andern zu lieben, als mich –«
»Pah!« sagte Weitenweber, eine Wolke Zigarrendampfes nach dem verzweifelnden ersten Liebhaber hinblasend. »Ich stehe ganz auf der Seite des Herrn Hauptmannes; gib dich zufrieden, Alexander!«
»Sie stehen auf meiner Seite – o danke, danke!« rief der Hauptmann. »Sagen auch Sie doch Ihrem Freunde, daß ich ihn liebe, daß ich ihn achte, daß ich ihn ehre, aber daß ich ihm in Ewigkeit meine Tochter nicht geben kann.«
»Hörst du, Mietze?« sagte Weitenweber gähnend, »der Herr Hauptmann Fasterling liebt – achtet und ehrt dich, kann dir aber in Ewigkeit seine Tochter nicht geben.« Italienisch setzte er hinzu: »Machen wir also den alten Kater betrunken, muccino! Ich will einen solchen elenden, erbärmlichen Komödianten, wie du, nicht wieder auf den Brettern und in den Blättern haben!«
Der Schauspieler blickte verblüfft zweifelnd herüber, der Doktor Gundermann ebenfalls, der Hauptmann sah verlegen von einem zum andern.
»Es sei!« rief ich. »Alexander, nimm Vernunft an, gib dem Hauptmann die Hand und leiste Verzicht auf die schöne Sidonie!«
»Nimmer! Nimmer!« schrie der arme gequälte Mietze. »O Gott, sind das Menschen? – Väter? –«
»Nein!« sagte Weitenweber trocken.
»Nein!« sagte ich.
»Leider!« seufzte der Doktor Gundermann.
Mein Herzblut würde ich vergießen –«
»Dummes Zeug! Leiste Verzicht auf die niedliche Hand des Fräuleins unter der Bedingung, daß der Hauptmann uns hier Gesellschaft leistet, solange es uns beliebt.«
»Folge ihm!« sagte ich leise zu dem Schauspieler und setzte ihm den Stiefelabsatz auf die Fußspitze. »Wir packen ihn – mein Wort darauf!«
Zögernd reichte der arme Alexander seine feuchte Hand über den Tisch. »Es sei!« stöhnte er aus tiefster Brust, und mit einem Anflug von Reue und Wehmut ergriff der Hauptmann die Hand des Verstoßenen und drückte sie krampfhaft und sagte, ohne zu wissen, was er sagte:
»Beruhigen Sie sich, fassen Sie sich, liebster junger Freund! Wir gaben auch die Hoffnung auf nach dem Lübecker Sturm, und wir waren doch nachher in Frankreich!«
Der Schauspieler legte die Hand über die Augen und sich zurück über die Stuhllehne.
»Und nun die leeren Flaschen vom Tisch und die vollen darauf!« rief Weitenweber, dessen Augen unheimlich zu leuchten anfingen. »Herr Hauptmann, auf das Wohl des holden Töchterleins; möge ihr der Himmel einen besseren Ehemann bescheren als den Schauspieler Mietze!«
»Amen!« seufzte Alexander; der Hauptmann aber trank betrübt, ohne anzuklingen, sein Glas leer. »Ich wollte, ich hätte Sie nicht hier getroffen, Alexander!« sagte er.
»Bah, alter Herr,« lachte Weitenweber, »es läßt sich nichts leichter abschütteln als ein Gewissensbiß! – Auf das Wohl der Armee, der alten wie der jungen!«
Der Alte stieß zwar sein Glas an das des Redakteurs des Kamäleons; aber der edle Wein des Oheims Albrecht schien ihm wenig oder gar nicht zu behagen. Hin und her rutschte er auf seinem Stuhle. »Wir könnten so gute Freunde sein, Alexander. Ich kannte Ihren wackeren seligen Vater so gut! Ach, weshalb mußte Ihnen auch das dumme Mädchen begegnen?«
Alexander legte den Kopf in die Arme auf den Tisch und rührte sich nicht; Gundermann griff leise in der Rocktasche nach seiner Lanzette; Weitenweber aber ward von Minute zu Minute lebendiger und entwickelte ein Unterhaltungstalent sondergleichen. Ich hatte unablässig die Gläser zu füllen, und nur das des Schauspielers blieb unberührt stehen. Auch der Alte, um sich zu betäuben, wurde immer redseliger, und seine Stimme schwoll öfters zu einem Donner an, welcher die alte Renate ein besorgtes Gesicht in die Tür stecken ließ. Garnisongeschichten wechselten mit Kriegsgeschichten ab, und Weitenweber, durch einen behende hie und da eingeworfenen Zweifel, erhöhte den Durst des wackern pensionierten Kriegers bedeutend – ich fuhr bereits die zweite Flaschenbatterie auf.
»Ich liebe sie! Ich liebe sie!« schluchzte Mietze.
»Halt’s Maul – credo, quia absurdum est!« flüsterte ihm Weitenweber zu. »Weiter, Hauptmann, lassen Sie sich nicht stören. Was wollten Sie sagen?«
»Ich sehe Sie schon lange an, Herr Weitenweber,« sagte der Alte. »Es kommt mir immer vor, als habe ich Sie bereits einmal gesehen, aber ich kann nicht sagen, wie und wo.«
»Mit meinem Vater soll ich Ähnlichkeit haben. Der war ein wilder Bube, erstach zu Halle einen Schuft, der ein armes Mädchen unglücklich gemacht hatte, im Duell; ging unter fremdem Namen in die weite Welt und ritt als freiwilliger Jäger mit – nach Paris, alter Herr.«
»Wie nannte er sich, wie nannte er sich damals?«
»Lindenschmidt – Franz Lindenschmidt.«
»Hurra! Hurra! Er ist es! Er ist es! Ihre Hand, Freund! Das war ein wackerer Kerl, Ihr Vater! O sagen Sie mir, was macht er? Wo steckt er? Wie lebt er? O, wir kennen uns sehr gut.«
Weitenweber goß den Rest seines Glases auf den Boden, daß es schallte: »Er ist tot – zwanzig Jahre.« Der Hauptmann legte grüßend die rechte Hand an die Schläfe. »Das ist das Leiden,« sagte er, kopfschüttelnd den grauen Schnurrbart streichend, »das ist das Leiden; wenn man nach einem von ihnen fragt, da ist er auf und davon gegangen – ah, wir müssen alle Ordre parieren und auf das Signalhorn achten. Haben sie ihn auch begraben, wie es einem ehrlichen Soldaten ziemt?«
Weitenweber zuckte lächelnd die Achseln: »O ja! Sie nahmen ihn nach dem Kriege wieder in Gnaden an und setzten ihn, damit er nicht verhungere, hoch oben auf einen luftigen Berggipfel in ein Telegraphenhäuslein und hatten auch nichts dagegen, daß er meine Mutter heirate.«
»Da mußte er freilich stillsitzen lernen,« sagte der Hauptmann. »Es ging wohl schwer an?«
»O nein,« sagte Weitenweber und stützte den Kopf auf die Hand, »es gefiel ihm sehr; er hatte ja aus seinem Turmfenster die Aussicht in die weite Welt; er hatte seinen kleinen Garten an nebeligen Tagen; er hatte meine Mutter« –
»Donnerwetter, ich hätte selbst bei ihm sitzen mögen!« rief der Hauptmann, auf den Tisch schlagend, daß die Gläser klirrten.
»Wenn nur in dem Umkreis von zwei bis drei Meilen die andern Telegraphen nicht gewesen wären!« fuhr Weitenweber fort.
»Wieso?« fragte der Hauptmann.
»Bah, die Kerle streckten ihre langen Arme aus und gestikulierten, und mein Vater verstand unglücklicherweise die Zeichen, welche er da über seinen Berggipfel weiterbefördern mußte. Aus allen Himmelsgegenden erzählte man sich die schnurriosesten Geschichten hin und her, her und hin. Die Leute da unten in den friedlichen Städten und Dörfern, die Leute in den Werkstätten und Schreibstuben und auf den Feldern und grünen Wiesen hatten gar keine Idee davon, wie es eigentlich in der Welt zuging, ließen sich wahrhaftig nicht träumen, was für Teufeleien da oben über ihren Kirchen und Kinderstuben in der stillen blauen Himmelsluft durcheinanderzuckten. Meinem Vater wurde das Haar greis in vier Wochen – es ist ein anderes, Hauptmann Fasterling, es ist ein anderes, im Freiheitssturm von Hunderttausenden derselben Zunge fortgerissen zu werden zum Kampf für das Höchste, und ein anderes ist es, einsam auf solch einem stillen Berggipfel für die ›Gebote des heiligen Glaubens, die Gebote der Liebe, der Gerechtigkeit und des Friedens‹ die Arme des Telegraphen zu richten.«
Der Hauptmann saß stumm, starr, mit weit offenen Augen und Munde. Mietze hatte sich aus seinem Stupor aufgerichtet, und Gundermann fühlte sich selbst den Puls.
»Weiter, weiter, Weitenweber!« rief ich.
»Es ist nichts weiter davon zu sagen! Eines Tages renkten sich die Telegraphen auf den umliegenden Höhen fast die Arme aus, der meines Papas ließ die Fittiche hängen, wie ein flügellahmer Vogel. Die Familie Weitenweber zog wieder hinunter in die Täler, zu den Leuten, die nichts davon wissen, was über ihnen vorgeht. Die Mutter trug mich auf dem Arm, und der Vater lenkte das alte Roß, welches die wenigen