Джек Лондон

Gesammelte Werke


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Und das ist mein gan­zes Ver­bre­chen!

      Dann be­gann der Kampf im Halb­dun­kel. Der In­dia­ner stieß mit sei­nem Mes­ser auf den schnar­chen­den Borg ein. Aber das Licht war zu schwach, er hat­te nicht den Mut ge­habt, ihm die De­cken weg­zu­rei­ßen. Borg fuhr auf, er war gleich bei vol­ler Be­sin­nung und fuhr dem In­dia­ner an die Gur­gel. Er schnell­te sich aus dem Bett und fiel mit sei­nem gan­zen Ge­wicht auf den Mann. Sie ran­gen um das Mes­ser, Borg hat­te es schon fast an sich ge­ris­sen, da biss der Mör­der ihm in die Faust. Er be­kam die be­waff­ne­te Hand frei und stieß im­mer wie­der zu. Sie wälz­ten sich ge­gen Ti­sche und Stüh­le, dass das Holz zu­sam­men­krach­te, und dann fiel der ers­te Schuss.«

      »Und du?«

      »Ich woll­te mich auf­raf­fen, woll­te um Hil­fe brül­len oder mit ei­nem Stuhl­bein den Mör­der er­schla­gen, aber ich konn­te nicht. Wie an Hän­den und Fü­ßen ge­fes­selt lag ich da, Gott hel­fe mir. Bel­la hat­te den ers­ten Schuss ab­ge­feu­ert, auf Borg, aber er leb­te im­mer noch. Er leb­te noch und kämpf­te noch, als wenn er drei Le­ben hät­te. Er schrie so­gar nach mir ›Hil­fe! Helft mir doch, St. Vin­cent!‹ Aber dann war plötz­lich kei­ne Hil­fe mehr nö­tig. Er hat­te mit sei­ner ei­ser­nen Faust den In­dia­ner knock­out ge­schla­gen, und dann lag Bel­la plötz­lich wie­der vor ihm, wie ich es oft ge­se­hen hat­te, wie ein Hund, der die Peit­sche er­war­tet. Borg riss ihr den Re­vol­ver aus der Hand und schoss zwei­mal auf den In­dia­ner. Sei­ne Au­gen wa­ren von strö­men­dem Blut ge­blen­det, er traf ihn nicht. Die Ku­geln pfif­fen scharf an mei­nem Kopf vor­bei in die Wand. Ihr könnt sie dort noch fin­den. Ich glau­be, er woll­te den In­dia­ner und mich zu­gleich er­schie­ßen, aber er fehl­te uns bei­de. Den drit­ten Schuss gab er auf Bel­la ab, und der traf.

      Al­les an­de­re war so, wie ihr es von den Zeu­gen ge­hört habt.«

      Es ent­stand eine lan­ge Pau­se. Kein Mensch wag­te zu spre­chen, aber wie zum Hohn die­ses Lyn­ch­ge­rich­tes, wie zum Tri­umph des Le­bens, das nach je­dem Grau­en und zu je­dem Ent­set­zen den­noch das letz­te Wort spricht, schmet­ter­te ein Rot­kehl­chen aus der Kro­ne des Bau­mes her­ab, der eben noch als Gal­gen die­nen soll­te.

      »Hängt ihn auf! Hängt ihn, dass Schluss wird! So eine fei­ge Bes­tie hat kein Recht mehr zu le­ben!« rie­fen aus der Mas­se ein paar grim­mi­ge Stim­men. Aber die meis­ten der Män­ner wa­ren jetzt ganz stumm und be­klom­men. Ges­tern noch hät­te es ih­nen nichts aus­ge­macht, St. Vin­cent am Gal­gen zu se­hen. Aber in die­se Mor­gen­pracht hin­ein schi­en das Bild gräss­lich, und zu­dem war ih­nen klar, dass auf ein Ver­sa­gen der Ner­ven, selbst auf die er­bärm­lichs­te Feig­heit, nach kei­nem mensch­li­chen Ge­setz der Tod steht.

      In die­sem Au­gen­blick lenk­te ein großes Floß, das an je­dem Ende von ei­nem Steu­er­rie­men ge­führt wur­de, in ge­räusch­lo­ser Fahrt in den Kanal ein. Als es der Richt­stät­te ge­ra­de ge­gen­über­lag, wand­te das vor­de­re Ende sich dem Ufer zu, eine Lei­ne wur­de ans Land ge­wor­fen, dann kam mit ge­wal­ti­gem Satz ein wei­ßer Mann an den Strand, der die Lei­ne ein paar­mal um den Gal­gen­baum schlang.

      »Lasst euch nicht stö­ren, Jun­gens!« sag­te der Mann, der mit ei­nem Blick die gan­ze Si­tua­ti­on er­fasst hat­te. »Wird schon rich­tig sein, was ihr da macht! Nur ha­ben wir da einen Bur­schen an Bord, der auch nicht mehr lang’ zu le­ben hat. Vi­el­leicht ha­ben ein paar von euch Zeit, sich auch um den zu küm­mern?«

      Als ob die Gold­grä­ber glück­lich wä­ren, einen an­de­ren Ge­gen­stand für ihre Auf­merk­sam­keit zu fin­den, wand­ten al­ler Au­gen sich jetzt dem Floß zu. Auch Ja­cob Wel­se, des­sen Kopf ver­bun­den war, der aber jetzt fri­scher und tat­kräf­ti­ger aus­sah als am Tage zu­vor, folg­te den un­er­war­te­ten Vor­gän­gen.

      »Was habt ihr da für eine La­dung?« frag­te er und wies auf einen Hau­fen Tan­nen­zwei­ge, mit de­nen das Floß ge­frach­tet war. Der an­de­re Floß­schif­fer trat an die Fracht her­an und warf ein paar von den Zwei­gen bei­sei­te.

      »Fri­sches Elch­fleisch, Jun­gens!« rief er mit der Stim­me ei­nes Ver­käu­fers auf dem Jahr­markt. »Aus­ge­zeich­ne­te Ware! Fri­sches Fleisch, ihr Män­ner! Wenn wir bis Daw­son fah­ren, rei­ßen sie es uns aus den Hän­den, für 10 Un­zen Gold­staub das Kilo! Aber weil ih­r’s seid, und weil man sich den Weg nach Daw­son auch spa­ren möch­te, sollt ihr es bil­li­ger ha­ben!«

      »Und das ist, wie ge­sagt, die Fracht Num­mer zwei«, sprach der ers­te Mann und wies auf die Um­ris­se ei­ner Männer­ge­stalt, die mit vie­len De­cken ver­hüllt war.

      »Den ha­ben wir erst heu­te Mor­gen auf­ge­le­sen, so un­ge­fähr 30 Mei­len fluss­auf­wärts.«

      »Der braucht einen Dok­tor«, er­zähl­te der Zwei­te. »Muss eine Mei­nungs­ver­schie­den­heit mit ei­nem Grizz­ly­bä­ren ge­habt ha­ben, und der Bär hat das letz­te Wort be­hal­ten. Aber wir ha­ben kei­ne Zeit. Ent­we­der kauft ihr gleich oder gar nicht! Bei der Son­ne hält sich das Fleisch nicht!«

      Fro­na und St. Vin­cent sa­hen zu­gleich, wie der Ver­wun­de­te die Bö­schung hin­auf und durch die Men­ge ge­tra­gen wur­de. Eine bron­ze­far­be­ne Hand hing schlaff von der roh­ge­zim­mer­ten Bah­re her­ab, ein bron­ze­far­be­nes Ge­sicht kam zwi­schen den De­cken zum Vor­schein. Die Män­ner, die ihn tru­gen, mach­ten in der Nähe des im­pro­vi­sier­ten Gal­gens halt, um zu be­schlie­ßen, wo­hin sie ihn tra­gen woll­ten. Plötz­lich fühl­te Fro­na einen ra­sen­den Griff an ih­rem Arm. St. Vin­cent bohr­te sei­ne Nä­gel in ihr Fleisch.

      »Sieh doch!« St. Vin­cent beb­te an al­len Glie­dern, sein Ge­sicht mit den lo­dern­den Angst-Au­gen war in die­sem Au­gen­blick noch wei­ßer als zu­vor.

      »Schau hin! Die Nar­be!«

      Der In­dia­ner schlug die Au­gen auf, sein leer­geblu­te­tes Ge­sicht ver­zerr­te sich zu ei­ner Gri­mas­se des Er­ken­nens.

      »Das ist der Mann! Das ist der Mör­der!« brüll­te St. Vin­cent der Men­ge zu, mit ei­nem ganz zer­bors­te­nen Or­gan. »Schaut ihn euch an, schaut die Nar­be an! Das ist der Mann, der John Borg über­fal­len hat!«

      Gleich dar­auf hät­te man nicht mehr glau­ben kön­nen, dass so­viel Men­schen zu­sam­men­ge­kom­men wa­ren, um über einen der Ihren hoch­not­pein­li­ches Ge­richt zu hal­ten. Nur die Sch­lin­ge, die aus der Kro­ne des Bau­mes her­nie­der­bau­mel­te, er­in­ner­te noch an den An­lass zu die­ser Ver­samm­lung. Aber St. Vin­cent selbst lag jetzt am Fuß des Bau­mes. Er streck­te sich in der Son­ne, und wahr­schein­lich schlief er. Die Angst war von ihm ge­nom­men, nach vier­und­zwan­zig Stun­den des Zit­terns und Za­gens, nach ei­ner Ket­te über­mensch­li­cher An­stren­gun­gen schlief er, wie je­des We­sen sich in den Schlaf flüch­tet, um neue Kräf­te zum Le­ben zu sam­meln, auch un­ter dem Gal­gen.

      Der ver­wun­de­te In­dia­ner war in eine Hüt­te ge­tra­gen wor­den. Bei ihm sa­ßen Ja­cob Wel­se, der Vor­sit­zen­de des Ge­rich­tes und La Flit­che. Sie ver­such­ten in vie­len In­dia­ner­spra­chen, ihn zum Spre­chen zu brin­gen. Mit sei­nem letz­ten Atem soll­te er die Wahr­heit be­ken­nen. Nach lan­gem Su­chen pro­bier­te La Flit­che es mit ei­nem Dia­lekt, den er in Kin­der­ta­gen ein­mal ge­lernt und bei­na­he wie­der ver­ges­sen hat­te. Bei den ers­ten Lau­ten fuhr über das Ge­sicht des Ster­ben­den ein fro­hes Auf­leuch­ten …

      1 Prahl­hans, Auf­schnei­der <<<