wieder«, er schiebt sich hinter Elise, die fortwährend mit ihrer Schürze zu tun gehabt hat, und dann zu seiner Mutter, die ihm bemerkt:
»Siehst du; ich hab’s dir oft gesagt, aber auf mich hörst du nicht. Wie heiß ihr seid! Geh aus dem Zugwind, Elise, Kind, du erkältest dich! Wo habt ihr eigentlich gesteckt?«
»Wir sind nur auf dem Fontänenplatz gewesen!« sagt Elise, mit dem Rücken der Hand über den Mund fahrend.
»So! – Und was habt ihr da gemacht?«
»Wir haben die Goldfische gefüttert!«
»Die Goldfische?! – Gustav, wieviel von deinem Taschengeld hast du noch?«
Bei dieser Wendung des Gesprächs steht Gustav auf einmal wieder auf einem Bein und scheint sehr zu bedauern, daß er sich nicht wie die Gänse mit dem andern hinterm Ohr kratzen kann. Langsam fährt er mit der Hand in die Tasche, besinnt sich aber und zieht sie schnell zurück.
»Nun?!«
»Hast du’s mir zum Ausgeben gegeben, Mama?« fragt der Schlingel, den seine Erziehung Weiberlogik kennengelehrt hat.
»Freilich – aber – aber – – –«
»Nun, ausgegeben hab ich’s! Liese kann es bezeugen!«
»Ja, das kann ich!« ruft Lieschen ganz eifrig. »Darüber braucht ihr ihn nicht auszuschelten!«
Ich komme jetzt der bedrängten Tante zu Hülfe.
»Ausgeben kann er’s freilich, aber das Wie ist jetzt die Frage. Was habt ihr mit dem Gelde angefangen?«
Das Paar sieht sich stumm an. Plötzlich greift Liese in ihre Tasche, zieht einen Kirschkern hervor und schnellt ihn Gustav an die Nase. Die Frage ist gelöst.
»Ach so!« ruft die Tante Berg. »Nun, es ist gut, daß es fort ist, so kann er wenigstens nicht wieder Zigarren dafür kaufen wie vorige Woche.«
Auch ich bin ganz damit einverstanden, während Elise dem Vetter den Ellenbogen in die Seite stößt und ihm zuflüstert: »Warte nur, morgen kriege ich meins!«
Glückliche Kindheit! Alle späteren Lebensalter, die eine einsame Minute fröhlich verträumen wollen, lassen dich vor sich aufsteigen, und ich – der alternde Greis, fülle diese Bogen mit längst vergangenen, längst vergessenen Kindergedanken und Kindersorgen! Träumt nicht sogar die Menschheit von einem »goldenen Zeitalter«, einer längst untergegangenen glücklichen Kinder-Welt?
Am 28. Februar.
Es ist gar kein übler Monat, dieser Februar, man muß ihn nur zu nehmen wissen! – Da ist erstlich die ungeheuere Merkwürdigkeit der fehlenden Tage. Wie habe ich mir einst, vor langen Jahren, den Kopf über ihr Verbleiben zerbrochen! Jeder andere Monat paßte aufs Haar mit Einunddreißig auf den Knöchel der Hand, mit Dreißig in das Grübchen, und nur dieser eine Februar – ‘s war zu merkwürdig! – Das ist ein Stück aus der formellen Seite der Vorzüge dieses Monats, jetzt wollen wir aber auch die inhaltvolle in Betrachtung ziehen. Was ist an diesem Regen auszusetzen? Tut er nicht sein möglichstes, die Pflicht eines braven Regens zu erfüllen? Macht er nicht naß, was das Zeug halten will und mehr? Der alte Marquart in seinem Keller ist freilich übel dran, seine Barrikaden und Dämme, die er brummend errichtet, werden weggeschwemmt, seine Treppe verwandelt sich in einen Niagarafall. Alles, was Loch heißt, nimmt der Regen von Gottes Gnaden in Besitz. Immer ist er da; seine Ausdauer grenzt fast an Hartnäckigkeit! Man sollte meinen, nachts würde er sich doch wohl etwas Ruhe gönnen. Bewahre! Da pladdert und plätschert er erst recht. Da wäscht er Nachtschwärmer von außen, nachdem sie sich von innen gewaschen haben; da wäscht er Doktoren und Hebammen auf ihren Berufswegen; da wäscht er Kutscher und Pferde, Herren und Damen – maskiert und unmaskiert; da wäscht er Katzen auf den Dächern und Ratten in den Rinnsteinen; da wäscht er Nachtwächter und Schildwachen selbst in ihrem Schilderhaus. Alles, was er erreichen kann, wäscht er! Kurz: »Bei Tag und Nacht allgemeiner Scheuertag, und Hausmütterchen Natur so unliebenswürdig, wie nur eine Hausfrau um drei Uhr nachmittags an einem Sonnabend sein kann.« Das ist das Bulletin des Februars, den man einst mensis purgatorius nannte. – Jetzt finde ich auch einen Vergleich für das Aussehen der großen Stadt. Lange genug hab ich mich besonnen, keiner schien passend. Nun aber hab ich’s! Aufs Haar gleicht sie einem unglücklichen Hausvater, den die Fluten des sonnabendlichen Scheuerns auf einen Stuhl am kalten Ofen geschwemmt haben, wo er sitzt – ein neuer Robinson Krusoe – mit Kind, Hund, Katze und Dompfaffenbauer, die Beine auf einem hohen Schemel stehend und die Schlafrockenden herabhängend in die Wogen.
Brr! – Das ist mal wieder ein Wetter, um in alten Mappen zu wühlen, und ich wühle auch darin schon seit geraumer Zeit! Da muß ein Brief sein, den ich trotz aller Mühe nicht finden kann und der doch eigentlich schon früher der Chronik hätte eingelegt werden sollen. Briefe mit späterm Datum von derselben Hand finde ich genug; sie berichten von Kindtaufen, und einer auch von dem Hinscheiden eines ehrwürdigen Pudels, »Rezensent« genannt. Ich möchte aber gern ein älteres Schreiben haben, welches noch nicht von Kindtaufen erzählt! Gottlob, hier ist’s! Die Chronik hätte es, wie gesagt, viel früher aufnehmen müssen, aber was tut’s? Je älter solche Briefe werden, je älter ihr Schreiber selbst geworden ist, desto frischer klingen sie!
Hier ist das Skriptum:
»Unter Verantwortlichkeit der Redaktion.
Liebe und Getreue!
Eben hatte ich diesen Anfang ›Liebe und Getreue‹ gemacht, als sich auf einmal ein kleines Patschhändchen auf meine Schulter legte, ein brauner Lockenkopf sich vorbeugte und ein Stimmchen ganz fein sagte:
›Erlaube, liebes Kind (›liebes Kind‹, das bin ich, der Dr. Wimmer) – erlaube, liebes Kind, an was für ein Frauenzimmer willst du da schreiben?‹ Ich sah verwundert auf und erblickte – eine kleine runde Dame (sie sitzt jetzt neben mir und zieht mich für das ›rund‹ tüchtig am Ohr), die ein allerliebstes Mäulchen machte:
›Liebes Kind, ich möcht’s halt gern wissen!‹
›Sollst du auch, Schatz‹, sagte ich lachend. ›Gib acht, es ist eine seltsame Geschichte! – Es war einmal ein Mann, der lief in der Welt herum, und die Leute nannten ihn Dr. Heinrich Wimmer; einige freilich titulierten ihn auch ›Esel‹ oder so. Das waren aber nur die, welchen er dasselbe Epitheton gegeben hatte – was er oft sogar schriftlich, schwarz auf weiß, tat. Gut, dieser Mensch hatte eigentlich nur wenig wahre Freunde (Bekannte genug), denn er war so eine Art von Vagabond, wenn auch nicht in der schlimmsten Bedeutung des Worts. Er war ein Literat. Zu den Freunden, die ihn ertrugen und nicht ›Esel‹ nannten, gehörte erstens ein Schulmeister namens Roder, zweitens ein ältlicher Herr, Wachholder genannt, und drittens – ein junges Mädchen (beruhige dich, Nannette, sie war höchstens elf Jahr alt, als wir schieden), namens Elise Ralff. Wir wohnten in einer großen Stadt, wo es viel Staub gibt und aus der sie mich, höchst wahrscheinlich aus Sorge um meine Gesundheit, wegjagten, weil jener Staub mich stets zum Husten brachte, ziemlich dicht zusammen und betrugen uns gegeneinander, wie gute Freunde sich betragen müssen. Sogar der Pudel Rezensent, mein vierter Freund, fühlte oft eine menschliche Rührung darüber, wie es in der Tat ein vortreffliches Vieh ist, was du auch dagegen sagen magst, Nannerl!
Und nun höre – grimme Othelloin, das ›Liebe und Getreue‹ gilt den drei Freunden und ›halt‹ nicht einem Frauenzimmer, du Eifersucht!
Da wir nun aber einmal dabei sind, so laß dir auch weitererzählen, liebe Nannette. Mit diesen Freunden lag ich an dem Tage, an welchem ich den letzten Staub von den Füßen über jene Sand-Stadt schüttelte, in einem Holze, wo wir den ganzen Tag über Vogelnester gesucht, Blumen gepflückt und Märchen erzählt hatten, als auf einmal ein Gefühl bodenloser Einsamkeit und moralischen Katzenjammers usw. usw. über mich kam. Da stieg plötzlich, mitten im grünen Walde, wo die Vögel so lustig sangen und die Sonne so hell und fröhlich durch die Zweige schien, ein Gedanke in mir auf, ein Gedanke an ein kleines hübsches Mädchen, mit welchem ich einst zusammen gespielt und an das ich oft – oft gedacht hatte in spätern Jahren. – Daran aber dacht ich in dem Augenblick nicht, daß zwischen dem Kinderspiel und dem Waldtage so