Reginald Bull kurz davor, dass ihm Schaum vor dem Mund stand.
Rhodan kannte seinen Freund als einen Mann, der in technische Spielereien vernarrt war. Bull liebte das Neueste und Teuerste – und zuweilen auch das Nutzloseste –, sei es ein Elektroflitzer aus nordkoreanischer Produktion, der in unter drei Sekunden auf Tempo hundert beschleunigte, einen neuen Pod, der ihm endlich wahres Unified Messaging ermöglichen würde, oder einen ferngesteuerten Taschengyrocopter für die wenigen, ungeliebten Stunden, die er in seinem Büro verbrachte.
Bull spielte verzückt mit seinen neuesten Erwerbungen, bis ihm ein neues Neuestes und Teuerstes unter die Augen kam. Im selben Moment noch verlor er das Interesse an seinem gegenwärtigen Spielzeug und verschenkte es an Freunde und Bekannte und, falls keine zur Hand waren, an Fremde. Es war eine der Eigenschaften, die Bull so beliebt machte, doch zugleich eine, die ihm etwas Verschrobenes verlieh und dazu führte, dass man ihn regelmäßig unterschätzte.
Das Raumschiff der Arkoniden war für Bull ein stahlgewordener Wunschtraum, ein unmögliches Utopia der unbegrenzten Möglichkeiten.
Crest da Zoltral enthüllte es ihnen in einer Offenheit, die Rhodan verblüffte. Roboter traten heran. Sie wirkten wie kräftige, idealisierte Arkoniden. Ihre glitzernde Haut verriet, dass sie aus Metall gefertigt waren, aber ihre Bewegungen waren so flüssig, als lebten sie. Sie nahmen den beiden Männern die Raumanzüge ab. Die Berührung ihrer stählernen Finger war sanft. Rhodan und Bull ließen es mit sich geschehen. Im Schiff der Arkoniden stellten die Anzüge mit ihren schweren Versorgungspacks nur eine Behinderung dar.
Der Arkonide stieg auf eine Art Robotstuhl und glitt voran. Das Gefährt schwebte lautlos und kniehoch über dem Boden.
Schwebte.
Bull, der einen Teufel tun und sich von einer optischen Täuschung imponieren lassen würde, gab vor zu straucheln, stolperte über die eigenen Füße und rollte mit einem ächzenden Aufschrei unter dem Robotstuhl hindurch.
Es gelang. Weder verborgene Räder noch Ketten, noch andere mechanische Vorrichtungen hielten den Robotstuhl in der Luft.
»Ein Antigravfeld«, erläuterte Crest da Zoltral, als Bull wieder auf die Beine kam, die Stoppelhaare im rechten Winkel vom Kopf abstehend, als hätte er eben einen Geist berührt. »Wir beherrschen die Fähigkeit, die Schwerkraft nach Belieben zu manipulieren, wie sie sicher schon anhand der Anziehung festgestellt haben, die an Bord unseres Schiffes herrscht. Hätten Sie mich gefragt, hätten Sie auf Ihre Einlage verzichten können. Ich hätte Ihnen gerne Auskunft gegeben.« Crest da Zoltral lächelte. Es war wohlwollend und anerkennend. Auch der Arkonide schien sich der zupackenden Art Bulls nicht entziehen zu können. »Sie werden gleich Gelegenheit haben, Antigravitation in größerem Maßstab kennenzulernen.«
Der Robotstuhl fuhr an, um kurz darauf an einem Loch im Boden des Ganges anzuhalten. Es war kreisrund, und Rhodan schätzte es auf einen Durchmesser von mindestens vier Metern. Rhodan trat an den Rand und blickte hinein. Ein Schacht schloss sich an, der bis zur Basis des Schiffs führen musste. Er war hell erleuchtet wie das übrige Schiff. Und wie im übrigen Schiff konnte Rhodan nicht feststellen, woher das Licht kam. Es war einfach da. Rhodan hob den Kopf und sah, dass der Schacht sich in der Decke fortsetzte. Er war so lang, dass sich sein Ende im Dunst des allgegenwärtigen Lichts verlor.
»Ein Antigravlift, nicht?«, stellte Bull fest, der neben ihn getreten war. »Er zieht sich durch das gesamte Schiff.«
»Das haben Sie klug erkannt«, sagte Crest da Zoltral. Er steuerte seinen Schwebestuhl in den Schacht. Das Antigravfeld trug ihn nach oben. Rhodan zwang seine Furcht nieder, in einen Abgrund zu treten, und folgte ihm. Er fühlte sich sanft hochgehoben, als griffe eine wohlwollende Hand nach ihm und hielte ihn fest.
Bull neben ihm jauchzte wie ein Kind, das einen neuen, schnelleren Schlittenhang entdeckt hatte, als das Antigravfeld ihn erfasste.
Es war nur der Anfang der Wunder, die sie erwarteten.
Crest da Zoltral führte sie in eine riesige Halle, in der ein Dutzend wuchtige Maschinenblöcke standen. »Fusionsreaktoren«, erläuterte der Arkonide, »die AETRON verfügt über 27 von ihnen. Zusammen erbringen Sie eine elektrische Leistung, die genügte, die gesamte amerikanische Ostküste zu versorgen.«
Bull blieb vor einem der Blöcke stehen. Er summte leise. Er streckte eine Hand aus und strich ehrfürchtig über das Metall. »Fusionsreaktoren ...«, flüsterte er. »Auf der Erde arbeitet man seit mehr als einem halben Jahrhundert daran und ist noch keinen echten Schritt weitergekommen. Viele Wissenschaftler zweifeln inzwischen an der Möglichkeit.«
»Sie sehen, es ist möglich«, sagte der Arkonide nur.
Bull wandte sich an Rhodan. »Perry, überleg doch, wenn wir nur einen dieser Reaktoren hätten ...«
Er brauchte den Satz nicht zu vollenden. Rhodan nickte.
Die Arkoniden verfügten über unbeschränkte, saubere und sichere Energie. Die Erde litt an einer Energienot, die ausweglos schien.
Crest da Zoltral zeigte ihnen die riesigen Triebwerke im Ringwulst des Schiffes. »Ihre Schubkraft ermöglicht es der AETRON, innerhalb von zehn Minuten Ihrer Zeit Lichtgeschwindigkeit zu erreichen.« Bull blinzelte nervös, als er die Werte hörte. Die STARDUST hatte Tage benötigt, um auch nur den Bruchteil der Lichtgeschwindigkeit zu erreichen. »Sparen Sie etwas von Ihrer Verblüffung auf«, riet der Arkonide, dem Bulls Erstaunen nicht entging. »Es sind lediglich die Unterlichttriebwerke.«
Der Arkonide führte sie zum eigentlichen Triebwerk. Es war in einer riesigen Halle untergebracht, die Rhodan in der unteren Hälfte der Kugel verortete. Crest nannte es »Transitionstriebwerk«, und es erinnerte Rhodan an eine riesige, in der Mitte zerschnittene, umgestülpte Zwiebel.
»Es basiert auf fünfdimensionaler Technik«, erläuterte Crest da Zoltral. »Die Transition erlaubt den Sprung durch den Hyperraum in Nullzeit.«
»Über welche Distanz?«, fragte der praktisch veranlagte Bull.
»Mehrere hundert Lichtjahre.«
»Reichweite?«
»Mehrere tausend.«
Bull pfiff leise. »Wie hoch ist der Energieaufwand?«, fragte er.
Der Arkonide, dem Stolz offenbar nicht fremd war, antwortete Bull bereitwillig, und zwischen dem Fremden und dem Menschen entspann sich ein beinahe freundschaftlicher Dialog über Raumfahrt.
Rhodan hörte nur mit halber Aufmerksamkeit hin. Er war froh, dass Bull es übernahm, mit dem Arkoniden zu kommunizieren. Es erlaubte Rhodan, im Hintergrund zu bleiben und zu versuchen, das Gesehene zu verarbeiten.
Die Technik der Arkoniden war märchenhaft, es schien keine Grenzen für sie zu geben. Mit diesem Schiff war es möglich, die gesamte Milchstraße zu durchqueren. Zumindest, sollte Crest ihnen die Wahrheit sagen, und daran zweifelte Rhodan nicht.
Und doch, etwas stimmte auf diesem Schiff nicht. Es war eine Kugel mit einem Durchmesser von fast 500 Metern. Der Arkonide hatte ihnen nur einen Bruchteil seines riesigen Volumens gezeigt. Was verbarg sich im Rest? Und was war mit der übrigen Besatzung? Das Schiff wirkte verlassen, wie tot. Sie waren noch keinem anderen Arkoniden neben Crest begegnet. War es Absicht, um sie Primitive behutsam über den ersten Schock der Begegnung zu bringen? Oder gab es überhaupt keine Besatzung? Oder widmete sich die Besatzung schlicht wichtigeren Aufgaben, als zwei lästige Wilde zu begrüßen?
Jede dieser Vermutungen besaß eine gewisse Plausibilität, doch Rhodan glaubte mit gutem Grund nicht, dass eine von ihnen zutraf.
Der Grund war der Gestank. An Bord der AETRON roch es nach Schimmel, nach Verfall, nach altem Schweiß – und verschmort. Nichts davon wollte zur Perfektion der arkonidischen Technik passen.
Als sie die Triebwerkshalle schließlich verließen, sagte Rhodan: »Darf ich Ihnen eine Frage stellen, Crest da Zoltral?« Und bevor der Arkonide noch antworten konnte, fuhr er fort: »Ihr Schiff ist beeindruckend. Schlicht märchenhaft. Aber ich vermisse die Bewohner Ihres Märchenlands. Wo ist die Besatzung?«
Crest da