scheint mir geeigneter als diese großartige kosmologische Perspektive, um von vornherein den richtigen Maßstab und den weitsichtigen Standpunkt festzusetzen, welchen wir zur Lösung der Welträtsel einhalten müssen. Denn dadurch wird nicht nur die maßgebende »Stellung des Menschen in der Natur« klar bezeichnet, sondern auch der herrschende anthropistische Größenwahn widerlegt, die Anmaßung, mit welcher der Mensch sich dem unendlichen Universum gegenüberstellt und als wichtigsten Teil des Weltalls verherrlicht. Diese grenzenlose Selbstüberhebung des eiteln Menschen hat ihn dazu verführt, sich als »Ebenbild Gottes« zu betrachten, für seine vergängliche Person ein »ewiges Leben« in Anspruch zu nehmen und sich einzubilden, daß er unbeschränkte »Freiheit des Willens« besitzt. Der lächerliche Cäsarenwahn des Caligula ist eine spezielle Form dieser hochmütigen Selbstvergötterung des Menschen. Erst wenn wir diesen unhaltbaren Größenwahn aufgeben und die naturgemäße kosmologische Perspektive einnehmen, können wir zur Lösung der »Welträtsel« gelangen.
Zahl der Welträtsel. Der ungebildete Kulturmensch ist noch ebenso wie der rohe Naturmensch auf Schritt und Tritt von unzähligen Welträtseln umgeben. Je weiter die Kultur fortschreitet und die Wissenschaft sich entwickelt, desto mehr wird ihre Zahl beschränkt. Die monistische Philosophie wird schließlich nur ein einziges, allumfassendes Welträtsel anerkennen, das »Substanzproblem«. In der berühmten Rede, welche Emil du Bois-Reymond 1880 in der Leibniz-Sitzung der Berliner Akademie der Wissenschaften hielt, unterscheidet er »sieben Welträtsel«; er führt dieselben in nachstehender Reihenfolge auf: I. das Wesen von Materie und Kraft, II. der Ursprung der Bewegung, III. die erste Entstehung des Lebens, IV. die (anscheinend absichtsvoll) zweckmäßige Einrichtung der Natur, V. das Entstehen der einfachen Sinnesempfindung und des Bewußtseins, VI. das vernünftige Denken und der Ursprung der damit eng verbundenen Sprache, VII. die Frage nach der Willensfreiheit. Von diesen sieben Welträtseln erklärt der Rhetor der Berliner Akademie drei für ganz transzendent und unlösbar (das erste, zweite und fünfte); drei andere hält er zwar für schwierig, aber für lösbar (das dritte, vierte und sechste); bezüglich des siebenten und letzten »Welträtsels«, welches praktisch das wichtigste ist, nämlich der Willensfreiheit, verhält er sich unentschieden.
Nach meiner Ansicht werden die drei »transzendenten« Rätsel (I, II, V) durch unsere Auffassung der Substanz erledigt (Kapitel 12); die drei anderen, schwierigen, aber lösbaren Probleme (III, IV, VI) sind durch unsere moderne Entwickelungslehre endgültig gelöst; das siebente und letzte Welträtsel, die Willensfreiheit, ist gar kein Objekt kritischer wissenschaftlicher Erklärung, da sie als reines Dogma auf bloßer Täuschung beruht und in Wirklichkeit gar nicht existiert.
Lösung der Welträtsel. Die Mittel und Wege zur Lösung der Welträtsel sind diejenigen der reinen wissenschaftlichen Erkenntnis überhaupt: Erfahrung und Schlußfolgerung. Die wissenschaftliche Erfahrung erwerben wir uns durch Beobachtung und Experiment, wobei in erster Linie unsere Sinnesorgane, in zweiter die »inneren Sinnesherde« unserer Großhirnrinde tätig sind. Die mikroskopischen Elementarorgane der ersteren sind die Sinneszellen, die der letzteren Gruppen von Ganglienzellen. Die Erfahrungen, welche wir von der Außenwelt durch diese unschätzbarsten Organe unseres Geisteslebens erhalten haben, werden dann durch andere Gehirnteile in Vorstellungen umgesetzt und diese wiederum durch Assoziation zu Schlüssen verknüpft. Die Bildung dieser Schlußfolgerungen erfolgt auf zwei verschiedenen Wegen, die nach meiner Überzeugung gleich wertvoll und unentbehrlich sind: Induktion und Deduktion. Die weiteren verwickelten Gehirnoperationen, die Bildung von zusammenhängenden Kettenschlüssen, die Abstraktion und Begriffsbildung, die Ergänzung des erkennenden Verstandes durch die plastische Phantasie, schließlich das Bewußtsein, das Denken und Philosophieren, sind ebenso Funktionen der Ganglienzellen der Großhirnrinde wie die vorhergehenden einfacheren Seelentätigkeiten. Alle zusammen vereinigen wir in dem höchsten Begriffe der Vernunft.
Vernunft, Gemüt und Offenbarung. Durch die Vernunft allein können wir zur wahren Naturerkenntnis und zur Lösung der Welträtsel gelangen. Indessen hat die Vernunft ihren hohen Wert erst durch die fortschreitende Kultur und Geistesbildung, durch die Entwickelung der Wissenschaft erhalten. Der ungebildete Mensch und der rohe Naturmensch sind ebensowenig (oder ebensosehr) »vernünftig« wie die nächstverwandten Säugetiere (Affen, Hunde, Elefanten usw.). Nun ist noch heute in weiten Kreisen die Ansicht verbreitet, daß es außer der Vernunft noch zwei weitere (ja sogar wichtigere!) Erkenntniswege gebe: Gemüt und Offenbarung. Diesem gefährlichen Irrtum müssen wir entschieden entgegentreten. Das Gemüt hat mit der Erkenntnis der Wahrheit garnichts zu tun. Was wir »Gemüt« nennen und hochschätzen, ist eine verwickelte Tätigkeit des Gehirns, welche sich aus Gefühlen der Lust und Unlust, aus Vorstellungen der Zuneigung und Abneigung, aus Strebungen des Begehrens und Fliehens zusammensetzt. Dabei können die verschiedensten anderen Tätigkeiten des Organismus mitspielen, Bedürfnisse der Sinne und der Muskeln, des Magens und der Geschlechtsorgane usw. Die Erkenntnis der Wahrheit fördern alle diese Gemütszustände und Gemütsbewegungen in keiner Weise; im Gegenteil stören sie oft die allein dazu befähigte Vernunft. Noch kein »Welträtsel« ist durch die Gehirnfunktion des Gemüts gelöst oder auch nur gefördert worden. Dasselbe gilt aber auch von der sogenannten »Offenbarung« und den angeblichen, dadurch erreichten »Glaubenswahrheiten«; diese beruhen sämtlich auf bewußter oder unbewußter Täuschung (vergl. das 16. Kapitel).
Philosophie und Naturwissenschaft. Als einen der erfreulichsten Fortschritte zur Lösung der Welträtsel müssen wir es begrüßen, daß in neuerer Zeit immer mehr die beiden einzigen dazu führenden Wege: Erfahrung und Denken (oder Empirie und Spekulation) als gleichberechtigte und sich gegenseitig ergänzende Erkenntnismethoden anerkannt worden sind. Die Philosophen haben allmählich eingesehen, daß die reine Spekulation zur wahren Erkenntnis nicht ausreicht. Und ebenso haben sich anderseits die Naturforscher überzeugt, daß die bloße Erfahrung für die Bildung einer realen Weltanschauung ungenügend ist. Die zwei großen Erkenntniswege, die sinnliche Erfahrung und das vernünftige Denken, sind zwei verschiedene Gehirnfunktionen; die erstere wird durch die Sinnesorgane und die zentralen Sinnesherde, die letztere durch die dazwischen liegenden Denkherde, die großen »Assozionszentren der Großhirnrinde« vermittelt. (Vergl. Kapitel 7 und 10.) Erst durch die vereinigte Tätigkeit beider entsteht wahre Erkenntnis. Allerdings gibt es auch heute noch Philosophen, welche die Welt bloß aus ihrem Kopfe konstruieren wollen, und welche die empirische Naturerkenntnis schon deshalb verschmähen, weil sie die wirkliche Welt nicht kennen. Anderseits behaupten auch heute noch manche Naturforscher, daß die einzige Aufgabe der Wissenschaft das »tatsächliche Wissen, die objektive Erforschung der einzelnen Naturerscheinungen sei«; das »Zeitalter der Philosophie« sei vorüber, und an ihre Stelle sei die Naturwissenschaft getreten (Virchow 1893). Diese einseitige Überschätzung der Empirie ist ein ebenso gefährlicher Irrtum wie jene entgegengesetzte der Spekulation. Beide Erkenntniswege sind sich gegenseitig unentbehrlich. Die größten Triumphe der modernen Naturforschung, die Zellentheorie und die Wärmetheorie, die Entwickelungstheorie und das Substanzgesetz, sind philosophische Taten, aber nicht Ergebnisse der reinen Spekulation, sondern der vorausgegangenen, ausgedehntesten und gründlichsten Empirie.
Dualismus und Monismus. Alle verschiedenen Richtungen der Philosophie lassen sich, vom heutigen Standpunkte der Naturwissenschaft beurteilt, in zwei entgegengesetzte Reihen bringen, einerseits die dualistische oder zwiespältige, anderseits die monistische oder einheitliche Weltanschauung. Der Dualismus (im weitesten Sinne!) zerlegt das Universum in zwei ganz verschiedene Substanzen, die materielle Welt und den immateriellen Gott, der ihr als Schöpfer, Erhalter und Regierer gegenübersteht. Der Monismus hingegen (ebenfalls im weitesten Sinne begriffen!) erkennt im Universum nur eine einzige Substanz, die »Gott und Natur« zugleich ist; Körper und Geist (oder Materie und Energie) sind für sie untrennbar verbunden. Der außerweltliche »persönliche« Gott des Dualismus führt zum Theismus, der innerweltliche Gott des Monismus zum Pantheismus.
Materialismus und Spiritualismus. Sehr häufig werden auch heute noch die verschiedenen Begriffe Monismus und Materialismus und ebenso die wesentlich