Zeugnisse sind von den Christen stets sehr hoch gehalten worden. Sind es doch die Zeugnisse eines Nichtchristen, eines Juden und Pharisäers, der im Jahre 37 nach Beginn unserer Zeitrechnung geboren wurde und in Jerusalem lebte, also sehr wohl authentische Nachrichten über Jesus besitzen konnte. Und sein Zeugnis wäre um so mehr beachtenswert, da er als Jude ja keinen Grund hatte, zugunsten der Christen zu schwindeln.
Aber gerade die übermäßige Hochhebung Christi durch den frommen Juden machte die eine Stelle in seinem Werke frühzeitig verdächtig. Schon im sechzehnten Jahrhundert wurde ihre Echtheit angefochten, und heute steht es fest, daß sie gefälscht ist und gar nicht von Josephus herrührt. Im Laufe des dritten Jahrhunderts hat sie ein christlicher Abschreiber eingefügt, der offenbar Anstoß daran nahm, daß Josephus, der den unbedeutendsten Klatsch aus Palästina erzählt, von der Person Jesu gar nichts mitteilt. Der fromme Christ hatte das richtige Gefühl, daß das Fehlen jeglicher Erwähnung gegen die Existenz oder wenigstens die Bedeutung der Person seines Heilands spräche. So ist die Aufdeckung seiner Fälschung zu einem Zeugnis gegen Jesus geworden.
Aber auch die Stelle über Jakobus ist sehr zweifelhafter Natur. Es ist richtig, daß schon Origenes, der von 185 bis 254 n. Chr. lebte, in seiner Erläuterung zu Matthäus ein Zeugnis des Josephus über Jakobus erwähnt. Er bemerkt dabei, es sei sonderbar, daß Josephus trotzdem an Jesum nicht als Christus geglaubt habe. Auch in der Streitschrift gegen Celsus zitiert er diese Äußerung des Josephus über Jakobus und konstatiert dabei ebenfalls den Unglauben des Josephus. Diese Sätze des Origenes bilden einen der Beweise dafür, daß im ursprünglichen Josephus die so auffallende Stelle über Jesus nicht gestanden haben kann, in der er diesen als den Christus, den Messias, anerkannte. Gleichzeitig stellt sich aber heraus, daß jene Stelle über Jakobus, die Origenes im Josephus fand, auch eine christliche Fälschung war. Denn diese von Origenes zitierte Stelle lautet ganz anders als die in den uns erhaltenen Handschriften des Josephus befindliche. Es wurde darin die Zerstörung Jerusalems als Strafe für die Hinrichtung des Jakobus bezeichnet. Diese Fälschung ist in die anderen Josephushandschriften nicht übergegangen, uns also nicht erhalten geblieben. Die in unseren Josephushandschriften erhaltene Stelle über Jakobus wird dagegen von Origenes nicht zitiert, während er die andere dreimal bei verschiedenen Gelegenheiten erwähnt. Und doch trug er sorgfältig alle Zeugnisse des Josephus zusammen, die für den christlichen Glauben verwertbar waren. Es liegt demnach nahe, anzunehmen, daß die uns erhaltene Stelle des Josephus über Jakobus ebenfalls gefälscht ist, daß sie erst nach Origenes, aber vor Eusebius, der sie zitiert, von einem frommen Christen zur höheren Ehre Gottes eingeschoben wurde.
Wie die Erwähnung Jesus und Jakobus ist auch die Johannes des Täufers bei Josephus (Altertümer XVIII, 5, 2) als eine „Interpolation“ verdächtig.
Also christliche Fälschungen im Josephus auf Schritt und Tritt, schon vom Ende des zweiten Jahrhunderts an. Das Stillschweigen des Josephus über die Hauptpersonen der Evangelien war eben zu auffallend und mußte korrigiert werden.
Aber selbst wenn die Aussage über Jakobus echt wäre, bewiese sie im besten Falle, daß es einen Jesus gab, den man Christum, das heißt Messias, nannte. Mehr konnte sie unmöglich beweisen.
„Wenn nun wirklich die Stelle dem Josephus zugeschrieben werden müßte, so wäre für die kritische Theologie damit doch nur der Faden eines Spinngewebs gewonnen, an den eine Menschengestalt gehängt werden sollte. So viele Christusprätendenten gab es zur Zeit des Josephus bis tief in das zweite Jahrhundert hinein, daß von denselben vielfach nur noch summarische Kunde übrig geblieben ist. Da gibt es einen Judas von Galiläa, einen Theudas, einen namenlosen Ägypter, einen Samariter, einen Bar Kochba, – warum soll nicht auch ein Jesus unter ihnen gewesen sein – Jesus war ja ein weitverbreiteter jüdischer Personenname.“
Die zweite Stelle des Josephus sagt uns also im besten Falle, daß unter den Agitatoren in Palästina, die damals als Messias, als Gesalbte des Herrn, auftraten, auch einer Jesus hieß. Wir erfahren nicht das mindeste daraus über sein Leben und Wirken.
Die nächste Erwähnung Jesu durch einen nichtchristlichen Schriftsteller finden wir in des römischen Geschichtschreibers Tacitus Annalen, die ungefähr um das Jahr 100 verfaßt wurden. Im 15. Buch wird dort der Brand Roms unter Nero beschrieben, und da heißt es im 44. Kapitel:
„Um dem Gerücht entgegenzuwirken (das Nero die Schuld an dem Brande zuschob), stellte er Leute, die, wegen ihrer Schandtaten verhaßt, vom Volke Christen genannt wurden, als die Schuldigen hin und belegte sie mit den ausgesuchtesten Strafen. Der Urheber ihres Namens, Christus, war unter der Regierung des Tiberius vom Prokurator Pontius Pilatus hingerichtet worden; der dadurch für den Augenblick unterdrückte Aberglaube brach dann wieder aus, nicht bloß in Judäa, dem Ursprungsland dieser Seuche (mali), sondern auch in Rom selbst, wo von allen Seiten alles Scheußliche und Schandvolle (atrocia aut pudenda) zusammenströmt und Verbreitung findet. Zuerst wurden einige ergriffen, die ein Geständnis ablegten, dann auf ihre Angabe hin eine ungeheure Menge, die aber gerade nicht des Verbrechens der Brandstiftung,sondern des Menschenhasses überwiesen wurden. Ihre Hinrichtung wurde zur Kurzweil; man bedeckte sie mit den Fellen wilder Tiere und ließ sie dann von Hunden zerfleischen oder kreuzigte sie oder richtete sie zum Anzünden her und verbrannte sie, sobald es finster wurde, zur Erleuchtung der Nacht. Zu diesem Schauspiel gab Nero seine Gärten her und er veranstaltete Zirkusspiele, bei denen er sich im Gewand eines Wagenlenkers unter das Volk mischte oder einen Rennwagen bestieg. Obwohl es sich Missetäter handelte, die die härteste Strafe verdienten, entstand doch Mitleid für sie, als fielen sie nicht dem allgemeinen Wohle, sondern der Wut eines einzelnen zum Opfer.“
Dieses Zeugnis ist sicher nicht von Christen zu ihren Gunsten gefälscht. Wohl ist auch seine Richtigkeit angefochten worden, da Dio Cassius von einer Christenverfolgung unter Nero nichts weiß. Indes lebte Dio Cassius hundert Jahre später als Tacitus. Sueton, der bald nach Tacitus schrieb, berichtet in seiner Biographie Neros ebenfalls von einer Verfolgung von Christen , „Leuten, die sich einem neuen und bösartigen Aberglauben ergeben haben“. (Kap. 16)
Aber von Jesus teilt uns Sueton gar nichts mit und Tacitus überliefert nicht einmal seinen Namen. Christus, das griechische Wort für „der Gesalbte“, ist nur die griechische Übersetzung des hebräischen Wortes „Messias“. Aber Christi Wirken und den Inhalt seiner Lehre sagt uns Tacitus nichts und das ist alles, was wir aus dem ersten Jahrhundert unserer Zeitrechnung von nichtchristlichen Quellen über Jesus erfahren.
2. Die christlichen Quellen
Aber strömen die christlichen Quellen nicht um so reichlicher? Haben wir nicht in den Evangelien die ausführlichsten Beschreibungen über Jesu Lehre und Wirken ?
Freilich, ausführlich sind sie genug. Aber leider, mit der Glaubwürdigkeit hapert es bedenklich. Das Beispiel der Fälschung des Josephus hat uns schon ein Charaktermerkmal der älteren christlichen Geschichtschreibung gezeigt, ihre völlige Gleichgültigkeit gegen die Wahrheit. Nicht auf die Wahrheit, sondern auf die Wirkung kam es ihr an, und sie war dabei durchaus nicht bedenklich in der Wahl ihrer Mittel
Um gerecht zu sein, muß man gestehen, daß sie in ihrer Zeit damit nicht allein steht. Auch die jüdische religiöse Literatur machte es nicht besser, und die „heidnischen mystischen Richtungen in den Jahrhunderten vor und nach Beginn unserer Zeitrechnung machten sich der gleichen Sünde schuldig. Leichtgläubigkeit des Publikums, Sensationssucht sowie der Mangel an Zutrauen zur eigenen Kraft, das Bedürfnis, sich an übermenschliche Autoritäten anzuklammern, Mangel an Wirklichkeitssinn, Eigenschaften, deren Ursachen wir noch kennen lernen, infizierten damals die ganze Literatur um so mehr, je mehr sie vom Boden des Herkömmlichen abwich. Wir werden Belege dafür in der christlichen und jüdischen Literatur noch zahlreich finden. Daß aber auch die dem Christentum freilich innig verwandte mystische Philosophie dazu neigte, zeigen uns zum Beispiel die Neupythagoreer, eine Richtung, die im Jahrhundert vor Beginn unserer Zeitrechnung aufkam, ein Gemisch von Platonismus und Stoizismus, voll Offenbarungsglauben und Wundersucht, das sich als Lehre des alten Philosophen Pythagoras ausgab, der im sechsten Jahrhundert