck und vergoldetes Schnitzwerk, wohin das Auge blickte. Bilder waren im Überfluß vorhanden, darunter einige gute, doch die meisten nur Familienporträts, die für niemand außer Mrs. Rushworth von Bedeutung waren. Sie hatte viel Fleiß darauf verwandt, alles, was die Haushälterin zu überliefern wußte, auswendig zu lernen, und war jetzt fast ebensogut befähigt, das Haus zu zeigen. Beim gegenwärtigen Anlaß wandte sie sich mit ihren Erklärungen hauptsächlich an Miss Crawford und Fanny, doch die Bereitwilligkeit, mit der die beiden ihren Worten folgten, ließ sich gar nicht vergleichen; Miss Crawford, die Dutzende von großen Häusern besichtigt hatte und sich aus keinem etwas machte, gab sich nur den Anschein, höflich zuzuhören, während Fanny, der dies ebenso interessant wie neu war, mit ungeheuchelter Aufmerksamkeit auf alles lauschte, was Mrs. Rushworth von den Schicksalen der Familie, von ihrem Aufstieg und ihrer Größe, von königlichen Besuchen und loyalen Taten zu berichten wußte. Sie verband das Gehörte eifrig mit den ihr bekannten geschichtlichen Ereignissen, und ihre Phantasie entzündete sich an den Bildern aus der Vergangenheit.
Infolge der Lage des Hauses bot keines der Zimmer eine besondere Aussicht, und während Fanny und einige andere Mrs. Rushworth zuhörten, machte Mr. Crawford ein ernstes Gesicht und sah kopfschüttelnd nach den Fenstern hin. Alle Räume der Westfront blickten über eine Rasenfläche auf einen Zaun aus hohen Eisenstäben, hinter dem die berühmte Allee begann.
Nachdem sie unendlich viele Räume besichtigt hatten, die keinen anderen Nutzen haben konnten, als etwas zur Fenstersteuer beizutragen und den Hausmädchen Beschäftigung zu verschaffen, sagte Mrs. Rushworth: «Und jetzt kommen wir zur Kapelle. Von Rechts wegen sollten wir sie vom oberen Stockwerk aus betreten; da wir aber heute ganz unter Freunden sind, werde ich Sie, wenn Sie gestatten, gleich hier hineinführen.»
Sie traten ein. Fannys Einbildungskraft hatte sie etwas Großartigeres erwarten lassen als einen länglichen, zu Andachtszwecken eingerichteten Raum, der nichts Auffallenderes oder Feierlicheres enthielt als einen Überfluß an Mahagoni und ein paar karminrote Samtkissen auf der Brüstung der oberen Galerie, wo die Familie ihren Platz hatte. «Ach, ich bin enttäuscht!» flüsterte sie Edmund zu. «Eine Kapelle habe ich mir anders vorgestellt. Hier gibt es nichts Großartiges – nichts, was melancholisch oder ehrfürchtig stimmt – keine Säulengänge und Bogengewölbe, keine Inschriften und Banner. Keine Banner, Edmund, ‹von nächtlichen Stürmen des Himmels gebläht›, kein Zeichen, daß ‹ein schottischer Herrscher hier unten ruht›.»
«Du vergißt, Fanny, daß dies hier, verglichen mit den alten Kapellen in Königsschlössern oder Klöstern, vor verhältnismäßig kurzer Zeit und zu einem sehr beschränkten Zweck gebaut wurde. Es ist nur für den Privatgebrauch der Familie bestimmt. Begraben wurden sie vermutlich in der Pfarrkirche. Dort mußt du deine Banner und Inschriften suchen.»
«Es war dumm von mir, nicht daran zu denken, aber ich bin enttäuscht.»
Mrs. Rushworth begann ihren Vortrag: «Die Kapelle, wie Sie sie jetzt sehen, wurde zur Zeit König Jakobs II. eingerichtet. Vor dieser Periode sollen die Kirchenstühle nur getäfelt gewesen sein, und es besteht Grund zur Annahme, daß die Draperien und Kissen der Kanzel und des Familienstuhles nur aus rotem Tuch waren, doch ist dies nicht sicher nachzuweisen. Es ist eine schöne Kapelle. Sie wurde früher täglich morgens und abends benützt. Der Gottesdienst wurde von einem eigenen Hausgeistlichen abgehalten, woran sich noch heute viele erinnern. Erst der selige Mr. Rushworth hat mit dieser Gepflogenheit gebrochen.»
«Jede Generation hat ihre Fortschritte», sagte Miss Crawford lächelnd zu Edmund.
Mrs. Rushworth war zu Mr. Crawford hinübergegangen, um ihm ihre Lektion zu wiederholen. Edmund,