Hubert Haensel

Perry Rhodan Neo Paket 1: Vision Terrania


Скачать книгу

      Rhodan ignorierte es. Er rief die Triebwerksdaten auf. Durch die tanzenden Schemen auf seiner Netzhaut gelang es ihm, sie abzulesen. Die STARDUST bremste mit Vollschub ab.

      Rhodan wuchtete den rechten Arm herum, schlug gegen eine Sensorfläche auf der Innenseite der Lehne. Ein Piepsen bestätigte Rhodan den Kontakt. Ein Joystick schob sich aus der Lehne. Rhodan zwang die Hand hoch, sein behandschuhter Daumen und Zeigefinger schlossen sich um den Knüppel, rasteten ein.

      »Fehlfunktion Bordcomputer«, brachte er hervor. »Reinitialisiere!« Rhodan presste Daumen und Zeigefinger zusammen. Die Displays wurden schwarz. Im selben Augenblick setzten die Triebwerke der STARDUST aus. Gnädige Schwerelosigkeit kehrte zurück.

      Und trügerische. Die STARDUST fiel dem Mond entgegen. Ihre Geschwindigkeit war zu gering, um sie länger in einer Umlaufbahn zu halten.

      Bull stöhnte vor Schmerz. Aus dem Augenwinkel verfolgte Rhodan, wie sich Manoli von seiner Liege befreite und sich zu Bull abstieß. »Schulter ausgerenkt«, verkündete er. Und dann, ohne ein weiteres Wort, schossen seine Beine vor und rammten gegen Bulls Schulter, während der Arzt sich an den Lehnen der Konturliege festhielt. Bull brüllte vor Schmerz auf.

      »Und wieder eingerenkt«, verkündete Manoli ungerührt. Er holte eine Einwegspritze aus einer Tasche. »Das wird den Schmerz nehmen, Reginald. Wenigstens etwas.« Manoli injizierte das Schmerzmittel und Bulls Stöhnen verstummte. Der Arzt nickte ihm noch einmal zu, kehrte eilig wieder auf seine Liege zurück und schnallte sich an.

      Die Cockpitdisplays blieben dunkel.

      »Initialisierung gescheitert«, sagte Rhodan. »Initialisiere Backup-Rechner eins.«

      Schwärze auf den Displays.

      »Initialisierung gescheitert«, sagte Rhodan. »Initialisiere Backup-Rechner zwei.«

      Schwärze.

      »Initialisierung gescheitert«, sagte Rhodan. »Initialisiere Backup-Rechner drei.«

      Schwärze.

      »Initialisierung gescheitert«, sagte Rhodan. »Initialisiere Backup-Rechner vier.«

      Schwärze.

      »Initialisierungen gescheitert. Übernehme in Manuellsteuerung.«

      »Wie soll das gehen?«, rief Manoli. »Wir haben keine Werte!«

      »Höhe ist 360 Kilometer, Sinkgeschwindigkeit 1,8 Kilometer pro Sekunde«, stellte eine Stimme fest, in der unterdrückter Schmerz mitschwang. Sie gehörte Bull.

      »Woher willst du das wissen?«

      »Daher.« Bull hob den linken Arm, an dessen Handgelenk er die vorsintflutliche mechanische Armbanduhr trug. »Ich habe mir die Zeit eingeprägt, als das Triebwerk plötzlich loslegte.«

      »Du hast dir die Zeit eingeprägt?«, fragte der Arzt verblüfft. »Als der Andruck dir die Schulter ausrenkte?«

      »Ja. Zufälligerweise fiel mein Blick auf die Uhr«, antwortete Bull in einem Ton, der selbst Rhodan rätseln ließ, ob die Bemerkung ernst gemeint war.

      »Zufälligerweise ...« Manoli blickte Bull ratlos an. »Und das gibt dir unsere Sinkgeschwindigkeit und Höhe?«

      »Nein. Ich habe mir die Höhe eingeprägt. Wir standen 610 Kilometer über der Mondoberfläche. Aus der seitdem verstrichenen Zeit, der Ursprungshöhe und meinem Wissen um die Schubstärke unserer Triebwerke kann ich alles Weitere hiermit berechnen.« Er tippte sich gegen den Helm.

      Manoli schwieg. Ihm fiel keine Entgegnung ein.

      Der Mond war jetzt so groß, dass sie nur noch einen Ausschnitt der Oberfläche sehen konnten. Krater, Gebirge und bleiche, nackte Felsen erwarteten sie.

      »Leite Bremsmanöver ein!«, verkündete Rhodan. Er zündete die Triebwerke und Andruck setzte ein. Er war sanft, betrug vielleicht das Zweifache der Erdschwere.

      Einige Sekunden lang herrschte Stille im Cockpit, als die Männer ihren Gedanken nachhingen. Dann rief Flipper: »Nein, Perry!«

      »Was ist, Clark?«

      »Ich habe den Treibstoffverbrauch überschlagen, basierend auf den Daten, die Reginald angegeben hat.«

      »Was ist damit? Bekommen wir keine Landung mehr hin?«

      »Eine Landung schon. Aber wir werden nicht mehr genug Treibstoff für eine Rückkehr zur Erde haben!«

      Rhodan nickte langsam. Flipper war der Nutzlastspezialist. Er konnte das Gewicht jedes Bauteils und Ladungsstücks der STARDUST bis auf das Gramm genau herunterrattern. »Was schlägst du vor?«

      »Wir lassen uns ungebremst fallen. Kurz vor dem Aufprall gibst du Vollschub. Die Triebwerke arbeiten dann effizienter, und wir könnten nach der Landung noch genug Treibstoff übrig haben für eine Rückkehr zur Erde.«

      »Reginald, deine Meinung?«

      »Clark, dein Vertrauen ehrt mich«, knurrte Bull. »Aber dafür sind meine Schätzungen zu ungenau. Liege ich auch nur um ein Zehntelprozent daneben, klatschen wir auf die Oberfläche und sind so platt wie ein überfahrener Igel.«

      Rhodan sah zum Cockpitfenster hinaus. Der Mond war jetzt so nahe, dass er glaubte, einzelne Felsen wahrzunehmen, die aus Staubfeldern ragten.

      »Wir bleiben beim vorsichtigen Anflug«, entschied er. »Über alles Weitere können wir uns den Kopf zerbrechen, sobald wir gelandet sind.«

      Knappe zwei Minuten später setzte die STARDUST auf flammenden Hecktriebwerken reitend mit einer Sanftheit auf dem Mond auf, die selbst Pounder ein widerwilliges Kompliment entlockt hätte.

      Doch die Chancen, dass Pounder die STARDUST je wieder erblicken würde, standen gleich null.

      6.

      »John! Sie bringen sich um!«

      Sue stieß ohne anzuklopfen die Tür zu John Marshalls Zimmer auf und verstieß damit gegen eine der wichtigsten Regeln des Pain Shelter. Sue, der Regeln heilig waren.

      John fuhr auf dem Stuhl herum. Die Gelenke des Stuhls quietschten laut. »Wer bringt wen um?«

      »Damon und Tyler!«, rief Sue. Sie keuchte. Das Mädchen war zerbrechlich und flink zugleich. Die kleinste Anstrengung brachte ihren Puls zum Rasen.

      »Wieso?«

      »Keine Ahnung! Sie kriegen die Klappe nicht auf. Komm schnell, John, bitte!«

      Sie rannte hinaus.

      John stand auf, wenn auch widerwillig. Es fiel ihm schwer, sich vom Display loszureißen. Seit seiner Rückkehr von Nevada Fields in der Nacht surfte er pausenlos im Netz, auf der verzweifelten Suche nach einem Hinweis auf Sid. Mehr blieb ihm nicht. Der Pod Sids war offline.

      Sid, der auf unerklärliche Weise verschwunden gewesen war, als Marshall im Lazarett von Nevada Fields wieder aus der Bewusstlosigkeit erwachte, geplagt von Visionen von knochenbleichen Felsen und einer riesigen Kugel aus Stahl. Einer Vision, die ihm ein Rätsel war und ihn verstörte. Was er vor seinem geistigen Auge gesehen hatte, war wichtig. Überragend wichtig. Marshall spürte es. Er hatte nur nicht die geringste Ahnung, in welcher Weise.

      Er schob die Gedanken an die Vision zur Seite. Es gab Dringenderes. Sid. Was war mit ihm geschehen?

      Marshall hatte sich selbst eine Frist gesetzt: bis Mitternacht. Dann würde er die Polizei benachrichtigen. Obwohl er sich wie ein Verräter an Sid vorkam. Sid hatte Angst vor der Polizei, wie beinahe alle Kinder im Shelter.

      »John! Wo bleibst du?« Sue stand wieder im Türrahmen.

      Marshall gab sich einen Ruck und rannte die breite, aber knarrende Treppe des Shelters hinunter, so schnell er konnte. Sue rannte voraus. Sie war flinker als er, hängte ihn rasch ab.

      Es machte nichts. Gejohle kam aus dem Essenssaal im Erdgeschoss, wies ihm den Weg.

      Die