weil ich mir so vieles habe entgehen lassen. Aber eines tröstet mich. Wenn ich die Veränderung früher vorgenommen hätte, würde ich dich jetzt nicht haben. Vor ein paar Wochen wusste ich ja noch nicht einmal etwas von deiner Existenz.«
Seine Hand glitt über ihren Unterarm und in den Ärmel am Ellbogen.
»Deine Haut ist so kühl. Nicht kalt, aber kühl. Sie fühlt sich so gut an.«
»Es dauert wohl nicht lange, dann nennst du mich deinen kleinen Kühlapparat«, lachte sie.
»Und deine Stimme ist kühl«, beharrte er. »Sie gibt mir genau dasselbe Gefühl wie deine Hand, wenn du sie auf meine Stirn legst. Es ist etwas Merkwürdiges, und ich kann es nicht erklären, aber deine Stimme geht gleichsam durch mich hindurch, kühl und fein. Sie ist wie eine schwache Brise. Wie die erste Brise vom Meer, wenn sie abends nach einem brennendheißen Tage durch die Stadt streicht. Und zuweilen, wenn du leise sprichst, klingt es so rund und schön wie das Cello im Macdonough-Theater. Ich denke mir, dass die Engel im Himmel, wenn es welche gibt, solche Stimmen haben müssen.«
Ein paar Minuten vergingen, in denen sie sich so unsagbar glücklich fühlte, dass sie immer nur ihre Hand durch sein Haar gleiten ließ und sich an ihn schmiegte, und dann begann er wieder:
»Jetzt will ich dir sagen, woran du mich erinnerst. Hast du nie Vollblutstuten gesehen, wenn sie im Stall stehen und glänzen? Haar wie Seide, und eine Haut so dünn und weich, dass der geringste Schmitz mit der Peitschenschnur sich abzeichnet. Nerven durch und durch, fein und empfindsam. Und dabei können sie an Ausdauer den stärksten Ochsen bezwingen und können sich wie ein Blitz eine Sehne verzerren und erfrieren, wenn sie nur eine Nacht ohne Decke stehen. Ich will dir nur sagen, dass man nicht viel in der Welt sehen kann, was so schön ist. Sie sind so feinfühlend und empfindsam und zart. Du bist von anderen Frauen ebenso verschieden wie eine solche Stute von einem gewöhnlichen derben Arbeitspferd. Du bist ein Vollblut. Du hast Linie, Geist und Figur. Rede mir nicht von Annette Kellermann! Der bist du über. Sie ist Australierin, und du bist Amerikanerin, nur nicht nach deiner Figur. Du bist anders, du bist reizend. Ich weiß nicht, wie ich es ausdrücken soll. Andere Frauen sind nicht wie du gewachsen. Du gehörst in ein anderes Land. Du bist französisch, das ist es. Du bist wie eine Französin gewachsen, aber viel schöner – die Art, wie du dich bewegst, wie du gehst, wie du sitzt, und wenn du nichts tust.«
Und er, der nie außerhalb Kaliforniens, ja nicht einmal eine Nacht außerhalb seiner Geburtsstadt Oakland gewesen war, hatte recht in seinem Urteil. Sie war eine Blüte der angelsächsischen Rasse, eine Seltenheit mit ihren ungewöhnlich kleinen Händen und Füßen, mit der Frische ihrer Haut, mit ihrer Anmut – sie war ein Rückschlag in jene fernen Zeiten, da die verheerenden französischen Normannen ihr Blut mit der kräftigen sächsischen Rasse vermischten.
»Und wie du deine Kleider trägst! Sie sind mit dir verwachsen. Sie sind gleichsam ein Teil von dir, wie deine Haut und die Kühle deiner Stimme. Sie sind immer, wie sie sein sollen und könnten nicht anders sein. Und weißt du, ein Mann zeigt sich nun einmal gern mit einem Mädchen wie du, deren Kleider wie ein Traum an ihr sitzen, und hört gern die anderen Männer sagen: ›Wer ist Billys neues Mädel? Donnerwetter, ist die fesch! Die möcht ich gern mal zu fassen kriegen!‹ Und dergleichen mehr.«
Und Saxon drückte ihre Wange gegen die seine und fühlte sich reich belohnt für die vielen nächtlichen Stunden, die sie mit Nähen verbracht, die vielen qualvollen Stunden, da sie schläfrig über dem Nähzeug genickt hatte, todmüde nach der Arbeit des Tages, während sie für ihren eigenen Bedarf die Ideen neu schuf, welche sie von den eleganten Kleidungsstücken, die unter ihrem fleißigen Eisen dampften, gestohlen hatte.
»Wirst du meiner nie überdrüssig werden?« fragte sie.
»Deiner überdrüssig? Weiß Gott, wir sind doch für einander geschaffen.«
»Ist es nicht wie ein Wunder, Billy, dass wir uns treffen sollten! Denk, wenn wir uns nie getroffen hätten. Es war doch der reine Zufall.«
»Wir sind Glückskinder«, erklärte er. »Das ist sicher.«
»Vielleicht ist es mehr als Zufall«, meinte sie.
»Gewiss. Es ist Schicksal. Nichts in der Welt hätte uns voneinander fernhalten können.«
Sie saßen schweigend da, aber das Schweigen zitterte von einer Liebe, die keine Worte fand. Langsam zog er sie an sich, seine Lippen zitterten an ihrem Ohr, und sie hörte ihn flüstern: »Was meinst du, wollen wir zu Bett gehen?«
*
Viele Abende verbrachten sie auf diese Art. Zuweilen aber gingen sie aus und tanzten oder gingen ins Orpheum oder ins Bell-Theater oder ins Kino und zu den Freitagskonzerten im City-Hall-Park. Sonntags packten sie oft einen Frühstückskorb und fuhren mit Prince und King, die Billys Chef gern von ihm bewegen ließ, in die Berge.
Jeden Morgen wurde Saxon vom Wecker geweckt. Am ersten Morgen hatte Billy darauf bestanden, dass er mit ihr zusammen aufstehen und Feuer im Herd machen sollte. Sie erlaubte es ihm am ersten Morgen; aber später legte sie alles abends zurecht, sodass sie am Morgen nichts zu tun hatte, als ein Streichholz anzuzünden. Und dann zwang sie ihn, im Bett zu bleiben und weiterzuschlafen, bis sie ihn rief, wenn das Frühstück fertig war. In den ersten Wochen gab sie ihm sein Essen mit. Dann kam eine Woche, in der er mittags nach Hause kam. Dann musste er wieder Essen mitnehmen. Es hing davon ab, wie weit er zu fahren hatte.
»Du machst es nicht richtig mit deinem Mann«, versicherte Mary ihr. »Du bedienst ihn zu sehr. Du verziehst ihn ja direkt. Und er sollte dich verziehen.«
»Er ist der Versorger«, antwortete Saxon. »Er arbeitet schwerer als ich. Ich habe so viel Zeit übrig, dass ich nicht weiß, was ich damit machen soll. Außerdem verziehe ich ihn, weil ich ihn liebe und weil … nun, weil ich es will.«
*
Trotz der sorgfältigen Besorgung des Haushalts merkte Saxon doch, sobald sie es in ein System gebracht hatte, dass sie freie Zeit genug hatte. Namentlich, wenn ihr Mann sein Essen mitnahm, sodass sie mittags nicht zu kochen brauchte, stand ihr ein großer Teil des Tages zur Verfügung. An die vieljährige Routine der Arbeit in der Fabrik und der Plätterei gewöhnt, konnte sie sich noch schwer mit diesem Müßiggang versöhnen, und es war ihr kaum erträglich, dazusitzen und nichts zu tun, zumal ihre Freundinnen aus der Mädchenzeit sie nicht besuchen konnten, da sie immer noch in der Fabrik oder in der Plätterei arbeiteten. Die Nachbarfrauen kannte sie nicht, mit Ausnahme einer wunderlichen alten Frau, die nebenan wohnte. Saxon und sie unterhielten sich hin und wieder über das Gitter hinweg, das die beiden Höfe trennte.
Eine Beschäftigung, mit der sie doch immerhin einige Zeit