Hammer und Nägel in der Rechten, zur Seite; seine junge Braut lehnte schluchzend das Haupt auf seine Schulter. O, ich weiß das alles, alles noch! – Einen letzten, langen, langen Blick warf ich auf die schöne, bleiche, stille Gespielin meiner Kindheit, die Heilige meiner Jünglingsjahre, die Trösterin meines Mannesalters, dann hob ich leise Franz von ihrer Brust, über die er hingesunken war, auf und führte ihn an die Wiege seines Kindes. – Rudolf der Tischler begann sein trauriges Werk. Unter dumpfen Hammerschlägen legte sich der Deckel über dies Reliquiarium eines Menschenlebens. Ein kalter Schauer überlief mich! Vale, vale, cara Maria!
Die Träger kamen, hoben die leichte Last auf die Schultern und trugen sie die schmale, enge Treppe hinab; die Frauen schluchzten, Kinderköpfe lugten verwundert-ernst durch die Haustür und wichen scheu zur Seite, als der traurige Zug hinaustrat auf die Straße. Freunde und Bekannte hatten sich eingefunden, das Weib des Malers auf dem letzten Wege zu begleiten; der Kesselschmied zog das Mützchen ab und strich mit seiner schwarzen, schwieligen Hand über die Augen. Den wie in einem bösen Traum gehenden Franz führend, schritt ich dem Bretterhäuschen nach, welches unser Liebstes barg. O, ich weiß das alles noch ganz genau! So ist das Menschenherz! Viele Jahre sind vorübergegangen seit jenem traurigen Tage, und heute noch erinnere ich mich an alle die finstern Gedanken, die damals durch meine Brust zogen, während ich so manche jüngere Freude vergessen habe! Es lernt und sieht sich so manches auf einem solchen Gange für den, der es versteht, auf den Gesichtern der Begegnenden und Nachschauenden zu lesen.
Sieh dort an der Ecke die arme, mit Lumpen bekleidete Frau aus dem Volk, wie sie ihr Kind fester an sich drückt und flüstert: »Was sollte aus dir werden, mein kleines Herz, wenn ich heute so still läge wie die, welche man da fortträgt.«
Dort kommt eine elegante Equipage, Kutscher und Bediente in prächtiger Livree mit Blumensträußen im Knopfloch. Bunte Hochzeitsbänder flattern an den Kopfgeschirren der Pferde; der junge vornehme Mann führt seine schöne Braut zur Trauung; ihr Auge trifft den Sarg, der langsam auf den Schultern der Träger daherschwankt, und die junge Verlobte birgt zitternd ihr juwelenblitzendes Haupt an der Brust neben ihr.
Sieh den Arbeiter, der dort das Beil sinken läßt und stier dem Zuge des Todes nachsieht. Schaffe weiter, Proletarier, auch dein Weib liegt zu Hause sterbend; schaffe weiter, du hast keine Zeit zu verlieren; der Tod ist schnell, aber du mußt schneller sein, Mann der Arbeit, wenn du sie in ihren letzten Stunden vor dem Hunger schützen willst.
Beugt das Haupt und tretet zur Seite, ihr kettenklirrenden Verbrecher! Der Tod zieht vorüber! Er wird auch euch einst von euern Ketten befreien! Beugt das Haupt, ihr armen Geschöpfe der Nacht, der Tod zieht vorüber, und auch euch hebt er einst, den erborgten Flitterputz, den armen beschmutzten Körper, die Sünde der Gesellschaft euch abstreifend, rein und heilig empor aus der Dunkelheit, dem Schmutz und dem Elend.
Von dir, du Spötter mit dem faden Lächeln auf den Lippen, fordere ich nicht, daß du zur Seite tretest! Der Zug des Todes mag dir ausweichen – du bist würdig, dein Leben doppelt und dreifach zu leben!
Es ist ein langer Weg aus der Mitte der großen Stadt bis zu dem Johanniskirchhofe draußen, und nie ist mir ein Weg so lang und doch zugleich so kurz vorgekommen. Ich dachte an den Verurteilten, der dem Richtplatz näher und näher kommt, dem jede Minute eine Ewigkeit und der stundenlange Weg ein Augenblick ist. Ach, wir armen Menschen, ist nicht das ganze Leben ein solcher Gang zum Richtplatz? Und doch freuen wir uns und jubeln über die Blumen am Wege und sehen in jedem Tautropfen, der in ihnen hängt, Himmel und Erde! Armes glückliches Menschenherz!
Die schweren, massigen Regenwolken wälzten sich dicht über der Erde weg, als wir aus dem Tor traten. Grau in grau Himmel und Erde! Grau in grau Herz und Welt!
Die Bäume streckten ihre leeren Äste wehmütig empor, eine Meise flog von Ast zu Ast vor dem Zuge her.
Und jetzt waren wir angelangt vor der Pforte des Friedhofes. Langsam wand der Zug sich den Weg entlang, an frischen und eingesunkenen Hügeln, stolzen Monumenten und dürftig naivem Putz vorüber der Stelle zu, wo die Hülle der toten Marie ruhen sollte. Im folgenden Frühling machten wir einen hübschen, lieblichen Ort daraus, wo die Goldregenbüsche ihre duftenden Trauben herabhängen ließen und die Vögel in den Rosensträuchern zwitscherten, heute jedoch war’s ringsumher gar traurig und unheimlich. Auf dem Grunde der Grube, die unser Liebstes aufnehmen sollte, stand ein kleiner Sumpf Regenwasser, in welchem sich aber plötzlich eine lichte blaue Stelle, die oben am Himmel zwischen den ziehenden Wolken durchlugte, widerspiegelte. – – Ich habe nichts, nichts vergessen!
Und nun, ihr Männer, laßt den Sarg hinabgleiten; gebt der alten schaffenden Mutter Erde ihr schönes Kind zurück! Und nun, Franz, wirf drei Hände voll Erde auf die versinkende Welt deiner Freude! – Ergreift die Schaufeln, ihr Clowns, und vollendet euer Geschäft! Du alter, rotnäsiger Bursch, bemühe dich nicht, ein wehmütiges Gesicht zu ziehen, winke nur deinem Gefährten, daß er die Flasche bei Yaughan füllen lasse, und brumme leise dein altes Totengräberlied in den Bart!
Wie die Schollen dumpfer und dumpfer auf den Sarg poltern, und wie jeder Ton das arme Herz erzittern läßt in seinen tiefsten Tiefen! Wie das Auge sich anklammert an den letzten Schein des schwarzen Holzes, der durch die bedeckende Erde schimmert, bis endlich jede Spur verschwindet, die hinabgeworfene Erde nur noch Erde trifft, die Höhle sich allmählich füllt und endlich der Hügel sich erhebt, der von nun an mit dem geliebten begrabenen Wesen in unsern Gedanken identisch ist!
Wunderliches Menschenvolk, so groß und so klein in demselben Augenblick! Welch eine Tragödie, welch ein Kampf, welch ein – Puppenspiel jedes Leben, von dem des Kindes, das vergeblich nach der glänzenden Mondscheibe verlangt und verwelkt, ehe es das Wort »ich« aussprechen kann, bis zu dem des grübelnden Philosophen, der in dasselbe Wörtchen »ich« das Universum legt und zusammenbricht, ein körper-und geistesschwacher Greis, welcher kaum noch das Gefühl für Wärme und Kälte behalten hat.
Sieh um dich, Johannes: Verkehrt auf dem grauen Esel »Zeit« sitzend, reitet die Menschheit ihrem Ziele zu. Horch, wie lustig die Schellen und Glöckchen am Sattelschmuck klingen, den Kronen, Tiaren, phrygische Mützen – Männer-und Weiberkappen bilden. Welchem Ziel schleicht das graue Tier entgegen? Ist’s das wiedergewonnene Paradies, ist’s das Schafott? Die Reiterin kennt es nicht; sie – will es nicht kennen! Das Gesicht dem zurückgelegten Wege, der dunkeln Vergangenheit zugewandt, lauscht sie den Glöckchen, mag das Tier über blumige Friedensauen traben oder durch das Blut der Schlachtfelder waten, – sie lauscht und träumt! Ja, sie träumt. Ein Traum ist das Leben der Menschheit, ein Traum ist das Leben des Individuums. Wie und wo wird das Erwachen sein?
Auf einem Berliner Friedhofe liegt über der Asche eines volkstümlichen Tonkünstlers, der auch viel erdulden mußte in seinem Leben, ein Stein, auf welchen eine Freundeshand geschrieben hat:
Sein Lied war deutsch und deutsch sein Leid,
Sein Leben Kampf mit Not und Neid,
Das Leid flieht diesen Friedensort,
Der Kampf ist aus – das Lied tönt fort! –
Ich lege die Feder nieder und wiederhole leise diese Zeilen. Ich kann heute nicht weiterschreiben.
Am 5. Dezember.
Meinem Versprechen gemäß hatte ich der Redaktion der Welken Blätter – Wimmerianischen Angedenkens – einige der Federzeichnungen meines Nachbars Strobel vorgelegt und konnte heute schon ihm seine Aufnahme unter die Zeichner jenes witzigen Journals ankündigen. Da ich seine Nase hinter den Scheiben seiner Fenster einige Male hatte hervorlugen sehen, so machte ich mich auf den Weg hinüber zu meiner alten Wohnung, in der ich, seit ich sie verlassen, so viele ein-und ausziehen gesehen habe.
Die dicke Madam Pimpernell hat es aufgegeben, in eigener, gewichtiger Person über den Vorräten des Viktualienladens zu thronen, sie hat sich in einen gewaltigen, ausgepolsterten Lehnstuhl hinter dem Ofen zurückgezogen, von wo aus sie oft genug Dorette – auch Rettchen genannt –, ihre hagere Tochter und Nachfolgerin im Reich der Käse, der Butter und der Milch, zur Verzweiflung zu bringen vermag.
Das mittlere Stockwerk des Hauses Nr. elf steht augenblicklich leer, indem nach heftigen Kämpfen mit dem Parterre, treppauf