repräsentieren können. Man pflegte ein ausgedehntes gesellschaftliches Leben, was natürlich mehr oder weniger auch berufsbedingt war, und dort hatte man seine Rolle zu spielen. Dorothee hatte diese Rolle perfekt ausgefüllt. Sie bewegte sich sicher auf jedem Parkett und war eine ausgezeichnete und in Santiago de Chile viel gerühmte Gastgeberin, auf die ihr Mann wohl mit Recht stolz war und die auch vom Sohn bewundert wurde. Aber beide Männer konnten und wollten wohl nicht begreifen, daß Dorothee damit auf Dauer nicht zufrieden sein konnte.
Sie wollte nicht mehr bloß das Anhängsel ihres Mannes sein, ein Schmuckstück, das ihm mehr oder weniger gehörte und das er stolz vorzeigte. Sie wollte sie selbst sein, ihre eigenen Interessen haben, vielleicht sogar etwas leisten, was ihr selbst Spaß machte, und nicht mehr nur darauf achten müssen, daß die mehr oder weniger bedeutenden Gäste des Hauses gut unterhalten und angemessen abgefüttert wurden. Das war ihr einfach nicht mehr genug gewesen. Da mußte es doch auch noch etwas anderes geben! Doch das hatten weder ihr Mann Alexander noch ihr Sohn Hanno begriffen. Sie hatten wohl beide geglaubt, solche Launen würden wieder vorübergehen. Konnte Dorothee denn nicht zufrieden sein mit ihrem sorgenfreien Leben?
Ja, und dann hatte Dorothee ihren Koffer gepackt und war nach Europa geflogen. Einfach so. Und sie hatte ihren Mann wissen lassen, daß sie nicht vorhabe, zurückzukehren. Und wenn er die Scheidung wolle, wäre sie selbstverständlich damit einverstanden.
In München hatte sie sich eine kleine Wohnung genommen. Sie hatte begonnen, als Übersetzerin zu arbeiten, denn sie wollte ja etwas leisten… und dann war sie Rufus Toelken über den Weg gelaufen. Einem Mann, der im Grunde ja noch schlimmer war als Alexander.
Dorothee verzog bitter den Mund. Darauf sollte sie sich wahrhaftig nichts einbilden. Und was nun?
Sollte sie nun vielleicht als sitzengelassene Schwangere oder mit unehelichem Kind auf dem Arm zu Mann und Sohn zurückkehren?
Das war ein so verrückter Gedanke, daß Dorothee hellauf lachen mußte. Und dieses Lachen war wie eine Befreiung. Nein, nein, sie würde ganz gewiß nicht Trübsal blasen. Daß sie von Rufus Toelken enttäuscht worden war, geschah ihr ganz recht. Das hätte sie wissen müssen. Und darüber würde sie sich bestimmt keine grauen Haare wachsen lassen. Auf ihr Kind wollte sie sich freuen, und sie würde mit ihm glücklich sein.
Wie sie das aber genau organisieren wollte, wußte sie noch nicht. »Aber das muß ich ja nicht gleich heute entscheiden«, sagte sie laut und trank entschlossen den letzten Schluck Tee. »Wie hat doch Tante Mary immer gesagt? ›Kommen Kirschen, kommen Körbe.‹ Also halte ich mich daran. Wird schon werden.«
Und Dorothee schlief recht gut in dieser Nacht.
*
Ein Besuch beim Frauenarzt stand an. Dorothee nahm es sehr genau damit, sie wollte ihrem Kind von Beginn an alles an Fürsorge angedeihen lassen, was nur möglich war. Es war noch eine Patientin vor ihr, und Dorothee wartete im Vorraum des Sprechzimmers. Schwester Gudrun, die nette blonde Arzthelferin, arbeitete dort am Computer. Dorothee mochte die junge Frau. Bei früheren Besuchen hatten sie schon miteinander geredet, etwas mehr als die im Vorzimmer eines Arztes üblichen Fragen und Antworten. Etwas persönlicher.
So war es auch heute wieder. »Sie müssen sich gutfühlen, Frau Werth«, sagte Schwester Gudrun. »Ich finde, Sie sehen ganz großartig aus.«
»Danke«, lächelte Dorothee erfreut. »So etwas hört man natürlich gern. Und es stimmt auch, ich fühle mich eigentlich recht gut. Obwohl…«
»Wie, gibt es da noch eine Einschränkung?«
»Nun ja, nicht direkt. Es ist nur so… Sie wissen, daß ich nicht mehr jung bin. Nicht mehr jung im Sinne einer werdenden Mutter. Und meine Schwangerschaft war natürlich auch nicht geplant. Bei aller Freude, die ich ehrlich empfinde, gibt es eben doch auch Einschränkungen. In psychischer Hinsicht, wissen Sie? Können Sie das verstehen?«
»Ja, ich glaube schon. Aber ich denke, das wird nur im Augenblick so sein, Frau Werth. Wenn das jetzt noch Neue und Ungewohnte nicht mehr neu und ungewohnt für Sie sein wird, dann bleiben schließlich nur noch Freude und Glück übrig.«
»Glauben Sie?«
»Da bin ich mir sogar ganz sicher. Sie dürfen nicht vergessen, daß Sie doch auch vieles haben, worauf junge Mütter oft verzichten müssen.«
»Woran denken Sie da, Schwester Gudrun?«
»Nun, Sie können Ihrem Kind gesicherte Verhältnisse, eine Familie, ein Heim bieten. So etwas ist gar nicht so selbstverständlich, Frau Werth. Da spreche ich nämlich aus Erfahrung.«
»Ach, wirklich?« fragte Dorothee rasch. Sie hatte bisher hier in der Praxis noch nichts davon gesagt, daß sie von ihrem Mann getrennt lebte, und daß ihr Kind durchaus nicht in eine intakte Familie hineingeboren werden würde. Sie war auch nicht bereit, jetzt darüber zu sprechen, noch nicht. So bot ihr die Bemerkung der jungen Frau einen willkommenen Anlaß, von ihrem eigenen Problem abzulenken.
»Sie haben da eigene Erfahrungen, Schwester Gudrun?«
»Ja, das kann man wohl sagen. Ich habe nämlich ein Töchterchen, wissen Sie. Annika ist drei Jahre alt, und ich bin unendlich glücklich, daß ich sie habe. Uneingeschränkt, das müssen Sie mir glauben. Aber da sind Probleme, die mir allmählich über den Kopf zu wachsen drohen.«
»Ach, Schwester Gudrun, das tut mir aber leid. Wollen Sie darüber reden? Ich kann gut zuhören.«
»Wirklich? Ich glaube, ich würde tatsächlich gern reden. Manchmal denke ich nämlich schon, ich ersticke.«
»Ja, dann muß man alles herausreden. Dadurch allein wird manchmal schon vieles leichter. Und wenn ich Ihnen irgendwie helfen kann…«
Schwester Gudrun schüttelte mit einem kleinen leisen Lachen den Kopf. »Nein, nein, Frau Werth, da kann man nicht helfen. Damit muß ich schon allein fertig werden. Wissen Sie, ich bin das, was man heute eine alleinerziehende Mutter nennt. Das bin ich keineswegs ungern, denn mit Annikas Vater… also, ich wollte ihn nicht heiraten, verstehen Sie? Er war ein netter Kerl, aber er war einfach nicht das, was ich mir als Ehemann und als Vater für mein Kind vorstellte. Das habe ich ein bißchen spät gemerkt, das gebe ich zu, aber jedenfalls habe ich es nicht auf eine spätere Scheidung ankommen lassen wollen.«
»Ich finde das sehr vernünftig, Schwester Gudrun. Ob ich als junge Frau diesen Mut gehabt hätte, weiß ich nicht.«
»Ach, das kann man nicht sagen, Frau Werth. Ich halte Sie für eine sehr starke Frau. Sie stehen doch bestimmt auch zu einer Entscheidung, wenn Sie sie einmal getroffen haben.«
»Ja, das ist richtig«, nickte Dorothee und schmunzelte unwillkürlich. Denn sie dachte an ihren Mann und auch an Rufus
Toelken.
»Ja, sehen Sie«, fuhr Schwester Gudrun fort. »Die Entscheidung, die ich getroffen habe, war richtig. Ich stehe auch noch dazu. Aber sie hat auch nicht unerhebliche Opfer gekostet. Ich habe nämlich mein Studium abbrechen müssen. Ja, ich wollte Ärztin werden, Kinderärztin. Das war mein großer Traum. Aber Studium und gleichzeitig für ein Kind sorgen – nein, das ging nicht. Also bin ich jetzt hier in der Praxis Arzthelferin, um unseren Lebensunterhalt zu verdienen. Und abends und an den Wochenenden kann ich für mein Kind da sein.«
»Und wo ist Ihre Annika jetzt?«
»Bei meiner Mutter«, sagte die blonde, junge Frau und seufzte wohl unbewußt. »Ja, ich habe das Glück, daß meine Mutter sich bereiterklärt hat. Allerdings – das geht so jetzt auch nicht mehr weiter. Meine Mutter ist in zweiter Ehe mit einem wesentlich älteren Mann verheiratet. Und Annika ist sehr lebhaft und auch anstrengend. Sehen Sie, das ist das große Problem, an dem ich im Augenblick zu knabbern habe. Es kommt für mich überhaupt nicht in Frage, das Kind zu Pflegeeltern oder in ein Heim zu geben. Meiner Mutter kann ich die Doppelbelastung nicht mehr länger zumuten. Also wird es wohl darauf hinauslaufen, daß ich auch diesen Job hier aufgeben werden muß.«
»Aber es gibt doch Mutterschutz und andere soziale Hilfen.«
»Sicher gibt es das, und es ist auch gut