– durchzuckte mich das, ich sprang auf, warf den Hut in die Luft und schrie: ›Hurra, ich gehe nach München zu meinem Onkel Pümpel, zu meiner Kusine Nannerl!‹ – Die Freunde sahen mich verwundert und lächelnd an, und der Lehrer Roder sagte: ›Junge, das wäre prächtig, wenn du – solide würdest!‹
(Gib mir einen Kuß, Schatz, und ich erzähle weiter.)
Sieh, da wand die kleine Liese Ralff dem Pudel einen hübschen Waldblumenkranz um den Pelz, sie drückten mir alle die Hand – das kleine Mädchen weinte sogar – und – – – ich ging nach München.
Lange Jahre waren hingegangen, seit ich meine Vaterstadt nicht gesehen hatte, und ganz wehmütig gestimmt schritt ich in der Abenddämmerung durch die alten bekannten Gassen der Altstadt. Da lag das Haus meiner Eltern – Fremde wohnten darin. Ich lugte durch die Ritze eines Fensterladens und sah zwei Kinder, die allein am Tische bei der Lampe saßen; sie waren sehr eifrig in ein Gänsespiel vertieft, und ich dachte an unsere Jugend, Nannerl, und das Herz ward mir immer schwerer. – Seidelgasse Nr. 20, da stand ich nun vor einem andern Haus. Dort hing ein altes wohlbekanntes Schild, ›Pümpel’s Buchhandlung‹ darauf gemalt. Der Laden war bereits geschlossen, der Onkel jedenfalls schon im Hofbräuhaus; ein Lichtschein erhellte noch die Fenster des obern Stockwerks.
Ich wagte kaum die Klingel zu ziehen. Endlich tat ich’s aber doch. Mein Gott, ebenso jämmerlich klang die Glocke schon vor zehn Jahren. Schlürfende Schritte näherten sich – die Tür ging auf; wahrhaftig da war sie noch, die dicke Waberl, eher jünger als älter! Der Pudel und ich hätten sie beinah über den Haufen geworfen; sie kannte mich nicht und stand starr vor Schrecken und Verwunderung, als ich mit meinem vierbeinigen Begleiter in zwei Sätzen die Treppe hinauf war.
Eine kleine, runde … (Au, mein Ohr! Hör einmal, Nannette, das ist das Ohr, in welches es bei mir ›hineingeht‹, was wird das für eine Ehe abgeben, wenn du mir das abkneifst! Nannette, ich würde in deiner Stelle mal das andere, zu welchem es ›herausgeht‹, nehmen!) Dame trat mir entgegen:
›Der Vater ist nicht zu Haus, mein Herr!‹ – – – Ich antwortete nicht, sondern nahm ihr das Licht aus der Hand – die kleine runde Dame erschrak ebenfalls gar sehr – und hielt es so, daß mir der Schein voll ins Gesicht fiel.
›Herr Gott, der Vetter Heinrich!‹ rief die kleine, rrr … Dame. (Nannette, sag mal, ich glaube, ich habe dir in dem Augenblick einen Kuß gegeben?)
›O welch abscheulicher Bart – – und eine Brille trägt er auch! Waberl, Waberl, schnell nach dem Bräuhaus: der Vetter Wimmer sei da!‹
Ja, er war da, der Vetter Heinrich Wimmer, und der alte Onkel kam auch; er umarmte den Landläufer und steckte ihn in seinen Sonntagsschlafrock; er wollte – – ja, was wollte er nicht alles! Der Pudel sprang wie toll und machte sogleich als ein vernünftiger Köter Freundschaft mit dem dicken Pümpelschen Kater Hinz.
Und dann – dann ward ich Redakteur der ›Knospen‹, unter der Bedingung, den fatalen politischen Husten vorher erst auszuschwitzen; dann ward ich von deinem Papa, meinem guten dicken, vortrefflichen Onkel in den deutschen Buchhandel ›eingeschossen‹, und dann – – Nun, Nannette, und dann? – – – – – – – – – – – – Meine Herren und Freunde, was hab ich Ihnen da geschrieben! – So geht’s, wenn man verlobt ist und neben seiner Braut einen Brief schreiben will! Die reine Unmöglichkeit! Statt eines soliden, nach allen Regeln der Logik und Briefschreibekunst abgefaßten Berichts, schmiere ich Ihnen meine Unterhaltung mit dem Frauenzimmer. ‘s ist göttlich!
Nun – was tut’s? Die Hauptmomente meiner Geschichte habt Ihr doch bei der Gelegenheit erfahren. Ich habe eine neue Seite meines Lebens aufgeschlagen; und wer hat diese vita nuova bewirkt? Der edle Polizeikommissar Stulpnase nebst seinen Myrmidonen und – meine kleine Beatrice, genannt Nannette Pümpel! Gesegnet sei das Haus Pümpel et Comp. bis ins tausendste Glied!! –
Ich schließe. Meine gentilissima verlangt ebenfalls Platz auf diesem Bogen. Mich soll’s wundern, was sie schreiben wird; ihre Augen leuchten gar arglistig.
Dr. Wimmer.
Liebe, kleine Elise!
Obgleich wir uns noch nicht mit Augen gesehen haben, so kann ich doch halt nicht unterlassen, Dir, Herz, diesen ganz kleinen Brief zu schreiben, der böse Mensch hat nicht viel Raum übergelassen. So ganz böse freilich ist er doch nicht, denn er hat mir viel Gutes und Schönes von Dir erzählt, aber sage doch den beiden Herren, die ich auch nicht kenne, daß sie das törichte Zeuch, was er alles geschrieben hat, halt nicht alles glauben. Ich hab ihn durchaus nicht so viel ins Ohr gekneift, als er sagt. – Liebes Kind, Ihr müßt uns einmal alle besuchen. Ich habe zwei Kanarienvögel und einen Stieglitz, der sich sein Futter selbst heraufzieht. Ich hätte Dir gern eins von den Vögelchen geschickt, aber der Onkel Doktor meint, sie könnten das Fahren nicht vertragen, das könnte selbst sein häßlicher Puhdel nicht. Es ist nur gut, daß das schwarze Tier sich so vor meinem schönen bunten Hinz fürchtet; sie beißen sich zwar halt nicht, aber sie sehen sich oft schief an von der Seite. Liebes Kind, besuche uns einmal und grüße den Herrn Onkel Wachholder und den Herrn Lehrer recht schön!
Deine unbekannte Freundin
Nannette P.
P. Scr. Verehrtester, überreichen Sie doch meiner dicken Freundin, der Madam Pimpernell, beifolgende drei Fünftalerscheine; da wird ein noch zu tilgender Schuldenrest sein.
Dr. W.
P. Scr. Ich muß in die Küche, sonst hätte ich mich eben noch recht über den Doktor zu beklagen. Er ist recht böse. Gestern hat er sein Dintenfaß über meine beste Tischdecke gegossen. Das geht mein Lebtag nicht wieder heraus! – Aber das ist das wenigste. – ‘s ist nur gut, daß ich den Tabaksdampf gewohnt bin, auch mein Papa macht furchtbare Wolken, und die Gardinen müssen nun noch einmal so bald gewaschen werden. Adieu!
Nannette.
P. Scr. Der Onkel Pümpel hat sich’s in den Kopf gesetzt, dem armen ›Puhdel‹, wie Nann’l schreibt – auf seine alten Tage noch das ›Totstellen‹ beizubringen.
Dr. W.
P. Scr. Bier mag er schon! (Ich meine halt den Pudehl – so wird’s wohl recht geschrieben sein.) Gott, ich muß wirklich in die Küchen!
N.
P. Scr. Nannette ist fort! Meine lieben Freunde, ich bin sehr glücklich und fidel! Ich hoffe auf baldige Nachrichten von Euch allen. Gruß und Brüderschaft!
Euer
H. Wimmer.«
Welchen Jubel hatte einst dieser Doppelbrief mit seinen Postskripten in der Sperlingsgasse erregt! Wie tanzte an jenem Augustnachmittag im Jahr 1841, als er ankam, der Lehrer Roder mit der kleinen Elise im Zimmer herum! Heute, wo ich ihn wieder hervorsuchte, ist weder Roder bei mir – sie haben ihn im Jahr Achtzehnhundertundneunundvierzig nach Amerika gejagt, sie fürchteten sich gewaltig vor ihm –, noch guckt das kleine Lieschen, auf einem Stuhl stehend, mir über die Schulter. Aber allein bin ich doch nicht beim Wiederlesen; trotz dem Regen hat sich der Zeichner Strobel herausgewagt und ist, da das Glück dem Kühnen lächelt, wohlbehalten, wenn auch etwas durchnäßt, bei mir angekommen.
»Es ist ein prächtiges Ehepaar geworden«, sagte er lächelnd, indem er mir die Nadel einfädelte, mit welcher ich das Dokument der Chronik anheften wollte. »Seit der Doktor den bösen politischen Husten, der ihn sonst plagte, losgeworden ist, hat er einen Umfang gewonnen, dem nur das Embonpoint der kleinen fidelen Frau Doktorin Nannerl nahe kommt. Und diese kleinen, fetten Wimmerleins: Hansl, Fritzl und Eliserl, ›das jüngste Wurm‹, wie der Doktor sagt! – Und diese Nachkommenschaft des edeln Rezensent! – Für jedes Wimmerlein ein Pudel, einer immer schwärzer und schnurrbärtiger als der andere. Wie heißen sie doch? Richtig: Stulpnas (gewöhnlich Stulp abgekürzt). Dinte und Quirl. Es ist ein Schauspiel für Götter, die Familie spazierengehen zu sehen. Voran schreitet der Doktor mit dem alten Großvater Pümpel, dann folgen Dinte und Quirl, die den Korbwagen ziehen, in welchem das ›Kroop‹ Elise liegt. Neben ihnen trabt Stulp mit des Doktors Hut und