Mutter von den alten Sachsen und ihren Raubzügen an den Küsten Englands erzählt hatte. Aus der Kommode, die die Reise über die Prärie mitgemacht hatte, nahm sie eine ihrer teuren Reliquien – ein Poesiealbum, das ihrer Mutter gehört hatte, und in das viele gedruckte Verse aus der kalifornischen Pionierzeit eingeklebt waren. Es enthielt auch verschiedene Reproduktionen von Gemälden und alten Holzschnitten aus Magazinen, die eine Generation oder länger zurücklagen.
Saxon blätterte mit geübten Fingern darin, bis sie das Bild fand, das sie suchte. Zwischen stolzen Felsen und unter einem grauen, wolkigen Sturmhimmel sah man ein Dutzend Boote, lange, schmale und dunkle Boote mit Steven wie gewaltige Vogelschnäbel, die an einem sandigen, schaumweißen Strand landen wollten. Die Männer in den Booten waren halbnackt, muskulös, abgehärtet und trugen Flügelhelme. Schwerter und Speere hielten sie in den Händen, und sie sprangen bis zu den Hüften in die Brandung und wateten an Land. Fellbekleidete Wilde, die jedoch nicht Indianern glichen, hatten sich in Scharen am Strande versammelt und gingen bis zu den Knien ins Wasser, um sie an der Landung zu verhindern. Die ersten Hiebe waren gewechselt, und hie und da sah man schon Tote und Verwundete in der Brandung. Ein blondlockiger Strandräuber lag über der Reling eines der Boote; der Pfeil in seiner Brust erzählte, dass er tot war. Aber über ihn hinweg sprang in das Wasser, das Schwert in der Hand, ihr Billy. Ein Irrtum war nicht möglich. Die verblüffende Blondheit, das Gesicht, die Augen, der Mund, es war Billy. Der Gesichtsausdruck war der Billys an jenem Festtage, als er die drei wilden Irländer in Schach hielt.
Von diesen kriegerischen Recken müssen Billys Vorfahren abstammen und meine auch, dachte sie, als sie das Buch schloss und wieder in die Kommode legte. Und irgendeiner dieser Vorfahren hatte eine alte mitgenommene Kommode verfertigt, die über das Salzmeer und die Prärie gereist und im Kampfe mit den Indianern bei Little Meadow von einer Kugel durchbohrt war. Sie meinte fast, die Frauen sehen zu können, die ihren Staat und ihre hausgewebten Beiderwandstoffe1 in diesen Laden aufbewahrt hatten – die Frauen dieser wandernden Geschlechter, die die Großmütter und Urgroßmütter und Urahnen ihrer eigenen Mutter gewesen waren. Nun ja, seufzte sie, es ist jedenfalls eine gute Rasse, von der man abstammt, eine Rasse, gleich geeignet für Arbeit und Kampf. Sie dachte, wie ihr Leben sich wohl gestaltet hätte, wenn sie eine Chinesin oder eine der kleinen, schwerfälligen, dunkelhäutigen Italienerinnen gewesen wäre, die sie so oft barhaupt oder mit bunten Kopftüchern gesehen hatte, wenn sie mit großen Treibholzlasten auf dem Kopfe vom Strande kamen. Dann musste sie über ihre eigene Torheit lachen, sie dachte an Billy und das Vierzimmerhaus in der Pine Street und ging zu Bett, zum hundertsten Male den Kopf voll von Gedanken an die künftige Wohnung.
*
»Unser Vieh war ganz abgetrieben«, sagte Saxon, »und der Winter war so nah, dass wir nicht den Versuch wagten, durch die große amerikanische Wüste zu gehen; unsere Karawane blieb deshalb den Winter über in Salt Lake City. Die Mormonen waren damals noch vernünftig und behandelten uns gut.«
»Du redest, als wärest du selbst mit dabei gewesen«, meinte Bert.
»Meine Mutter war mit dabei«, sagte Saxon stolz. »Sie war damals acht Jahre alt.«
Sie saßen am Küchentisch in dem kleinen Haus in der Pine Street bei einem aus Butterbrot, Tamalen und Bier bestehenden kalten Lunch. Es war Sonntag, sodass sie alle vier ihren freien Tag hatten, und sie waren früh gekommen, um Fenster zu putzen, Wände zu waschen, Fußböden zu scheuern, Teppiche und Linoleum zu legen, Gardinen aufzuhängen, den Herd zu montieren, Küchengeräte und Teller zu ordnen und die Möbel aufzustellen.
»Erzähl nur weiter, Saxon«, bat Mary. »Ich bin ganz versessen darauf, mehr zu hören. Und Bert, du wirst gefälligst stillsitzen und zuhören.«
»Schön. Es war im Winter, als Del Hancock auftauchte. Er war in Kentucky geboren, lebte aber seit vielen Jahren im Westen. Sein Weg führte ihn durch Salt Lake City – er sollte irgendwohin und einige Rocky-Mountain-Fänger zusammenbringen, mit denen er an einem neuen Ort, den er kannte, Biber jagen wollte. Er war ein schöner Mann. Er trug langes Haar, wie man es auf Bildern sieht, und eine seidene Schärpe um den Leib – das hatte er von den Spaniern in Kalifornien gelernt – sowie zwei Revolver im Gürtel. Er gehörte zu den Männern, in die sich alle Frauen auf den ersten Blick verlieben. Nun, er sah Sadie, die älteste Schwester meiner Mutter, und sie gefiel ihm wohl, denn er blieb in Salt Lake City. Er war der Schrecken der Indianer, und ich erinnere mich von klein auf, wie Tante Villa sagte, dass er die schwärzesten, funkelndsten Augen hatte, und dass sein Blick an den eines Adlers erinnerte. Er fürchtete sich vor nichts.
Sadie war eine Schönheit. Sie flirtete mit ihm und machte ihn ganz verrückt. Eines Abends kam er angeritten. ›Sadie‹, sagte er, ›wenn du mir nicht versprichst, mich morgen zu heiraten, schieße ich mich noch heute Abend hier hinter der Wagenburg tot.‹ Und er hätte es auch getan, und Sadie wusste das und sagte ja. War nicht Schwung in der Liebe jener Tage?«
»Ach, ich weiß nicht recht«, sagte Mary verächtlich. »Eine Woche, nachdem du Billy das erstemal gesehen hast, wart ihr verlobt. Sagte Billy, dass er sich hinter der Plätterei erschießen wollte, wenn du ihm einen Korb gäbst?«
»Ich gab ihm keine Gelegenheit dazu«, gestand Saxon. »Aber Del Hancock und Tante Sadie heirateten am selben Tage. Und sie waren sehr glücklich. Aber dann starb sie. Und viele Jahre später wurde er von den Indianern getötet. Er war damals ein alter Mann, aber ich glaube schon, dass er eine ganze Anzahl Indianer tötete, ehe sie ihn abtaten. Männer seines Schlages sterben immer kämpfend und nehmen die mit, die sie töten. So ging es auch mit Al Stanley, den ich kannte, als ich klein war. Er wurde am Tische sitzend von einem Eisenarbeiter in den Rücken geschossen. Und der Schuss tötete ihn. Er starb im Laufe von wenigen Sekunden. Aber ehe er starb, zog er noch den Revolver und schoss drei Kugeln ab auf den Mann, der ihn tötete.«
»Ich kann keinen Kampf leiden«, protestierte Mary. »Das macht mich nervös – Bert sucht immer Krakeel – es hat keinen Sinn.«
»Ich gebe keinen sauren Hering für einen Mann, der nicht den Mut hat, zu kämpfen«, antwortete Saxon. »Wir würden heute nicht hier sitzen, wenn unsere Väter nicht zu kämpfen verstanden hätten.«
»Du hast ja auch einen Mann bekommen, der zu kämpfen versteht«, versicherte Bert. »Unverfälscht durch und durch. Billy ist ein Mohikaner, dem die Skalpe vom Gürtel herabhängen. Und wenn sein Gesicht mürrisch wird, ist es ratsam, sich schleunigst zu verziehen, sonst fällt der Hammer – bums!«
»Eben«,