fühlte sich ebenso erleichtert wie ihre Cousinen und war sich dessen gleichfalls bewußt, doch ihrem zärtlicheren Gemüt erschien dieses Gefühl als Undank, und sie grämte sich aufrichtig darüber, daß sie nicht imstande war, sich zu grämen. Sir Thomas, der soviel für sie und ihre Brüder getan hatte, verreist – vielleicht auf Nimmerwiedersehen – und sie hatte ihn ohne Träne wegziehen gesehen! Welch schändliche Gefühllosigkeit! Obendrein hatte er ihr am allerletzten Morgen gesagt, er hoffe, daß sie William im Lauf des nächsten Winters wiedersehen werde, und hatte ihr aufgetragen, dem Bruder zu schreiben und ihn nach Mansfield einzuladen, sobald das Geschwader, zu dem er gehörte, nach England zurückkehrte. Wie lieb und fürsorglich war das gewesen! Und hätte er nur ein Lächeln für sie gefunden und sie «meine liebe, kleine Fanny» genannt, wäre alle seine frühere Kälte und Strenge augenblicklich vergessen gewesen. Doch wie es seine Art war, hatte er seine Rede mit einem Satz beendet, der sie aufs tiefste kränkte: «Wenn William nach Mansfield kommt, wirst du hoffentlich in der Lage sein, ihm zu beweisen, daß die vielen Jahre, die seit euerer Trennung verflossen sind, für dich nicht gänzlich ohne Nutzen waren – obwohl ich fürchte, daß er eine sechzehnjährige Schwester finden wird, die in vielen Punkten noch allzusehr einer zehnjährigen gleicht.» Als ihr Onkel davongefahren war, weinte Fanny bitterlich über diese Worte, und ihre Cousinen, die ihre geröteten Augen sahen, erklärten sie prompt zur Heuchlerin.
4. Kapitel
Tom Bertram hatte in den letzten Jahren so wenig Zeit zu Hause verbracht, daß man ihn nur dem Namen nach vermissen konnte. Nun entdeckte Lady Bertram zu ihrem Erstaunen, wie gut es auch ohne seinen Vater ging. Edmund wußte ihn trefflich zu ersetzen: er tranchierte bei Tisch den Braten, verhandelte mit dem Verwalter, korrespondierte mit dem Anwalt, zahlte der Dienerschaft den Lohn aus und ersparte ihr jede nur denkbare Mühe oder Anstrengung, bis auf das Adressieren ihrer Briefe.
Die Nachricht von der glücklichen Überfahrt und guten Ankunft der beiden Reisenden traf mit der frühesten Post ein, doch nicht so früh, daß Mrs. Norris nicht Zeit gehabt hätte, in den gräßlichsten Befürchtungen zu schwelgen. Sie suchte auch Edmund damit anzustecken, sooft sie ihn allein erwischte. Da sie sich darauf verließ, daß eine allfällige Katastrophe ihr zuerst zu Ohren kommen würde, hatte sie sich schon zurechtgelegt, wie sie den anderen die furchtbare Kunde schonend beibringen wollte – bis Sir Thomas’ Mitteilung, daß er und sein Sohn lebend und gesund in Antigua angekommen waren, sie nötigte, ihre Aufregung und ihre zartfühlend vorbereitenden Reden bis auf weiteres zu unterdrücken.
Der Winter kam und verging, ohne daß sich dafür Verwendung bot. Die Berichte lauteten weiterhin durchaus günstig. Und Mrs. Norris hatte soviel damit zu tun, ihre Nichten zu verschiedenen Unterhaltungen zu begleiten, ihre Toiletten zu begutachten, ihre Talente zur Schau zu stellen und nach ihren künftigen Bräutigamen Ausschau zu halten, daß sie – da ihr ja obendrein noch die Sorge für ihren eigenen Haushalt, die Einmischung in den Haushalt ihrer Schwester und die Kontrolle über Mrs. Grants verschwenderisches Treiben oblag – nur sehr wenig Zeit fand, sich auch noch mit Befürchtungen um die Abwesenden zu befassen.
Die Fräulein Bertram nahmen nun den ihnen gebührenden Platz unter den jungen Damen der Nachbarschaft ein, und da sie Schönheit und glänzend ausgebildete Talente mit natürlicher Unbefangenheit und den liebenswürdigsten gesellschaftlichen Manieren verbanden, erwarben sie sich bald die allgemeine Gunst und Bewunderung. Ihre Eitelkeit war so befriedigt, daß sie ganz frei davon schienen und auf jede Vornehmtuerei verzichteten; und die Komplimente über ihr feines Benehmen, die von ihrer Tante eingeheimst und ihnen wiedererzählt wurden, bestärkten sie noch in der Überzeugung, keine Fehler zu besitzen.
Lady Bertram ging nicht mit ihren Töchtern in Gesellschaft. Sie war so träge, daß selbst die mütterliche Freude, sich an den Erfolgen und Vergnügungen ihrer Kinder zu weiden, ihr keiner persönlichen Unbequemlichkeit wert schien. Diese Pflicht trat sie an ihre Schwester ab, die sich nichts Besseres wünschte, als so ehrenvoll zu repräsentieren, und ausgiebig die Gelegenheit genoß, in Gesellschaft zu fahren, ohne auf eigene Kosten Pferde mieten zu müssen.
Fanny nahm nicht an den winterlichen Lustbarkeiten teil, aber es beglückte sie, daß sie sich jetzt als Gesellschafterin ihrer Tante anerkanntermaßen nützlich machte, wenn alle anderen ausgeflogen waren; da Miss Lee nicht mehr in Mansfield weilte, war sie Lady Bertram an solchen Abenden natürlich unentbehrlich. Sie plauderte mit ihr, hörte ihr zu, las ihr vor, und diese stillen Abende zu zweit, an denen sie keinen unfreundlichen Ton zu gewärtigen hatte, waren ihrem Gemüt, das sich sonst kaum jemals vor peinlichen Überraschungen sicher fühlte, eine unbeschreibliche Wohltat. Von den Vergnügungen ihrer Cousinen, besonders von den Bällen und mit wem Edmund getanzt hatte, ließ sie sich gar zu gern erzählen; sie dachte aber viel zu gering von ihrer eigenen Stellung, um sich einzubilden, sie könnte jemals daran teilnehmen, so daß sie ganz unbefangen zuhörte. Alles in allem war es ein erfreulicher Winter für sie; er brachte zwar keinen William nach England, doch die nie versagende Hoffnung auf sein baldiges Eintreffen war auch etwas Schönes.
Der Frühling beraubte sie ihres lieben Freundes, des alten, grauen Ponys, und eine Zeitlang drohte dieser Verlust sich auch auf ihre Gesundheit auszuwirken. Obwohl es allgemein anerkannt wurde, wie wichtig das Reiten für sie war, wurde nichts unternommen, um ihr ein anderes Reittier zu beschaffen; sie könnte ja, bemerkten ihre Tanten, immer, wenn ihre Cousinen nicht ausritten, eins von deren Pferden benützen. Doch da die jungen Damen an jedem schönen Tag regelmäßig ihre Pferde vorführen ließen und gar nicht daran dachten, ihre scheinbare Gefälligkeit bis zur Aufopferung eines wirklichen Vergnügens zu treiben, kam diese Zeit natürlich nie. So trabten sie an jedem schönen April- und Maimorgen fröhlich davon, und Fanny saß entweder den ganzen Tag bei der einen Tante zu Hause oder machte über Antreiben der anderen lange Spaziergänge, die über ihre Kräfte gingen. Lady Bertram liebte es nicht, sich Bewegung zu machen, und hielt deshalb körperliche Betätigung auch für jeden anderen für überflüssig, während Mrs. Norris, die den ganzen Tag auf den Beinen war, meinte, daß alle Leute so viel herumlaufen sollten. Edmund war nicht zu Hause, sonst hätte er dem Übel früher abgeholfen. Als er bei seiner Heimkehr Fannys Lage und deren mißliche Folgen für ihre Gesundheit erkannte, gab es für ihn nur eines. «Fanny muß ein Pferd haben!» lautete die entschiedene Erklärung, die er allem, was die Lässigkeit seiner Mutter und die Sparsamkeit seiner Tante einzuwenden hatten, entgegensetzte. Mrs. Norris meinte, man könne sicher unter den Wirtschaftspferden eine ruhige, alte Mähre auftreiben, die für Fanny noch reichlich gut genug wäre – oder auch ein Pferd vom Verwalter ausborgen – oder vielleicht würde Doktor Grant ihnen hie und da das Pony leihen, das seine Post abzuholen pflegte; sie müsse schon sagen, sie fände es absolut überflüssig und sogar unschicklich, daß Fanny, im Stil ihrer Cousinen, ein regelrechtes eigenes Reitpferd besitzen sollte. Das sei sicher niemals Sir Thomas’ Absicht gewesen – und sie müsse schon sagen, eine solche Anschaffung in seiner Abwesenheit zu machen und die großen Auslagen für den Stall noch zu erhöhen, und dies zu einer Zeit, wo ein bedeutender Teil seiner Einkünfte gefährdet schien – das sei nicht zu verantworten. «Fanny muß ein Pferd haben!» lautete Edmunds einzige Antwort. Mrs. Norris wollte das nicht einsehen. Lady Bertram hingegen gab ihrem Sohn recht. Sie war ganz seiner Meinung, daß es notwendig sei und daß auch sein Vater es für notwendig halten würde – sie fand nur, die Sache habe keine Eile, sie bat ihn nur, Sir Thomas’ Rückkehr abzuwarten, dann könne Sir Thomas alles selbst entscheiden. Im September würde er wieder daheim sein, was könnte es schaden, bis zum September zu warten?
Obwohl Edmund sich nicht so sehr über seine Mutter als vielmehr über seine Tante ärgerte, die ihre Nichte nicht der kleinsten Rücksicht wert fand, konnte er doch über ihre Bedenken nicht einfach hinweggehen. Er entschied sich schließlich für einen Ausweg, der den Vorwurf allzu großer Eigenmächtigkeit seinem Vater gegenüber ausschloß und gleichzeitig Fanny ohne weiteren Aufschub die Reitgelegenheit verschaffte, die sie nicht länger entbehren durfte. Er besaß drei eigene Pferde, von denen aber keines für eine Dame geeignet war: zwei Jagdpferde und ein sehr brauchbares Reisepferd. Dieses letztere beschloß er gegen ein Tier umzutauschen, das seine Cousine tragen konnte. Er wußte, wo ein solches zu haben war, und der Handel war bald abgeschlossen. Die neue Stute erwies sich als ein Juwel; ein Mindestmaß an Mühe verwandelte sie in ein ideales Reitpferd