Готфрид Келлер

Gesammelte Werke von Gottfried Keller


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über Schulen, Meister, Farbe, Licht, Perspektive und dergleichen; las dazwischen schnell einen Artikel über ein anderes Gebiet, der gerade neben einem Malerartikel stand und mir auffiel, und als der Mittag herannahte, war mein Kopf von Gelehrsamkeit vollgepfropft, ich fühlte beinahe selbst den gravitätischen Hochmut in meinen festgeschlossenen Lippen und aufgespannten Augen und schleppte sämtliche Kunstliteratur in mein Zimmer hinüber zu der Mappe des Junker Felix.

      Kaum nahm ich mir nach Tische noch Zeit, bei der Großmutter einen kurzen Besuch abzustatten, ein Glas Wein zu trinken, welchen sie schon seit Vormittag für mich bereitgehalten, und ein kleines Testamentchen mit Goldschnitt und silbernem Schlößchen, welches nach ihrer Angabe ein verspätetes Patengeschenk für meinen schon fortgezogenen Vater gewesen, vergessen worden und lange Jahre in ihrem Schranke liegengeblieben und welches sie treulich für mich aufgehoben hatte kaum nahm ich mir Zeit, dies rührende und zierliche Geschenk einzustecken, und eilte wieder davon. Die Großmutter sah mir, so weit ihre schwachen Augen reichten, etwas wehmütig nach; denn sie hatte mir die heilige Gabe mit besonderer Liebe und Feierlichkeit einhändigen wollen. Aber ich schwand ihr eilig aus dem Gesichte, allein begierig, meine angefachte Kunsteinsicht an den Mann oder vielmehr an die Bäume zu bringen.

      Mit einer Mappe und Zubehör versehen, schritt ich bereits unter den grünen Hallen des Bergwaldes hin, jeden Baum betrachtend, aber nirgends eigentlich einen Gegenstand sehend, weil der stolze Wald eng verschlungen, Arm in Arm stand und mir keinen seiner Söhne einzeln preisgab; die Sträucher und Steine, die Kräuter und Blumen, die Formen des Bodens schmiegten und duckten sich unter den Schutz der Bäume und verbanden sich überall mit dem großen Ganzen, welches mir lächelnd nachsah und meiner Ratlosigkeit zu spotten schien. Endlich trat ein gewaltiger Buchbaum mit reichem Stamme und prächtigem Mantel und Krone herausfordernd vor die verschränkten Reihen, wie ein König aus alter Zeit, der den Feind zum Einzelkampfe aufruft. Dieser Recke war in jedem Aste und jeder Laubmasse so fest und klar, so lebens- und gottesfreudig, daß seine Sicherheit mich blendete und ich mit leichter Mühe seine Gestalt bezwingen zu können wähnte. Schon saß ich vor ihm, und meine Hand lag mit dem Stifte auf dem weißen Papiere, indessen eine geraume Weile verging, ehe ich mich zu dem ersten Strich entschließen konnte; denn je mehr ich den Riesen an einer bestimmten Stelle genauer ansah, desto unnahbarer schien mir dieselbe, und mit jeder Minute verlor ich mehr meine Unbefangenheit. Endlich wagte ich, von unten anfangend, einige Striche und suchte den schöngegliederten Fuß des mächtigen Stammes festzuhalten; aber was ich machte, war leben- und bedeutungslos, die Sonnenstrahlen spielten durch das Laub auf dem Stamme, beleuchteten die markigen Züge und ließen sie wieder verschwinden, bald lächelte ein grauer Silberfleck, bald eine saftige Moosstelle aus dem Helldunkel, bald schwankte ein aus den Wurzeln sprossendes Zweiglein im Lichte, ein Reflex ließ auf der dunkelsten Schattenseite eine neue mit Flechten bezogene Linie entdecken, bis alles wieder verschwand und neuen Erscheinungen Raum gab, während der Baum in seiner Größe immer gleich ruhig dastand und in seinem Innern ein geisterhaftes Flüstern vernehmen ließ. Aber hastig und blindlings zeichnete ich weiter, mich selbst betrügend, baute Lage auf Lage, mich ängstlich nur an die Partie haltend, welche ich gerade zeichnete, und gänzlich unfähig, sie in ein Verhältnis zum Ganzen zu bringen, abgesehen von der Formlosigkeit der einzelnen Striche. Die Gestalt auf meinem Papiere wuchs ins Ungeheuerliche, besonders in die Breite, und als ich an die Krone kam, fand ich keinen Raum mehr für sie und mußte sie, breitgezogen und niedrig, wie die Stirne eines Lumpen, auf den unförmlichen Klumpen zwingen, daß der Rand des Bogens dicht am letzten Blatte stand, während der Fuß unten im Leeren taumelte. Wie ich aufsah und endlich das Ganze überflog, grinste ein lächerliches Zerrbild mich an, wie ein Zwerg aus einem Hohlspiegel, die lebendige Buche aber strahlte noch einen Augenblick in noch größerer Majestät als vorher, wie um meine Ohnmacht zu verspotten; dann trat die Abendsonne hinter den Berg, und mit ihr verschwand der Baum im Schatten seiner Brüder. Ich sah nichts mehr als eine grüne Wirrnis und das Spottbild auf meinen Knien. Ich zerriß dasselbe, und so hochmütig und anspruchsvoll ich in den Wald gekommen, so kleinlaut und gedemütigt war ich nun. Ich fühlte mich abgewiesen und hinausgeworfen aus dem Tempel meiner jugendlichen Hoffnung, der tröstende Inhalt des Lebens, den ich gefunden zu haben wähnte, entschwand meinem innern Blicke, und ich kam mir nun vor wie ein wirklicher Taugenichts, mit welchem wenig anzufangen sei. Ich brach verzagt und weinerlich auf, mit gebrochenem Mute nach einem andern Gegenstande suchend, welcher sich barmherziger gegen mich erwiese. Allein die Natur, mehr und mehr sich verdunkelnd und verschmelzend, ließ mir kein Almosen ab; in meiner Bedrängnis tat sich mir das Wort kund »Aller Anfang ist schwer« und mit demselben die Einsicht, daß ich ja erst jetzt anfange und diese Mühsal eben den Unterschied von dem frühern Spielwerke begründe. Aber diese Einsicht stimmte mich nur trauriger, da mir Mühseligkeit und saurer Fleiß bisher spanische Dörfer gewesen und keineswegs sehr verlockend, vielmehr der Arbeit die Seele und die freudige Lust zu nehmen schienen. Ich nahm meine Zuflucht endlich wieder einmal zu Gott, der mir im Rauschen des Waldes und in meinem eingebildeten Elende wieder nahe getreten, und bat ihn flehentlich, mir zu helfen um meiner Mutter willen, deren sorgenvoller Einsamkeit ich nun auch gedachte.

      Da traf ich auf eine junge Esche, welche mitten in einer Waldlücke auf einem niedrigen Erdwalle emporwuchs, von einer sickernden Quelle getränkt. Das Bäumchen hatte einen schwanken Stamm von nur zwei Zoll Dicke und trug oben eine zierliche Laubkrone, deren regelmäßig gereihte Blätter zu zählen waren und sich, so wie der Stamm, einfach, deutlich und anmutig auf das klare Gold des Abendhimmels zeichneten. Weil das Licht hinter der Pflanze war, sah man nur den scharfen Umriß des Schattenbildes, es schien wie absichtlich zur Übung eines Schülers hingestellt.

      Ich setzte mich noch einmal hin und wollte flugs das kindliche Stämmchen mit zwei parallelen Linien auf mein Papier stehlen; aber noch einmal wurde ich gehöhnt, indem der einfache, grünende Stab im selben Augenblicke, wo ich ihn zu zeichnen und genauer anzusehen begann, eine unendliche Feinheit und Mannigfaltigkeit der Bewegung annahm. Die beiden aufstrebenden Linien schmiegten sich in allen kaum merklichen Biegungen so streng aneinander, sie verjüngten sich nach oben so fein, und die jungen Äste gingen endlich in so gemessenen Winkeln daraus hervor, daß um kein Haar abgewichen werden durfte, wenn das Bäumchen seine schöne Gestalt behalten sollte. Doch nahm ich mich zusammen und klammerte mich ängstlich und aufmerksam an jede Bewegung meines Vorbildes, woraus endlich nicht eine sichere und elegante Skizze, sondern ein zaghaftes, aber ziemlich getreues Gebilde hervorging. Ich fügte, einmal im Zuge, mit Andacht die nächsten Gräser und Würzelchen des Bodens hinzu und sah nun auf meinem Blatte eines jener frommen nazarenischen Stengelbäumchen, welche auf den Bildern der alten Kirchenmaler und ihrer heutigen Epigonen den Horizont so anmutig und naiv durchschneiden. Ich war zufrieden mit meiner bescheidenen Arbeit und betrachtete sie noch lange abwechselnd mit der schlanken Esche, die sich im leisen Abendhauche wiegte und mir wie ein freundlicher Himmelstote erschien. Als ob ich wunder was verrichtet hätte, zog ich hochvergnügt dem Dorfe zu, wo meine Verwandten begierig waren, die Früchte meiner mit soviel Anspruch unternommenen Waldfahrt zu sehen. Nachdem ich aber mein Bäumlein mit seinen höchstens vier Dutzend Blättern hervorgezogen, löste sich die Erwartung in ein allgemeines Lächeln auf, welches bei den Unbefangensten zum Gelächter wurde; nur dem Oheim gefiel es, daß man doch gleich ein junges Eschchen erkannte, und er munterte mich auf, unverdrossen fortzufahren und die Waldbäume recht zu studieren, wozu er mir als Forstmann behilflich sein wolle. Er besaß noch so viel städtische Erinnerung, daß ihm dergleichen nicht lächerlich vorkam; auch mochten leidenschaftliche Jäger von jeher die Malerei wohl leiden, insofern sie den Schauplatz ihrer Freuden und ihre Taten selbst verherrlicht. Daher begann er nach dem Abendessen noch sogleich einen Kursus mit mir und sprach von den Eigentümlichkeiten der Bäume und von den Stellen, wo ich die lehrreichsten Exemplare finden würde. Zuvörderst aber empfahl er mir, die Studien des Junkers Felix zu kopieren, was ich an den folgenden Tagen mit großem Eifer tat, indessen wir an den schönen Abenden unsere Rekognoszierungen für die nächste Jagdzeit fortsetzten und dabei die reizendsten Gründe und Höhen durchstreiften, umgeben und begleitet von der reichsten Baumwelt.

      So ging die erste Woche meines ländlichen Aufenthaltes angenehm zu Ende, und um diese Zeit wußte ich schon die meisten Bäume voneinander zu unterscheiden und freute mich, die grünen Gesellen mit ihren Namen begrüßen zu können; nur hinsichtlich der reichen Kräuterwelt des feuchten oder trockenen Bodens bedauerte ich erst jetzt wieder lebhaft die Unterbrechung jener botanischen