durch den gelben Kornstreifen, die smaragdenen Kleefelder und den dahinter liegenden Wald, welche alle sich gänzlich unverändert in der Flut auf den Kopf stellten, begrenzt wurde. Das Haus war weiß getüncht, das Fachwerk rot angestrichen und die Fensterladen mit großen Muscheln und Blumen bemalt, aus den Fenstern wehten weiße Gardinen, und aus der Haustür trat, ein zierliches Treppchen herunter, das junge Bäschen, schlank und zart wie eine Narzisse, in einem weißen Röckchen und mit einem himmelblauen Bande gegürtet, mit goldbraunen Haaren, blauen Äuglein, einer etwas eigensinnigen Stirne und einem kleinen lächelnden Mündchen. Auf den schmalen Wangen wallte ein Erröten über das andere hin, das feine Glockenstimmchen klang kaum vernehmbar und verhallte alle Augenblicke wieder. Durch ein duftendes Rosen- und Nelkengärtchen führte uns Anna, nachdem sie sich mit meinen Basen so zärtlich und feierlich begrüßt hatte, als ob sie einander ein Jahrzehnt nicht gesehen, in das vor Reinlichkeit und Aufgeräumtheit widerhallende Haus, wo uns ihr Vater, in einem saubern grauen Fracke und weißer Halsbinde, in gestickten Pantoffeln einhergehend, herzlich und zufrieden willkommen hieß. Er hatte den beschaulichen Sonntag über Büchern zugebracht, welche noch auf dem Tische lagen, und mochte nun froh sein, unverhofft eine so hübsche Anzahl Zuhörer für seine Beredsamkeit vor sich zu sehen. Als ich ihm vorgestellt wurde, schien er sich besonders zu freuen, seine Manieren und gelehrte Reden mit Anerkennung an den Mann bringen zu können, da er mich mitten aus dem blühendsten höhern Schulwesen herkommend vermutete. Er hatte auch alle Ursache, sich an mich zu halten; denn schon hatten meine Vettern sich aus dem Staube gemacht, noch ehe der Schulmeister einen Stoff ergriffen, und ich sah, wie sie draußen am Ufer alle drei ihre Köpfe tief in die Öffnung eines Fischkastens steckten, daß man nichts von ihnen sehen konnte als ihre sechs Beine. Sie untersuchten aufmerksam den Fischbestand ihres Oheims, indessen die Schwestern seinem Töchterchen und einer alten Magd in Küche, Keller und Garten gefolgt waren.
Der Schulmeister merkte bald, daß ich ein andächtiger und bescheidener Zuhörer und auf seine Fragen nicht ohne Geschick einzugehen imstande sei. Freilich nahm er das stille Dasitzen, welches nicht immer auf die summenden Worte achtet und sie, etwas heuchlerisch, als angenehmes Wiegenlied zu einem anderweitigen Träumen benutzt, für bare Münze, um so mehr, als ich in solcher Lage doch immer wach genug war, auf die Übergänge zu merken. Nachdem er mich über die neuen Schuleinrichtungen angelegentlich befragt, fuhr er fort »Aber etwas bunt muß es doch noch zugehen! Da habe ich eben in der Zeitung gelesen, daß in einer Abteilung unserer Kantonsschule die bekannten Störungen endlich dadurch gehoben worden, daß man den unpraktischen Lehrer und den unnützesten Schüler, einen wahren kleinen Revolutionär, zugleich entfernt und dadurch die Ruhe gründlich hergestellt habe. Daß man nun den Lehrer entlassen hat, scheint mir ganz vernünftig, wenn man ihn nur anderweitig versorgt; hingegen mit dem Schüler will es mir nicht recht einleuchten, es will mich bedünken, als ob man demselben damit verdeutet habe Du bist nun außer unsere Gemeinschaft gestellt und magst zusehen, was du aus dir machst! Dies ist nicht christlich gehandelt, und unser Herr und Meister würde das verirrte Schaf gewiß zunächst unter die Falten seines Mantels genommen haben. Kennt Ihr, liebes Vettermännchen, den verstoßenen Knaben?«
Der Mann weckte durch diese Frage die peinvollen Erinnerungen und durch ihre Fassung zugleich eine tiefe Wehmut in mir auf, und ich antwortete, kleinlaut und eine Träne im Auge, ich wäre es selbst.
Ganz erstaunt trat er einen Schritt zurück und betrachtete mich mit großen Augen; es war verlegen, einen angehenden Teufel in so harmloser Gestalt so nahe vor sich zu sehen. Doch hatte ich ihn schon zu sehr für mich eingenommen, als daß diese Verlegenheit zu lange andauern konnte, und mein eigenes Benehmen mochte ihn belehren, daß er mit seiner vorher ausgesprochenen milden Ansicht nicht das Unrechte getroffen.
»Ich habe mir es doch gleich gedacht«, versetzte er, »daß die Sache ein Häklein habe; denn ich sehe und will es gern glauben, daß der Vettermann ein junger Mensch ist, mit dem sich ein vernünftiges Wort reden läßt! Doch erzählt mir nun den Verlauf dieser schlimmen Geschichte recht getreulich, es nimmt mich sehr wunder, wie sich darin die Schuld und das Unrecht verteilen!«
Nachdem ich dem freundlichen Schulmeister den ganzen Hergang aufrichtig und weitläufig, zuletzt etwas leidenschaftlich berichtet, da ich zum ersten Mal seither mein Herz leeren konnte, besann er sich eine Weile, indem er verschiedene Hm! und Soso! hervorstieß, und fuhr dann fort:
»Das ist ein ganz eigenes Geschick! Zuerst müsset Ihr nun Euch nicht überheben und etwa einen hochmütigen Groll auf das Erlittene begründen, welcher Euch für das ganze Leben schädlich sein könnte! Ihr müsset bedenken, daß Ihr doch das Unrecht und den Mutwillen der übrigen geteilt habt, und Euch hienach glücklich preisen, daß Ihr in so frühem Alter schon von Gott selbst eine ernste Strafe und Belehrung empfangen; denn das, was Euch widerfahren, ist nicht die Gerechtigkeit der Menschen, sondern ein unmittelbares Eingreifen des Herrn der Welt, womit er Euch frühzeitig gewürdigt und gezeigt hat, daß er mit Euch nicht zu spaßen gedenkt, sondern Euch seine eigenen strengen Wege führen will. Nachdem Ihr also dieses scheinbare Unglück dankbar und reuevoll angenommen und das vermeintliche Unrecht vergeben und vergessen, müßt Ihr allein darauf bedacht sein, dem Ernste dieses Erlebnisses entsprechend fortzuleben, und gewärtig, daß jede Abweichung von der Bahn des Rechten und Guten sich an Euch empfindlicher rächen werde als an anderen, auf daß Ihr dadurch in der Übung des Guten gerade fleißiger und stärker werdet als viele, denen nicht solches geschieht. Nur auf diese Weise vermag das Ereignis etwas Heilbringendes und der Trost über sich selbst zu sein, ohne dies aber würde es nur eine fatale und ärgerliche Geschichte bleiben, mit welcher ein so junges Leben zu beladen nicht die Absicht und das Vergnügen Gottes sein kann. Freilich ist nun die Wahl eines Berufes das Nächste und Wichtigste, und wer weiß, ob nicht Euere Bestimmung ist, gerade durch diese plötzliche Bedrängnis Euch früher zu entscheiden, als sonst geschehen wäre! Gewiß habt Ihr schon die Lust zu irgendeinem besondern Berufe in Euch verspürt?«
Diese Reden gefielen mir ausnehmend wohl; obgleich ich den ernsten moralischen Sinn derselben nicht sonderlich faßte, so ergriff ich doch den Gedanken an eine höhere Bestimmung und Leitung Gottes höchst lebendig und dünkte mich glücklich, mich unter dem besondern Schutze Gottes in meinen Neigungen zu wissen; es ging mir ein heller Stern auf, und ich sagte unumwunden »Ja, ich möchte ein Maler werden!«
Bei dieser Antwort stutzte mein neuer Freund fast noch mehr als bei dem frühern Geständnisse, weil er in seiner Abgeschiedenheit von allem Verkehre der Kultur am wenigsten an dies Wort gedacht hatte. Doch besann er sich ebenfalls schnell und sprach:
»Ein Maler? Ei sieh, das ist seltsam! Doch lasset sehen! Es hat allerdings eine Zeit gegeben, wo es Maler gegeben hat, welche von göttlichem Geiste erfüllt waren, welche den dürstenden Völkern einen Trunk himmlischen Lebens reichten in Ermangelung des lebendigen Wortes, das wir Jetzt haben. Allein so wie schon dazumal diese Kunst nur zu bald ein eitler Flitterkram der hochmütigen Kirche geworden, so scheint sie mir heutzutage vollends ohne innern Kern und ein bloßes Gebaren der menschlichen Eitelkeit und Fratzenhaftigkeit zu sein. Ich habe zwar durchaus keine Kenntnis von den Künsten, wie sie jetzo in der Welt hantiert werden, kann mir aber desto weniger vorstellen, wie sich ein ernsthaftiges und geistiges Leben dabei führen läßt! Habt Ihr denn so große Lust und Geschick, allerlei unnützes Bildwerk zu verfertigen oder wohl gar Menschengesichter für Bezahlung abzubilden?«
»Zuvörderst will ich ein Landschaftsmaler werden«, erwiderte ich, »und habe dazu allerdings große Lust und hoffe, der liebe Gott werde mir auch das Geschick geben!«
»Ein Landschaftsmaler? das heißt, merkwürdige Städte, Gebirge und Weltgegenden abbilden? Hm! Dieses scheint mir nicht so übel zu sein, da lernt man wenigstens die Welt kennen und kommt weit umher; Länder, Meere und allenfalls auch die Menschen dazu; aber dazu gehört besonderer Mut und eigenes Glück, wie mich dünkt, und vor allem soll, meines Erachtens, ein junger Mensch darauf denken, wie er im Lande bleiben und sich redlich nähren, auch seinen Mitbürgern sich nützlich und seinen Eltern dienstbar erweisen kann!«
»Die Landschaftsmalerei, die ich im Sinne habe, ist nicht sowohl, was Ihr hiemit darunter versteht, Herr Vetter! als etwas ganz anderes!«
»Nun, und das wäre?«
»Sie besteht nicht darin, daß man merkwürdige und berühmte