Джек Лондон

Gesammelte Werke


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doch ab­so­lut, was der An­ge­klag­te zu sei­ner Ver­tei­di­gung sagt. John Borg war – dies min­des­tens hat die Ver­hand­lung klar er­ge­ben – ein ei­fer­süch­ti­ger Wü­te­rich – im­mer im An­griff – be­waff­net – zehn Zen­ti­me­ter grö­ßer, zwan­zig Ki­lo­gramm schwe­rer als der An­ge­klag­te! Wie den­ken Sie sich die Nacht, wenn Gre­go­ry der Mör­der oder bes­ser ge­sagt der Tot­schlä­ger war? Ein Schuss von hin­ten, ein meuch­le­ri­scher Stoß mit dem Dolch ge­gen den Be­sit­zer ei­ner Skla­vin, nach der ihm der Sinn stand, das wäre mög­lich. Aber – mei­ne Her­ren – eine Rei­he furcht­ba­rer Ver­let­zun­gen, von de­nen kei­ne töd­lich war … wie soll er sie dem rie­sen­star­ken Borg zu­ge­fügt ha­ben, ohne selbst ver­wun­det zu wer­den? Und Bel­la? Bel­la soll­te zu­ge­se­hen ha­ben, wie die bei­den Män­ner mit­ein­an­der kämpf­ten, wie ihr Herr von dem Frem­den zu­schan­den ge­schla­gen wur­de, ohne ein­zu­grei­fen, ohne die Tür auf­zu­rei­ßen und gel­lend um Hil­fe zu schrei­en? Die Tat­sa­chen, Herr Kla­gean­walt, auf die Sie Ihre An­kla­ge stüt­zen, schla­gen Ih­nen ja selbst ins Ge­sicht! Nie hät­te ich ge­dacht, dass ein Mann, ein Ju­rist, an stren­ges lo­gi­sches Den­ken ge­wöhnt, so er­staun­li­che Schlüs­se zie­hen könn­te! Na­tür­lich müs­sen Drit­te auf dem Kampf­platz ge­we­sen sein, ob es ein Mann oder zwei Män­ner, wie der An­ge­klag­te sagt, ob es viel­leicht eine gan­ze Schar von Mord­bu­ben war, dar­auf kommt es nicht an! Es kommt nur dar­auf an, dass die Schlacht sich nicht zwi­schen dem Mör­der und sei­nem Op­fer al­lein ab­ge­spielt ha­ben kann. Mag St. Vin­cent ge­sün­digt ha­ben, mag er ein Lüg­ner und Re­nom­mist1 sein, ein Wei­ber­jä­ger … der Mör­der John Borgs und Bel­las kann er nicht sein! Und das Blut an sei­nen Hän­den? Man hat so lä­cher­lich viel Auf­he­bens von die­sem Blut ge­macht und da­bei über­se­hen, dass La Flit­ches ei­ge­ne Mo­kass­ins mit Blut be­fleckt sind! Ha­ben wir dar­aus den Schluss ge­zo­gen, Herr La Flit­che müs­se in den Han­del ver­wi­ckelt sein? Ha­ben wir be­haup­tet, er sei der Mör­der, weil sei­ne Füße durch Blut ge­wa­tet sind? Die­se Be­haup­tung ha­ben wir nicht er­ho­ben, weil sie wahn­sin­nig wäre, weil trotz al­len Blut­spu­ren auf Herrn La Flit­che auch nicht ein Schat­ten von Ver­dacht liegt.«

      »Sehr rich­tig!«

      »Gut ge­spro­chen!«

      »Ich dan­ke Ih­nen, mei­ne Her­ren! Und eben­so rich­tig, eben­so un­leug­bar ist es, dass auf Herrn Gre­go­ry kein Schat­ten von Ver­dacht liegt. Er hat das Un­glück ge­habt, in eine An­ge­le­gen­heit voll ge­heim­nis­vol­ler Vor­gän­ge ver­wi­ckelt zu wer­den. Er hat das Un­glück ge­habt, in ei­ner Hüt­te zu schla­fen, in der Ent­setz­li­ches ge­sch­ah, in der es von Blut dampf­te und grau­en­haf­te Wun­den ge­schla­gen wur­den, an de­nen er aber kein Teil hat­te. Das ist al­les. Das Le­ben je­des Men­schen ist hei­lig, hier in der Ein­öde von Alas­ka so gut wie in New York oder in Stock­holm, mei­ne Her­ren! Sie wer­den die ei­ge­nen Hän­de nicht mit dem Blut ei­nes Men­schen be­schmut­zen, ge­gen den kein Schuld­be­weis zu er­brin­gen ist. Sie wer­den Ihr Ge­wis­sen rein hal­ten, mei­ne Her­ren Ge­schwo­re­nen!«

      Fro­na hat­te un­er­hört plä­diert, mit Wucht und Feu­er, aber der Bei­fall, der sich nun er­hob, war so ra­send, dass sie selbst spür­te: er galt der tap­fe­ren Frau, der hüb­schen Frau, nicht ih­ren Ar­gu­men­ten. Zor­nig wand­te sie sich noch ein­mal an die Ver­samm­lung:

      »Ich habe nicht um Ihren Bei­fall ge­buhlt, mei­ne Her­ren! Klat­schen Sie nicht in die Hän­de, als ob ich eine Schau­spie­le­rin wäre, son­dern ge­hen Sie in sich und be­reu­en Sie, dass Sie ei­nem Men­schen, der nichts ver­bro­chen hat, die qual­volls­ten Stun­den be­rei­tet ha­ben!«

      Bill Brown gab sei­ne Sa­che nicht ver­lo­ren. Das Pa­thos, das manch­mal aus sei­nen Wor­ten ge­spro­chen hat­te, ließ er zu­nächst frei­lich fal­len, sein Plä­doy­er be­gann mit spitz­fin­di­ger Bos­heit und über­le­ge­nem Hohn. Aber spä­ter fiel er wie­der in Em­pha­se.

      »Frem­de Män­ner, die kei­ne Spur zu­rück­ge­las­sen ha­ben, von de­ren Kom­men und Ge­hen nie­mand et­was ge­hört hat, sind in Borgs Hüt­te ein­ge­drun­gen, An­ge­klag­ter? Ihr Gast­wirt und sei­ne Frau sind in Ih­rer Ge­gen­wart er­mor­det wor­den, in lan­gem Kampf, wie die Ver­tei­di­gung be­wie­sen hat, und an Ihrem Kör­per ist kei­ne Schram­me zu se­hen? Von der ar­men In­dia­ne­rin hat man er­war­tet, dass sie ein­griff, dass sie min­des­tens die Tür auf­riss und mit gel­len­dem Ge­schrei Hil­fe her­beihol­te?

      Aber Sie!

      Ein Mann, der sich so vie­ler Hel­den­ta­ten rühmt, Sie ha­ben nicht ge­kämpft, Sie ha­ben nicht ein­mal ge­wagt, um Hil­fe zu ru­fen? Es mag vie­les dun­kel sein, was in die­ser dunklen Hüt­te in der ver­häng­nis­vol­len Nacht ge­sche­hen ist, aber Ihr Ver­hal­ten ist nicht dun­kel! Ob Sie ge­mor­det oder still­schwei­gend zu­ge­se­hen ha­ben, wie ge­mor­det wur­de, das geht uns wirk­lich nichts an! Auf je­den Fall liegt Ihre Schuld klar zu­ta­ge, Sie ha­ben min­des­tens das scheuß­lichs­te Ver­bre­chen be­gan­gen, das man in die­sem Lan­de kennt: das Ver­bre­chen nichts­wür­di­ger Feig­heit! Und des­halb hat die ster­ben­de Bel­la ih­ren letz­ten Atem ver­strömt, um Sie an­zu­kla­gen. ›Mör­der! Mör­der!‹ hat sie Ih­nen zu­ge­ru­fen, und die zit­tern­de Stim­me die­ser Frau soll jetzt in un­se­rem Mund noch ein­mal tö­nen, mit sol­cher Wucht und mit sol­cher Kraft, dass sie Ih­nen bis zur letz­ten Mi­nu­te Ihres Le­bens in den Ohren dröhnt: ›Mör­der! Drei­mal fei­ger Mord­bu­be!‹«

      St. Vin­cent fiel in sich zu­sam­men und lag in sei­nem Stuhl wie ein Hau­fen lee­rer Klei­der.

      »Ich … bin un­schul­dig … ich … habe es nicht ge­tan …«

      »Ab­stim­mung, mei­ne Her­ren!« rief der Vor­sit­zen­de und rühr­te den Ham­mer. »Of­fe­ne Ab­stim­mung – wir sind Män­ner, von de­nen je­der sei­nen Spruch ver­tritt. Ich fra­ge Sie: ist der An­ge­klag­te Dr. Gre­go­ry St. Vin­cent, den Sie hier vor sich se­hen, schul­dig, den Mord an dem Gold­grä­ber, un­se­rem Ka­me­ra­den John Borg durch ei­ge­ne Hand­lung oder still­schwei­gen­des Ge­wäh­ren­las­sen ver­schul­det zu ha­ben oder nicht? Wer ihn für schul­dig hält, der hebe …«

      »Hän­de hoch!« dröhn­te in die­sem Au­gen­blick Ja­cob Wel­ses Stim­me aus ei­ner Ecke des Saa­l­es, und von dem an­de­ren Ende des Saa­l­es hör­te man Baron Cour­ber­tins hel­les, schar­fes Or­gan:

      »Ände ock!! Oder ick ssies­sen!«

      Je­der der bei­den Män­ner hielt zwei sechs­läu­fi­ge Re­vol­ver auf die Ge­schwo­re­nen ge­rich­tet, 24 Feu­er­schlün­de starr­ten den Män­nern ent­ge­gen, und es war kei­ner un­ter ih­nen, der nicht wuss­te, dass min­des­tens Ja­cob Wel­se Ernst ma­chen wür­de. Alle Hän­de flo­gen zu­gleich in die Höhe, nichts rühr­te sich. Der Vor­sit­zen­de hat­te nicht ein­mal Zeit ge­fun­den, den Ham­mer bei­sei­te­zu­le­gen. Er hielt ihn in der hoch­ge­streck­ten Hand. In die­sem Saal wur­de nicht mehr ge­spro­chen, in die­sem Saal galt nur noch die Ge­walt. Aber es war die Ge­walt, wie Ja­cob Wel­se sie ver­stand, im Diens­te des Rech­tes und des Frie­dens.

      »Jetzt los! Am Süd­ka­nal liegt das Boot! Rasch!! Fort! Du bist ge­ret­tet!« keuch­te Fro­na. »Hier ist Geld. Das nimm mit auf den Weg! Und fort! Fort! Lass dich nie wie­der hier se­hen!«

      Sie drück­te St. Vin­cent einen ge­la­de­nen Re­vol­ver in die Hand. »Du bist frei! Worauf war­test du?! Fort! Fort!«

      Er ächz­te: »Das ist – Wahn­sinn.« Wie