zwei Dinge erworben einen großen und mächtigen Kunstgönner, der unsichtbar über die dämmernde Welt hinschritt, und ein allerliebstes Schätzchen von meinem Alter im Herzen.
Drittes Kapitel
Ich konnte den unbestimmten Zwischenzustand nun nicht länger ertragen, sondern suchte unter meinen Sachen nach einem feinen Blättchen Papier, um einen Brief an meine Mutter zu schreiben, den ersten in meinem Leben. Als ich ganz zuoberst am Rande das »Liebe Mutter!« hinsetzte, schwebte sie mir in einem neuen Lichte vor, ich empfand diesen feinen Fortschritt und Ernst des Lebens wohl, und meine Schreibgeläufigkeit ließ mich anfänglich im Stiche und kaum die ersten Sätze finden. Doch führten mich die Schilderungen meiner Reise und des Aufenthaltes im Pfarrhause sowie der sonstigen Erlebnisse bald in das Geleise zurück, und meine Beschreibung fiel nur allzu geschmückt und prahlerisch aus. Ich trug ein großes Behagen zur Schau und ein gewisses sonderbares Bestreben, welches sich nachher mehrmals wiederholte, auf meine Mutter mit einem glücklichen Befinden und mit meinen verschiedenen Taten und Abenteuern eine Art Eindruck zu bewirken, eine förmliche Sucht, auf naive Weise sie zu unterhalten und zugleich da durch mich geltend zu machen, als ob ich auch ohne den Quell meines Lebens dieses zu finden und zu bezwingen wüßte. Alsdann ging ich auf den Zweck meines Schreibens über und erklärte ihr weitläufig, daß ich nun durchaus glaubte, ein Maler werden zu müssen, und infolgedessen bat ich sie, sich vorläufig umzusehen und mit den verschiedenen Erfahrenen unserer Bekanntschaft sich zu beraten. Die Familienberichte und Grüße sowie einige wichtige Aufträge über kleine Gegenstände bildeten den Schluß des Briefes, ich faltete ihn eng und künstlich zusammen und verschloß ihn mit meinem Leibsiegel, einem unbehilflichen Anker, das Zeichen der Hoffnung, welches ich längst in ein weiches Stückchen Alabaster selbst gegraben hatte und nun zum ersten Mal zu einem wirklichen Zwecke gebrauchte. Die Adresse schrieb ich sehr ausführlich und besonders das »An Frau Lee, née Hartmann« mit ungemeiner Ansehnlichkeit.
Nach dem Empfange dieses Briefes begab sich meine Mutter in ihre Staatskleidung, schlicht und einfarbig, bauschte ein frisches Taschentuch zusammen, das sie in die Hand nahm, und begann feierlich ihren Rundgang bei den ihr zugänglichen Autoritäten.
Zuerst sprach sie bei einem angesehenen Schreinermeister vor, welcher viel in vornehmen Häusern verkehrte und Weltkenntnis besaß. Als Freund meines seligen Vaters pflegte er noch Freundschaft und Wohlwollen für uns, so wie er auch die Bildungsbestrebungen jener Tage eifrig fortsetzte. Nachdem er Vortrag und Bericht der Mutter ernstlich angehört, erwiderte er kurzweg, das sei nichts und hieße so viel, als das Kind einer liederlichen und ungewissen Zukunft aussetzen. Man solle sich umschauen, so viele Maler in unserm Gebiete sich noch hätten blicken lassen, so viele arme Teufel und verkommene Menschen wären es auch! So wies er vorzüglich auf einen Porträtmaler hin, welcher jedes Jahr zweimal in unsere Stadt gekommen, um die inzwischen entstandenen Bräute und solche bejahrte Herrschaften zu malen, die ihre silberne oder goldene Hochzeit feierten, daneben auch etwa einen angesehenen Magistraten, welcher sich durch hinlängliches öffentliches Wirken für die Verewigung auf eindringliches Bitten seiner Verehrer reif erachtete. Dieser Künstler war ein Habenichts und Branntweinsäufer gewesen, hatte immer Schulden hinterlassen, trotz dem reichlichen Verdienste, und war endlich auf der Landstraße erfroren. Hingegen wußte der Schreiner bessern Rat, wenn einmal etwas Künstlerisches ergriffen werden müsse. Ein junger Vetter von ihm hatte sich in einer entfernteren Stadt als Landkartenstecher ausgebildet und genoß einen reichlichen und anständigen Erwerb, so daß er in den Augen seiner Sippschaft als etwas Rechtes dastand. Daher erbot sich der Ratgeber, mich aus besonderer Freundschaft in der Nähe dieses Mannes unterzubringen, wo ich dann, wenn wirklich etwas Tüchtiges in mir stäke, es nicht nur bis zum Stechen, sondern zum Selbstentwerfen der Landkarten bringen könne, indem ich meine Zeit wohl anwende zur Erwerbung der nötigen Kenntnisse. Dies wäre dann ein feiner, ehrenvoller und zugleich ein nützlicher und in das große Leben passender Beruf.
Mit vermehrten Sorgen und Zweifeln gelangte meine Mutter zum zweiten Gönner und auch einem Freunde ihres Mannes. Derselbe war ein Fabrikant von farbigen und bedruckten Tüchern, welcher sein ursprünglich geringes Geschäft nach und nach erweitert hatte und sich eines wachsenden Wohlstandes erfreute. Er erwiderte den Bericht meiner Mutter folgendermaßen:
»Dieses Ereignis, daß der junge Heinrich, der Sohn unseres unvergeßlichen Freundes, sich für eine künstlerische Laufbahn erklärt, und die Nachricht, daß er schon lange sich vorzugsweise mit Stift und Farben beschäftigt, kommt sehr erfreulich einer Idee entgegen, die ich schon einige Zeit in bezug auf den Knaben hege. Es entspricht ganz dem Geiste seines wackern Vaters, daß er seine Neigung einer feineren Tätigkeit zuwendet, zu welcher Talente und ein höherer Schwung erforderlich sind; allein diese Neigung muß auf eine solide und vernünftige Bahn gelenkt werden. Nun ist Euch, werteste Frau und Freundin, die Art meines nicht unbedeutenden Geschäftes bekannt; ich fabriziere bunte Stoffe, und wenn ich einen leidlichen Verdienst erzwecke, so geschieht es hauptsächlich dadurch, daß ich mit Aufmerksamkeit und Raschheit allezeit die neuesten und gangbarsten Dessins zu bringen und selbst den herrschenden Geschmack durch ganz Neues und Originelles zu überbieten suche. Hiezu sind eigene Zeichner vorhanden, deren Aufgabe es ist, lediglich neue Dessins zu erfinden und, in der behaglichen Stube sitzend, nach Herzenslust Blumen, Sterne und Linien durcheinanderzuwerfen. In meiner bescheidenen Anstalt habe ich drei solcher Leute, die gerade keine großen Kirchenlichter sind, denen ich aber ein lästerliches Geld bezahlen und sie obenhinein noch sehr glimpflich behandeln muß. Sie sind, obgleich sie ganz geschickt den Gang des Geschäftes begreifen und verfolgen, doch nur zufällig zu diesem Berufe gekommen und durch keinerlei innere Kraft vorherbestimmt. Was könnte mir nun willkommener sein als ein junger Mensch, der mit solcher Energie sich für Papier und Farben erklärt, in so frühem Alter, der den ganzen Tag, ohne weitere Anregung, Bäume und Blumengärtchen malt? Wir wollen ihm schon Blumen genug verschaffen, in geordneten Reihen soll er sie auf die Tücher zaubern, unerschöpflich, immer neu; er soll aus der reichen Natur die wunderbarsten und zierlichsten Gebilde abstrahieren, welche meine Konkurrenten zur Verzweiflung bringen!« (Und der treffliche Mann erging sich hier, meine Mutter beinahe vergessend, in den kühnsten Spekulationen.) »Kurz, gebt mir Euren Sohn ins Haus! Ich werde ihn bald so weit gebracht haben wie die anderen, und wenn er einige Jahre älter ist, so tun wir ihn nach Paris, wo die Sache ins Große betrieben wird und die ausgezeichnetsten Dessinateurs der verschiedensten Industriezweige leben wie die Fürsten und von den Geschäftsleuten auf Händen getragen werden. Hat er dort sich gehörig emporgeschwungen und seine Erfahrung bereichert, so ist er ein gemachter Mann und kann sein Los selbst bestimmen. Will er alsdann sich wieder mit mir verbinden, so wird das mir zur Freude und zum Vorteil gereichen, findet er aber sein Glück anderswo, so habe ich nichtsdestoweniger meine Zufriedenheit daran. Bedenket Euch, ich glaube mich nicht zu täuschen!«
Er führte hierauf meine Mutter in seinem Geschäfte herum und zeigte ihr die bunten Herrlichkeiten, die geschnittenen Holzmödel und vor allem die kühnen Kompositionen seiner Zeichner. Es leuchtete ihr alles vollkommen ein und erfüllte sie wieder mit Hoffnung. Abgesehen von dem gesicherten und reichlichen Erwerbe, welchen ein gewandter Geschäftsmann verbürgte, war ja diese ganze Kunst dem Dienste der Frauen gewidmet und so reinlich und friedsam, daß ein Sohn in ihrem Schoße wohl geborgen schien. Auch mochte es vielleicht eine Ader verzeihlicher Eitelkeit erwecken, wenn sie sich in einen der bescheideneren Stoffe meiner Erfindung gekleidet dachte. Sie war so mit diesen angenehmen Gedanken beschäftigt, daß sie für diesmal ihre Wanderung einstellte, um sich ganz in denselben zu ergehen.
Der folgende Tag jedoch rief sie wieder zu gänzlichen Erfüllung ihrer Mutterpflicht auf und führte sie mit neuen Sorgen und Zweifeln auf den Weg. Sie gelangte zu einem dritten Freunde des Vaters, einem Schuster, der im Geruche tiefen Verstandes lebte und ein gewaltiger Politiker war. Seit dem Tode meines Vaters war er durch die Zeitereignisse in eine strenge demokratische und sozialistische Richtung hineingetreten. Nach mißlaunischer Anhörung des Berichtes und des Erfolges der gestrigen Bemühungen brach er barsch los:
»Maler, Landkartenmacher, Blümchenzeichner, Stubensitzer, Herrenknecht! Handlanger der Geldaristokraten, Gehilfe des Luxus und der Verweichlichung, als Landkartenmacher