Hubert Haensel

Perry Rhodan Neo Paket 1: Vision Terrania


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der Zuschauer nicht mehr hatte aushalten können?

      Marshalls Puls schlug hart. Jetzt musste die Eröffnung des Agenten kommen. Er hatte ihn weichgekocht, ihn seinen Spekulationen überlassen. Was hatte Sid in Nevada Fields angestellt? Oder war ihm etwas zugestoßen?

      Die Eröffnung blieb aus. Der Agent wandte sich zum Gehen: »Haben Sie auch ein Zimmer?«

      Marshall führte ihn hin. Es lag direkt gegenüber, der kleinste Raum des Hauses, eine Kammer unter der Dachschräge. Ein Erwachsener konnte kaum aufrecht darin stehen.

      Der Agent bedeutete ihm voranzugehen, folgte Marshall und verschloss die Tür hinter sich. Marshall wäre am liebsten weggerannt. Der Agent stand so nahe, dass er ihn beinahe berührte. Er roch das Deo des Mannes. Es war scharf, erinnerte ihn an den Duft von Desinfektionsmitteln in einem Krankenhaus.

      »Ich glaube, ich habe genug gesehen«, sagte der Agent. »Aber eine letzte Frage will ich Ihnen noch stellen: Wieso verschwendet ein Mann von Ihrem Format sein Leben auf Abschaum wie diese stinkenden, schmutzigen Gören?«

      »W... was? Wie ...« Marshall war zu überrascht, um mehr als ein Stammeln herauszubringen.

      »Ich habe über Sie nachgelesen, Marshall. Homeland Security hat einen umfangreichen Datensatz zu Ihrer Person. Bis vor ein paar Jahren waren Sie einer der erfolgreichsten Investmentbanker der Wall Street. Ein Wunderkind sozusagen. Sie waren noch keine dreißig und hatten Ihre Schäfchen im Trockenen. Sie könnten längst Ihre eigene Firma haben, Ihre eigenen Fonds aufgesetzt haben. Oder sich in die Sonne abgesetzt haben und das Leben genießen.«

      Marshall rang um eine Antwort. Rang darum, seine Wut über die Arroganz seines Gegenübers zu beherrschen. Seine Beschränktheit.

      Der Agent kam ihm zuvor. »Lassen Sie es gut sein.« Er winkte ab. »Ich stehe gerade in der Antwort. Das ist das Leben, das Sie wollen. Und ich dachte, ich hätte alle Verrücktheiten gesehen, zu denen Menschen fähig sind.« Er schüttelte den Kopf und öffnete die Tür. »Kommen Sie. Ich habe etwas für Sie.«

      Vor dem Shelter winkte der Agent dem Wagen zu. Lautlos rollte der Chevrolet heran, hielt vor dem Shelter. Die Scheiben waren getönt, versperrten den Blick in den Innenraum.

      Der Fahrer ließ die Seitenscheibe herunterfahren. Er glich dem Mann, der sich Agent Moreno nannte, beinahe wie ein Zwilling.

      »Er ist harmlos«, sagte Moreno zu seinem Kollegen. »Lassen wir ihn ziehen.«

      Es klickte. Agent Moreno öffnete die hintere Tür des Wagens und zog einen Passagier auf die Straße.

      Sid González.

      Der Junge zitterte. Er hielt den Kopf gesenkt. Seine Schultern waren eingesackt. Als wäre er am liebsten vor Scham im Boden versunken.

      »Wo haben Sie ihn gefunden?«, fragte Marshall.

      »Nevada Fields Space Center. Im gesperrten Bereich in unmittelbarer Nähe des Startturms. Er kann dem lieben Gott danken, dass er nicht bei lebendigem Leib gebraten wurde.«

      »Wie ist er dort hingekommen?«

      »Das weiß keiner.« Der Agent zuckte die Achseln und wandte sich ab, ging zur Beifahrertür. »Passen Sie in Zukunft besser auf ihn auf. Er hat ganz schön viele Leute ins Schwitzen gebracht.«

      Der Agent stieg ein, und der Chevrolet fuhr davon. Marshall sah ihm nach, bis er an einer Kreuzung abbog, über der eine Ampel mit zerschossenen Lichtern hing.

      »John«, hörte Marshall hinter seinem Rücken. »Es ... es tut mir leid. Es kommt nicht mehr vor. Versprochen! Ich ...«

      Marshall wirbelte herum. »Hast du eigentlich eine Vorstellung davon, welche Sorgen ich mir um dich gemacht habe? Weißt du, was du getan hast?«

      Sid schaffte es, Johns Blick standzuhalten. »Ich habe aufgepasst. Wirklich. Ich wusste genau, wo ich hinkonnte, damit mich die Druckwelle nicht erwischt.«

      »Ich rede nicht von dir!« Marshall brüllte. Er konnte nicht anders. »Hast du auch nur einen Gedanken daran verschwendet, was deine Extratour für den Shelter bedeutet? Wir stehen immer eine Handbreit vor dem Aus! Was, wenn dieser Agent nicht nur ein arroganter Mistkerl gewesen wäre, der sich so sehr vor uns ekelt, dass er es für unter seiner Würde hält, sich mit uns abzugeben? Was dann? Willst du zurück auf die Straße? Willst du, dass wir alle auf der Straße landen? Willst du das?«

      Sid wurde schlagartig bleich. »Daran hatte ich nicht gedacht. Ich ... ich wollte einfach nur ganz nahe bei Rhodan sein, bei der STARDUST.« Er schluckte. »John ... das war dumm von mir. Richtig dumm! Aber es kommt nicht wieder vor. Ich verspreche es! Ich mache es wieder gut, ehrlich! Ich ...«

      Marshalls Pod summte, schnitt Sid das Wort ab. Marshall sah auf das Display. Sharon, die Verwalterin der Stiftung. Sharon, die ihn nie anrief, sich auf Textnachrichten beschränkte, wenn es ihr nach ihm verlangte.

      Er nahm das Gespräch an.

      Ein Gesicht erschien auf dem Display, in seiner makellosen Schönheit einem Avatar zum Verwechseln ähnlich.

      »John«, sagte Sharon. »Ich muss dich sprechen. Unter vier Augen. Kommst du?«

      7.

      Elf Stunden nach dem Aufsetzen der STARDUST auf dem Mond ging die Sonne auf.

      Es half nicht viel. Beinahe übergangslos trat an die Stelle der geisterhaften Dunkelheit eine geisterhafte Grelle, die die Lebensfeindlichkeit des Mondes gnadenlos entblößte. Die STARDUST war in einer Geröllebene niedergegangen. Steine und Felsen lagen verstreut auf einer Lage von feinem Staub, die sich als nur wenige Zentimeter tief erwiesen hatte. Mit jedem Schritt wirbelte der Mondstaub auf und senkte sich langsam im Vakuum in kerzengeraden Linien wieder. Begrenzt wurde die Ebene im Norden von einem Gebirgszug, der wie eine Wand senkrecht aufragte, im Westen und Süden von niedrigeren Felsen, die Kraterringe markierten. Im Osten verschluckte der unmöglich nahe Horizont die Ebene.

      Es war ein desolater Ort. Kein Ort für Menschen. Ein Ort, an dem das Auge die verstreuten Felsen zu Knochen umdeutete, die Knochen schließlich zu Skeletten von toten Ungeheuern.

      Es war der Ort, an dem sie sterben würden. Es sei denn, es geschah ein Wunder.

      Keiner der Männer der STARDUST glaubte an Wunder, aber dennoch arbeiteten sie wie Besessene daran, eines zu bewirken.

      Bull versuchte sich an den Rechnern der STARDUST. Er hatte die Verkleidungen im Cockpit entfernt und saß inmitten eines Gewirrs von Kabeln und Bauteilen und fluchte unentwegt. Es roch verschmort.

      Flipper tat, was ihm als Nutzlastspezialisten natürlicherweise zukam: Er nahm sich der Ladung der STARDUST an. Flipper öffnete die Klappen der Nutzlastbucht und warf alles, was er für entbehrlich hielt, auf einen Haufen vor dem Schiff, der bald Mannshöhe erreichte. Mithilfe des Krans setzte er das Kettenfahrzeug auf dem Mondboden ab. Ein heikles Manöver, bei dem das senkrecht stehende Schiff Gefahr lief zu kippen. Flipper meisterte es mit Bravour. Als Nächstes folgte das mobile Lazarett. Als der Nutzlastspezialist alle Aufgaben erledigt hatte, die ihm in den Sinn kamen, begann er zu langen Spaziergängen in der Mondlandschaft aufzubrechen. Manoli begleitete ihn. Der Bordarzt und Rhodan erkannten, was Flipper zuverlässig in seinem Herzen verborgen glaubte: seine übermächtige Sehnsucht nach Beth, die in diesem Augenblick auf der Welt, die sie hinter sich gelassen hatten, sterben mochte. An einem Ort, der nur geringfügig weniger lebensfeindlich war als der Mond. Flipper würde sie nie wiedersehen. Was konnte näher liegen als der Gedanke, sich mit ihr im Tod zu vereinen?

      Manoli sorgte dafür, dass es beim Gedanken blieb.

      Rhodan half Bull bei seinen Reparaturversuchen, hielt ihm die Werkzeuge hin und gab dem Freund jemanden, der sich seine Flüche anhörte. Von Zeit zu Zeit folgte er Flippers Vorbild, legte den Raumanzug an, kletterte die Leiter hinab, die von der Schleuse am Cockpit bis auf den Boden führte, und brach zu einem Spaziergang auf. Rhodan genoss die Leichtigkeit seiner Schritte in der niedrigen Schwerkraft des Mondes und hoffte, dass sich mit ihr auch eine Leichtigkeit der Gedanken einstellte.