Wilhelm Raabe

Die wichtigsten Novellen, Romane & Erzählungen von Wilhelm Raabe


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es schon erfahren, gedulde dich, Schalk!«

      Die Tür fiel wieder zu; ein gewaltiger Lärm ließ sich von der Treppe her hören. Schwere Fußtritte stapften den Gang entlang, eine Baßstimme donnerte und erschütterte die Fensterscheiben des Schlosses Pyrmont schier noch mehr als der Sturmwind.

      »Alle Teufel, die Stimm kenn ich!« rief der Herr von Spiegelberg, der Tür zueilend; aber sie wurde weit aufgerissen, ehe er die Hand auf den Drücker gelegt hatte.

      Ein Schneemann erschien unter lautem Gelächter auf der Schwelle, schüttelte sich gleich einem Pudel, der aus dem Wasser kommt, zog den Grafen in eine nasse Umarmung, stieß ihn von sich und schrie:

      »Hoho, Herr Graf zu Pyrmont, kennt Ihr Euere besten Freunde nicht? Das Sauwetter muß uns schön zugerichtet haben!«

      »Herr Christof von Wrisberg!« rief der Graf. »Bei Gott, das ist ein unerwarteter Besuch – willkommen auf dem Schloß Pyrmont!«

      »Nicht wahr, ein unerwarteter Besuch durch Schnee und Sturm, Nacht und Nebel? Hohoho, der Wrisberger, wie er leibt und lebt! Wo sind die kleinen Mädchen? Wo ist mein Engelchen, die Ursel, und mein Schätzchen, die Walpurg? Schafft mir die Ursel und das Walburgel, Philippe! He, holla, aus den Betten und vom Stroh das ganze Haus Pyrmont! … O heilige Not Gottes, ist das ein Satanswetter – platt auf dem Bauche muß man kriechen, wenn man gegen den Wind an will! Aber, was ich sagen wollt – das Wichtigste vergißt der Christoffel immer, das weiß das ganze liebe Heilige Römische Reich nur allzu gut – was ich sagen wollt, Herr zu Pyrmont, hier – hab Euch da jemand mitgebracht, der sich Euerer Gunst empfiehlt, so viel an ihm noch lebendig ist – Herr Ritter von Campolan!«

      Ein hochgewachsener, schwarzgekleideter Mann, ungefähr fünfunddreißig Jahre alt, etwas hager und bleich, aber von geistvollem Gesicht und Auge und vornehmem Wesen, welcher sich bis jetzt hinter dem Ritter Wrisberg gehalten, trat nun vor und erwiderte höflich die Verbeugung des Grafen von Pyrmont.

      »Wenn Ihr mein störendes Eindringen in –«

      »Ihr seid willkommen, Herr Ritter«, fiel ihm Philipp von Spiegelberg ins Wort; »möge es Euch unter meinem Dache gefallen!«

      Der Ritter Campolani verneigte sich abermals tief und sprach im gebrochenen Deutsch seinen Dank für das gastliche Entgegenkommen aus; aber Herr Philipp unterbrach ihn sogleich:

      »O haltet, haltet, ich bitte Euch! Wen ein solch wild Wetter unter Dach und Fach bläset, der hat wohl andere Dinge nötig als Worte und soll nicht mit Reden aufgehalten werden. Ich nur hab mich zu bedanken beim Geschick, so Euch zu mir geführt hat. Wir sind immer froh, einen genügsamen Gast bewirten zu können.«

      »So ist’s!« rief Christof von Wrisberg. »Wie Salomo sprecht Ihr, Philippe. Trockne Wämser und Hosen und kein überflüssig Gewäsch von Verpflichtung und Freude und Dank – solches findet sich alles beim Abmarsch an seiner Stelle – trockne Habiter ist die Parole fürs erste! Holla Ihr da, alter Hahn« (dieses galt dem Haushofmeister), »der Koch weiß doch, daß der Wrisberger eingerückt ist, hungrig wie ein Wolf, durstig wie ein Landsknecht? … O blutiger Christ, wie ich mich auf die Ursel und die Walpurg freu, das ist mit Worten gar nicht auszusprechen. Corpo di Bacco, wo stecken denn die Gän – die Fräulein, wollt ich sagen?«

      Lächelnd winkte der Graf von Pyrmont seinem Haushofmeister und den Lichter tragenden Dienern. Zu den Fremden gewendet sprach er:

      »Man soll Euch in Euere Gemächer führen, Ihr Herren, daß Ihr Euch trocknen könnt. Was das Schloß Pyrmont bietet, stehet zu Euern Diensten.«

      »Wohl gesprochen, Philippe«, rief der Wrisberger. »Kommt, Signor Campolan, Ihr könntet den Schnupfen kriegen, so eine italienische Haut ist empfindlicher gegen den Schnee, als das Fell von unsereinem. Haushofmeister, ich rate Euch, meldet dem Meister Koch, daß der Wrisberger angekommen sei.«

      »Zu Befehl, Herr Ritter!« sprach ehrbar der Alte und schritt gravitätisch den beiden Gästen voran gleich einem Mann, der von der Wichtigkeit seines Amtes bis in das Mark der Knochen durchdrungen ist.

      Als die Donnerstimme des deutschen Ritters in der Ferne verklungen war, stürzte mit entsetztem Gesicht Fräulein Ursula von Spiegelberg in das Gemach ihres Bruders, welcher mit großen Schritten auf und ab ging.

      »Mein Gott, Philipp, der Wrisberger?! Der Wrisberger ist angekommen?!«

      »So ist’s, armes Schwesterchen! Das wird wieder Arbeit für dich geben! Er hat auch einen Fremden mitgebracht, einen Ritter Cam – Cam – Campoban – lan, weiß der Teufel, wie er heißt! Jedenfalls ziehen sie nicht umsonst zu solcher Winterszeit im Land umher; möcht wohl wissen, was wieder im Werk ist?

      »Unheil, Unheil, wenn der Wrisberger dabei ist! O Gott, Philipp, nimm dich in acht und sei auf deiner Hut und laß dich nicht mit ihnen ein! Du weißt ja, was der Wrisberger unternimmt, mißlingt alles.«

      »Sei unbesorgt, gute Ursula! Ich werde mich schon hüten«, sagte seufzend Herr Philipp. »Es soll ihnen schwer werden, mich in ihren Netzen zu fangen, wenn sie wirklich mit solcher Absicht gekommen sind; ich –«

      »Der Wrisberger! Der Wrisberger! Der Christoffel ist auf dem Schloß Pyrmont!« jubelte eine helle Stimme. Lachend, in die Hände klatschend, sprang Walburg von Spiegelberg ins Zimmer. »Der Stoffel von Wrisberg ist angekommen; hei, nun wird einmal wieder Leben in unsere vier Wände kommen, und auf alle langen Gesichter wird die Acht und die Aberacht gelegt. Es ist aber auch nötig, bin ich mir doch die letzten Monate hindurch vorgekommen, als sei ich lebendig begraben im Schnee und in der Wüstenei.«

      »Ach, mein allerliebster Jesus, und mir war so wohl in dieser Stille«, klagte Ursula. »Himmel, ich muß in die Küche! O horcht nur, Philipp, Walburg, horcht, da prügelt er schon die Knechte – Jesus, hat er ‘ne Tür eingetreten? Ach, unser ruhiges Leben! Hört nur, hört, wie er toset!«

      Herr Philipp zog die Achseln in die Höhe.

      »Jaja, nun wird’s wieder einmal hier sein, als wären Gott und der Teufel in ein Glas gebannt. Nun, tröste dich, Ursula, wer weiß, vielleicht bleibt der Störenfried nicht lang.«

      »Das gebe der Himmel!« seufzte Ursula und eilte fort, in der Küche ihre Befehle zu geben; die Treppe hinunter stürzte sie sich mit der Hast der Verzweiflung in die aus den Töpfen bereits aufsteigenden vortrefflichen, anmutigen, lieblichen Dämpfe.

      Zwei Stunden später saßen die Gäste mit ihren freundlichen Wirten in dem großen Bankettsaale um den reichbesetzten Eichentisch des Hauses Spiegelberg und Pyrmont.

      Auch hier verbreiteten gewaltige Feuer von den beiden einander entgegengesetzten Kaminen des wohlgepflasterten Gemachs aus eine wohltuende Wärme. Eine Hängelampe, tief auf den Tisch herabhängend, warf aus drei Löwenmäulern ihr Licht über die Tafel, ließ aber die entfernten Teile des Saales in Dämmerung, die Ecken in tiefster Dunkelheit.

      Neben dem Schenktisch stand der Schenke, seines Amtes wartend; an der Tür hielt sich ein reisiger Knecht mit der Hellebarde im Arm, der alte Haushofmeister leitete würdig die Bedienung und hatte seine Augen überall, auf daß den Speisenden nichts mangle.

      Die Gruppe um den Tisch verdiente wohl eine eingehendere Beschreibung.

      Die beiden Damen von Spiegelberg in ihren schweren Gewändern und hohen steif abstehenden Halskragen, welche die schlanken Gestalten, die jugendlichen hübschen Gesichter abscheulich genug verunstalteten – der feine, bleiche, schwarzgekleidete romanische Ritter – der derbe, vierschrötige Wrisberger im abgetragenen grünen Jagdgewand mit dem riesigen Schlachtschwert zwischen den Knieen – der blonde Graf Philipp mit seinem sorgenvollen, abgespannten Gesicht – der weißköpfige Hauskaplan am untern Ende der Tafel – alles das gab ein vortreffliches Bild, welches aus dem Halbdunkel des Saales wie auf einem alten niederländischen Gemälde hervortrat. Auch an tiefem tragischen Inhalt fehlte es diesem Bilde nicht; denn hinter den Stühlen Ursulas und Walburgs hielten sich einige Dienerinnen der beiden Fräulein, und über den Sessel der jüngeren Schwester beugte sich – Fausta La Tedesca, totenbleich, mit zitternden Lippen, und richtete die schwarzen glühenden Augen, wie eine Pantherin, die sich zum Sprunge rüstet, auf den