ich ihn meinem Vater bringen, damit er ihn frankiert.» Fanny hielt das für ein kühnes Unterfangen, leistete aber
keinen weiteren Widerstand, und gemeinsam gingen sie ins Frühstückszimmer, wo Edmund ihr einen Bogen zurechtmachte und linierte – mit nicht geringerer Hilfsbereitschaft, als ihr eigener Bruder hätte zeigen können, und sehr wahrscheinlich mit größerer Präzision. Während sie schrieb, saß er die ganze Zeit neben ihr und kam ihr, je nach Bedarf, bald mit seinem Federmesser, bald mit seiner Orthographie zu Hilfe. Doch außer diesen Aufmerksamkeiten, die sie tief empfand, erwies er ihrem Bruder eine Freundlichkeit, die sie mehr als alles andere hinriß: er fügte mit eigener Hand Grüße an seinen Vetter William hinzu und sandte ihm beigeschlossen eine halbe Guinee. Fanny war von ihren Gefühlen so überwältigt, daß sie es für ausgeschlossen hielt, ihnen Ausdruck zu verleihen; doch ihre glückstrahlende Miene und ein paar naive Worte genügten, um ihre ganze Dankbarkeit und Freude zu offenbaren, und ihr Vetter begann sie interessant zu finden. Er plauderte weiter mit ihr, und alles, was sie sagte, überzeugte ihn von ihrem zärtlichen Gemüt und ihrem ernsthaften Streben, recht zu tun; ihre große Schüchternheit und ein sehr feines Empfinden für ihre Stellung empfahlen sie noch mehr seiner Aufmerksamkeit. Er hatte sie niemals wissentlich gekränkt, doch jetzt sah er, daß man ihr mit zu wenig tätiger Freundlichkeit entgegengekommen war. Er bemühte sich vor allem, ihre Angst vor sämtlichen Hausbewohnern zu zerstreuen, und gab ihr eine Menge gute Ratschläge, wie sie mit Maria und Julia spielen und fröhlich sein sollte.
Von diesem Tag an begann Fanny sich wohler zu fühlen. Sie wußte jetzt, daß sie einen Freund besaß, und die Freundlichkeit ihres großen Vetters verlieh ihr den anderen gegenüber mehr Mut. Das Haus schien ihr nicht mehr so fremd und seine Bewohner weniger furchterregend; wenn es unter ihnen auch welche gab, die ihr immer Angst einflößen würden, begann sie doch wenigstens, sich an ihre Art zu gewöhnen und sich damit abzufinden. Die kleinen Ungeschicklichkeiten und Tölpeleien, die anfangs auf alle Hausbewohner und nicht zuletzt auf sie selber so peinlich gewirkt hatten, verschwanden von selbst. Sie zitterte nicht mehr vor Angst, wenn sie vor ihrem Onkel erscheinen mußte, und Tante Norris’ Stimme ließ sie nicht mehr ganz so heftig aufschrecken. Ihren Cousinen wurde sie mit der Zeit eine ganz annehmbare Spielgefährtin. Wenn sie auch an Alter und Kräften nicht an sie heranreichte und daher unwürdig war, bei allem mitzutun, gab es doch Spiele, bei denen man gut eine Dritte brauchen konnte, besonders wenn diese Dritte von nachgiebigem, gefälligem Wesen war, so daß die Mädchen, wenn Tante Norris sich nach Fannys Sünden erkundigte oder Bruder Edmund für Fannys Rechte eintrat, großmütig erklären konnten, daß Fanny «ein ganz gutes Ding» sei.
Edmund selbst war unveränderlich lieb und gut zu ihr, und von Tom hatte sie nichts Schlimmeres zu erdulden als die Scherze, die jeder junge Mann von siebzehn Jahren einem zehnjährigen Mädelchen gegenüber für angebracht hält. Er trat gerade in die Welt ein und befand sich in der zuversichtlichen Hochstimmung und der großmütigen Laune eines ältesten Sohnes, der einzig zum Zweck des Amüsierens und Geldausgebens geboren zu sein meint. Die Aufmerksamkeiten, mit denen er seine kleine Cousine beehrte, entsprachen ganz seiner privilegierten Stellung: er machte ihr hübsche Geschenke und lachte sie aus.
Je mehr sich Fannys Aussehen und Benehmen besserten, mit desto größerer Befriedigung betrachteten Sir Thomas und Mrs. Norris ihr gutes Werk. Sie waren sich einig, daß sie zwar nichts weniger als gescheit, aber ein lenksames, kleines Geschöpf wäre, das ihnen keinen wesentlichen Ärger verursachen würde. Diese geringe Meinung von Fannys Fähigkeiten wurde auch von anderen geteilt. Fanny konnte lesen, schreiben und handarbeiten, aber mehr hatte man ihr nicht beigebracht. Ihre Cousinen hielten sie für unerhört dumm, weil sie von vielen Dingen, die ihnen längst vertraut waren, keine Ahnung hatte, und in den nächsten Wochen brachten sie ständig neue Berichte über Fannys Unwissenheit in den Salon. «Mama, denken Sie nur, sie kann die Landkarte von Europa nicht zusammenstellen – sie kennt nicht einmal die wichtigsten Flüsse Rußlands – sie hat nie etwas von Kleinasien gehört – sie weiß den Unterschied zwischen Aquarell und Pastell nicht! – Wie komisch! – Haben Sie je so etwas gehört?»
«Liebe Kinder», sprach dann wohl die feinfühlige Tante, «das ist wirklich arg, aber ihr könnt auch nicht erwarten, daß jeder so begabt ist und soviel gelernt hat wie ihr selber.»
«Aber, Tante, sie weiß rein gar nichts! Denken Sie nur, gestern abend haben wir sie gefragt, wie sie von hier nach Irland fahren würde, und sie hat gesagt, über die Insel Wight! Sie kennt nichts als die Insel Wight und nennt sie einfach ‹die Insel›, als ob es sonst auf der Welt keine Insel gäbe. Ich hätte mich geschämt, so dumm zu sein, als ich noch viel jünger war als sie. Ich kann mich überhaupt an keine Zeit erinnern, wo ich nicht schon eine Menge Dinge wußte, von denen sie keine Ahnung hat. Denken Sie nur, wie lang es her ist, daß wir die Könige von England in der richtigen Reihenfolge aufsagen gelernt haben, mit dem Datum der Thronbesteigung und den wichtigsten Ereignissen ihrer Regierung!»
«Ja», fiel die andere ein, «und die römischen Kaiser bis zu Severus hinunter und dazu noch die ganze heidnische Mythologie und alle Metalle, Halbmetalle, Planeten und berühmten Philosophen!»
«Das stimmt, mein Herzchen, aber ihr seid mit einem wunderbaren Gedächtnis begnadet, und eure arme Cousine hat wahrscheinlich überhaupt keines. Wie in allen anderen Dingen gibt es auch bei dem Gedächtnis der einzelnen Menschen große Unterschiede, und darum müßt ihr Mitleid mit euerer Cousine haben und sie nachsichtig behandeln. Vergeßt nicht, gerade weil ihr so gescheit und begabt seid, müßt ihr Bescheidenheit üben, denn soviel ihr auch schon wißt, habt ihr doch noch viel zu lernen.»
«Ja, ich weiß, bis wir siebzehn Jahre alt sind. Aber ich muß Ihnen noch etwas von Fanny erzählen, es ist zu komisch. Denken Sie nur, sie sagt, sie möchte weder Musik noch Zeichnen lernen!»
«Das ist wirklich sehr dumm von ihr und beweist einen großen Mangel an Ehrgeiz und Talent, mein Herzchen. Aber ich weiß nicht, ob es nicht im Grunde besser so ist, denn ihr wißt ja (ich selbst habe es euch gesagt), wenn eure guten Eltern auch so edel sind, sie mit euch zusammen zu erziehen, so ist es doch durchaus nicht nötig, daß sie so gebildet wird wie ihr. Im Gegenteil, es ist viel wünschenswerter, daß ein Unterschied bestehenbleibt.»
Das waren die Ratschläge, die Mrs. Norris zur Erziehung ihrer Nichten beisteuerte, und es ist nicht verwunderlich, daß es ihnen bei all ihren vielversprechenden Talenten und Kenntnissen doch völlig an einigen weniger verbreiteten Fertigkeiten mangelte, wie etwa Selbsterkenntnis, Großmut und Bescheidenheit. Alles an ihnen wurde vortrefflich ausgebildet – bis auf das Gemüt. Sir Thomas wußte nichts von diesem Mangel, denn obwohl er ein wahrhaft treubesorgter Vater war, verstand er es nicht, seine Zärtlichkeit zu zeigen, und seine zurückhaltende Art dämpfte jeden Gefühlserguß.
Lady Bertram kümmerte sich überhaupt nicht um die Erziehung ihrer Töchter. Dazu hatte sie keine Zeit. Sie verbrachte den Tag hübsch angezogen auf ihrem Sofa über einer endlosen Handarbeit, die weder nützlich noch schön war, und interessierte sich mehr für Mops als für ihre Kinder, zeigte sich aber diesen gegenüber sehr duldsam, solange sie nicht ihre Bequemlichkeit störten. In allen wichtigen Angelegenheiten ließ sie sich von Sir Thomas, in den minder bedeutenden Fragen des Alltags von ihrer Schwester leiten. Auch wenn sie mehr Zeit gefunden hätte, sich ihren Töchtern zu widmen, wäre ihr dies überflüssig erschienen. Sie waren der Obhut einer Gouvernante und den richtigen Lehrern anvertraut, und mehr brauchten sie ja nicht. Was Fannys vermeintliche Dummheit beim Unterricht betraf, konnte Lady Bertram nur sagen, das sei schade, aber manche Menschen wären eben dumm, und Fanny müsse sich mehr Mühe geben; sie wüßte nicht, was man sonst tun könnte; und abgesehen von ihrer Dummheit könne sie dem armen, kleinen Ding nichts vorwerfen – im Gegenteil, sie fände sie sogar sehr flink und anstellig, wenn sie ihr etwas auszurichten oder zu holen auftrüge.
So lebte sich Fanny mit allen ihren Fehlern, als da sind Unwissenheit und Schüchternheit, in Mansfield Park ein, lernte ein gut Teil ihrer Anhänglichkeit an das Elternhaus auf ihr neues Heim zu übertragen und wuchs nicht gerade unglücklich neben ihren Cousinen auf. Maria und Julia waren nicht bösartig, und wenn sie Fanny auch oft überheblich behandelten, so dachte diese doch zu gering von sich, um sich beleidigt zu fühlen.
Etwa um die Zeit, als Fanny in die Familie eintrat, fühlte sich