Wilhelm Raabe

Die wichtigsten Novellen, Romane & Erzählungen von Wilhelm Raabe


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Luthero, Anno 1545 ein Mägdelein aus Meissen vorgebracht sein. Und als er dasselbige in die Sacristerey gefordert, sollte er haben den Teuffel beschworen nach Lutherischer Art. Jedoch hätte ihn der Teuffel bespottet und unter dem hätte sich gern der Luther vertrollet und ein Ausflucht genommen. Aber der Teuffel hab die Tür berannt, daß er nicht daraus möchte, darumb er auch sich befleißiget zum Fenster hinaus zu fliehen, aber umb das eysern Gefeß halben hab er nicht können entweichen, und hätten etliche durch die eysernen Gitter ihm ein Axt einwerffen müssen, damit er die Tür geöffnet und davon gelaufen. Also hats der Lügenmaul und böshafftige Schelm und unflätige Lügenschreiber sampt seinem Trucker Gervino Calesio recitiret.«

      Es war diese Beschuldigung des frechmäuligen Karthäusers in der Tat danach, um darob in Wut und außer sich zu geraten. Vor dem Teufel Reißaus nehmen?! O infamia! Gab es wohl eine niederträchtigere Beleidigung als solche Anschuldigung? O Greuel und Schmach über den Pater Laurentius Surius! Welcher lutherische und katholische Kämpfer der Zeit der großen Kirchenspaltung hätte sich durch das Fenster errettet vor dem Affen Gottes und seinem Spuk? O blasphemia!

      Hohnlachen und Spott der Kinder über dich, Laurentius Surius! Das Dintenfaß dem bösen Feind an den Kopf? In die Tiefe, in den großen Abgrund mit euch allen, die ihr Namen habet: Lucifer, Satan, Belial, Beelzebub, Oriens, Pargimon, Mammon, Buflas, Hypocras, Coap, Ebiger, Bilech und so fort, so fort!

      Auf sie mit Singen und Beten, mit gesegneten Palmen und geweihten Lichtern, mit Stahl und Feuer! Auf sie! Nieder, nieder mit ihnen in den tiefsten Abgrund der Hölle! – – – An den Teufel glaubte jedermann, sein Erscheinen in tausendfältiger Form, in allen vier Elementen, in Menschen-und Tiergestalten bezweifelten weder Kaiser noch Papst, weder Reformatoren noch Mönche, weder Gelehrte noch Volk: weshalb sollte das Schloß Pyrmont daran zweifeln?

      Ein Papier mit seltsamen Charakteren bemalt und beschrieben mit den drolligen Worten:

      Amarathonta, tiros, posthos, cicalos, cicattri, eliapoli, starras, polen, solemque, linarrasque, edipos, edulpes, mala, draphanus, ulphanus, trax, caput orontis jacet hoc in virtute montis – hatte Simon der blinde Magier auf das schöne Haupt Faustas gelegt, und den schönen Leib der Tedesca hatte der böse Feind ärgerlich und widerstrebend verlassen, um – nach der Meinung von allem am heiligen Born versammelten Volk – von Herrn Philipp von Spiegelberg, Grafen zu Pyrmont, Besitz zu ergreifen. Und dasselbe geheimnisvolle Papier wollte auf dem wirren Lockenkopfe des jungen Grafen, von der betrübten Ursula heimlich darauf gelegt, während der Bruder schlummerte – durchaus nicht wirken, wie wir aus der Liebesepistel Klaus Eckenbrechers bereits herauslesen konnten.

      Zu solcher großen Not und Trübsal füllte sich das Schloß auf dem heiligen Anger immer mehr mit den vornehmsten Gästen aus der Nähe und der Ferne und »empfing davon nicht wenig Anfall und Schaden«.

      Mit geziemendem Gefolge kam von Koburg Frau Katharina, Herzog Hansens von Sachsen Gemahlin, welche den Brodelbronn für ihres Leibes Gebrechen brauchen wollte. Eine große Ehre und Freude gedachte sie den drei Spiegelbergschen Geschwistern durch ihre Einquartierung auf dem Schlosse anzutun.

      Es erschien auch Konrad, Graf zu Teckelnburg, der letzte seines Stammes, welcher vermeinte, durch Kraft des Wunderbrunnens wenigstens der Vorletzte seines Geschlechtes zu werden. Er täuschte sich aber und zog hager und dürr ab, wie er gekommen war, und seine Frau wurde ebenfalls durchaus nicht rundlicher durch das gute Wasser, welches ihr Ehegespons getrunken hatte.

      Kurze Zeit nach der Ankunft des Teckelnburgers kam Graf Sigismund von Gleichen, der viel besser getan hätte, wenn er zu Hause geblieben wäre; er verschied nämlich durch die allzu kräftige Wirkung des heiligen Borns.

      Was hilft es, das Register fortzusetzen? Der fürnehme Besuch war nur mit der Mäusenot, welche den Bischof Hatto von Mainz überzog, mit einem gefräßigen Heuschreckenschwarm, mit der Freierschar, welche das Haus des vagabondierenden Dulders Odysseus kahl fraß, zu vergleichen. – Der Born zu Pyrmont hat unter andern guten Eigenschaften auch die, daß er einen tüchtigen Appetit erzeugt, und die lieben Gäste legten sich durchaus keinen Zwang auf in dieser Beziehung, sondern hielten sich wacker an die Speisekammer, die Küche und den Keller der drei Spiegelbergschen Geschwister. Die arme Ursula, den ganzen Tag über und tief in die Nacht hinein treppauf treppab gejagt, verlor immer mehr alle Erinnerung an vergangenes behagliches, friedliches Stillsitzen, an frühere ruhige Nächte voll gesunden, traumlosen Schlafes. Zusehends magerte sie ab und fing allmählich an, an Schwindelanfällen, Blutdrang nach dem Kopfe, Gedächtnisschwäche und dergleichen zu leiden: das Wasser des heiligen Borns war dagegen natürlich ohne die mindeste Wirkung.

      Selbst die mutwillige, sorglose Walburg blickte jetzt oft ganz bedenklich drein und suchte sich stellenweise nützlich zu machen, steigerte dadurch aber nur die allgemeine Verwirrung. Fräulein Ursel und die übrigen Haus-, Hof-und Küchen-Tyranninnen verbaten sich daher auch bald genug jedes tätige Eingreifen ihrerseits, behaupteten, die Walburg stehe nur im Wege, und schickten sie zur – Frau Kurfürstin von Brandenburg.

      So hatte die Walburg allein auf dem Schloß Pyrmont Zeit und Ruhe, sich um den armen Philipp zu bekümmern und sich abzusorgen über die große Veränderung, welche mit ihm vorging.

      Allmählich ward aus dem lebensfrohen, frischen Jüngling, dem Trinker, dem Jäger, ein menschenscheuer, bleichgesichtiger Patron, welcher durchaus nicht mehr imstande war, den liebenswürdigen, den angenehmen Wirt zu spielen vor Ihren Hochfürstlichen Gnaden von Brandenburg und Sachsen-Koburg. Auch seinen männlichen Gästen vermochte der Graf nicht mehr wie sonst standzuhalten. Herr Konrad von Teckelnburg nahm ihm im Brettspiel und im Würfelspiel viel mehr Geld ab, als bei klareren Sinnen des Gegenparts möglich gewesen wäre. Herr Sigismund von Gleichen trank ihn sogar zur großen Verblüffung, zum – Entsetzen des aufwartenden Eckenbrechers fünfmal, sage fünfmal unter den Tisch.

      »Das weiß der – heilige Liborius zu Lügde!« sagte Klaus Eckenbrecher, welcher sich auf dem linken Weserufer einen reichen Schatz von katholischen Beteuerungen zulegte. »Ist’s die Möglichkeit? Ich sage Euch, Falkenierer, hätt’ ich’s nicht selbsten gesehen mit meinen leiblichen Augen, kein Teufel hätt mir den Glauben daran beigebracht!« –

      »Ach, mein armes Brüderlein!« seufzte Fräulein Walburg von Spiegelberg, »wenn ich doch wüßte, was ihm fehlete! Die alte Hanne in der Spinnstube sagt, das fremde Weibsbild, so hier im Schloß aufgenommen ist, habe es ihm angetan, habe ihn verzaubert und scharfe Nadeln ihm in die Leber gehext. Ich will den Kaplan darum fragen, der muß Kundschaft davon geben können als ein geistlicher Herre.«

      Sie tat also und fragte den Schloßkaplan um Rat.

      »Hab’s lange gemerkt, daß etwas nicht in der Ordnung ist bei unserm gnädigen jungen Herrn«, sprach dieser würdige Mann. »Wisset Ihr, Fräulein, ich will den Herrn Rektor von Minden, Herrn Hermannus Huddäus, der noch immer zu Oestorf seine Gicht kuriert und große Linderung verspüret durch das gute Wasser und ein hochgelahrter, frommer Mann und mein günstiger Freund ist, darob um seine Meinung fragen.«

      Er tat also und fragte den Rektor Huddäus um seine Meinung,

      Dieser schüttelte bedachtsam das Haupt und sprach: »Das ist ein böses Ding, und was das Zaubern von Nadeln in die Leber anbetrifft, so sind die Gelehrten darüber gar verschiedener Meinung. Ich will zum Nutzen meines werten Herrn Grafen nach Wittenberg schreiben an meinen lieben Freund und Lehrer Herrn Philippum Melanchthon, den Mann Gottes. Wenn einer nach dem Hinscheiden des gottseligen Doktor Martin raten kann, so ist er es.«

      Er tat nach seinem Worte und schrieb noch an demselben Tage einen schönen lateinischen Brief an Herrn Philipp nach Wittenberg, und Fräulein Walburg schickte einen expressen Boten mit solchem Schreiben ab.

      Der Herr Doktor Philipp freute sich über den Brief des Rektors höchlichst und schrieb einen noch schöneren, mit vielen griechischen Zitaten ausgeziert, zurück und sendete zugleich nebenher ein Paketlein.

      In diesem Paketlein befand sich ein in Schweinsleder handfest eingebundenes Buch mit künstlichen Messingklammern verschlossen, welches folgenden Titul führte:

      Der Teufel selbs das ist Wahrhaftiger und bestendiger und wolbegründeter Bericht von den Teufeln; was sie seien, woher