MUTTER
Meinst du ich schämte mich vor dir?
WENZEL
Ach so. Er geht wieder umher. Vor mir darf man sich ja nicht schämen. Bin ja ein Dieb. Hab vom fremden Tellerchen gegessen. Und – Freilich, freilich. Aber dieser Tisch! Am Sonntag gab es Rostbraten mit Endiviensalat. Oder Endiviensalat mit Rostbraten. Und dann stritt man sich dort um den Eckplatz am Sofa. Einer schrie, einer gab nach und las Lokalnachrichten: immer wieder. Jeden Tag. – Eine soll mir sogar ähnlich sehen wurde behauptet.
MUTTER
Bist nur gekommen um wieder weh zu tun?
WENZEL
sachlich: Nein. Ich wollte auch nie weh tun. Jedoch es ist mein Fehler, daß ich laut denke und tue. Bin nämlich der verlorene Sohn, nur möcht ich wissen wer mich verloren hat.
MUTTER
Wie gerne du dich reden hörst.
WENZEL
Ja: wenn man unverstanden bleibt.
MUTTER
Boshaft wie immer.
WENZEL
Nein: dumm.
Mutter horcht auf. Stille.
MUTTER
leise: Wenzel –
WENZEL
unterbricht sie: Jetzt geh ich.
MUTTER
schlägt um: So geh! Wir haben doch nichts miteinander gemein.
WENZEL
Glaubst du?
Stille.
MUTTER
Was willst du noch hier?
WENZEL
sieht um sich: Wollte nur sehen – wie es euch geht. Er grinst.
MUTTER
starrt ihn an: Jetzt wird mir bange.
WENZEL
leise: Es ist nichts geschehen. Nichts. – Ich ging nur vorbei – Er geht an die Haustüre und öffnet sie; überlegt einen Augenblick, schlägt die Türe von innen zu und bleibt während des Folgenden im Vorzimmer stehen von Niemandem bemerkt. Paul von linksher.
MUTTER
dumpf: Wieder gehorcht.
PAUL
Ja. Er hätte dich auch wieder schlagen – Er stockt da.
ILSE
in einem billigen Ballkleid eintritt; zur Mutter: Da: bitte: den Knopf krieg ich nicht zu.
MUTTER
knöpft ihr am Rücken einen Knopf zu. Ruft. Mathilde! Das Essen!
MATHILDE
tritt eben mit Schüssel und Tellern ein: Zu Befehl, gnädiges Fräulein! Zu Befehl! Sie deckt den Tisch. Alle setzen sich um ihn und essen. Wenzel hinter der rechten Türe, sieht ihnen eine kleine Weile zu; geht dann indem er die Haustüre geräuschlos öffnet und schließt. Die Vier essen.
ZWEITER AKT
Mohrengasse. Von links nach rechts: Ein geschlossener Laden mit Schildaufschrift: Diamanten. Gold. Simon Kohn. Kauf. Verkauf. Eine schmale Hoteltüre, die in einen matt erleuchteten Korridor mündet. Vor dem ersten Stocke halbkreisförmig trübelektrische Buchstaben: Hotel. Eine Bar. Hinter der schmutzigen Fensterscheibe, auf der ein altes Plakat klebt, geigt ein Schatten. Man hört aber keine Musik. Es ist Nacht und still.
Drei Dirnen, zwei rechts, eine links vor dem Laden; horchen.
ERSTE
Klopf nochmal.
ZWEITE
klopft an den Laden.
EIN VERWACHSENER
tritt aus der Bar und läßt die Türe offen; gedämpft Musik: Wie lange –
ERSTE
unterbricht ihn: Pst! Schließ die Türe!
Verwachsener schließt sie und horcht. Stille.
ZWEITE
Niemand. Er ist nicht zuhause.
VERWACHSENER
Wie lange wollt ihr noch warten? Versetzt. Ich sags.
ZWEITE
nähert sich den anderen: Das tat er noch nie. Der alte Schuft!
DRITTE
Vielleicht ist etwas geschehen.
ERSTE
Was denn?
DRITTE
Man kann nie wissen.
ZWEITE
Pah!
Stille.
ERSTE
Ich weiß nur: hab kalte Füße und kann kaum mehr stehen. Und nun kommt so nichts mehr.
VERWACHSENER
sieht auf die Uhr: Was Richtiges sicher nicht.
ZWEITE
Still! Es kommt wer.
Verwachsener verschwindet in der Bar. Die Drei stellen sich bereit, verstellen die Gasse. Die Altmodische gekleidet nach der Mode vor fünfundzwanzig Jahren und dichtverschleiert; kommt von links und bleibt vor der Hoteltüre stehen. Die Drei beobachteten sie, sehen sich nun an – Eine seufzt boshaft – kichern und eilen in die Bar. Ein Polizist erscheint rechts und sieht sich um. Die Altmodische klebt regungslos an der Wand.
POLIZIST
erblickt sie; hält langsam auf sie zu; leise: Ihre Papiere. Seit wann sind Sie hier?
ALTMODISCHE
kramt geziert umständlich ihren Ausweis hervor; gefällig: Seit heute, mein Herr.
POLIZIST
gutmütig: Sie sollen sich aber nicht so auffallend anziehen. Das ist verboten.
ALTMODISCHE
Auffallend?! Ein einfaches Straßenkleid!
POLIZIST
lächelt: Aus Urgroßmutters Zeiten.
ALTMODISCHE
Ich habe kein anderes.
POLIZIST
Das gibt es doch gar nicht! Er blickt in ihre Papiere. Der Schein. Stimmt. Er blättert; mechanisch. Gestern entlassen? Aus welcher Strafanstalt?
ALTMODISCHE
Sankt Lazarus.
Polizist horcht auf; liest. Altmodische wird unruhig. Wenzel von rechts; will nach links; erblickt den Polizisten, zögert und bleibt vor dem alten Plakate am Barfenster stehen, als würd er lesen.
POLIZIST
spricht nun noch leiser: Also: zweiundzwanzig Jahre waren Sie dort. Und: weshalb?
ALTMODISCHE
Das muß ich nicht sagen. Bin begnadigt.
POLIZIST
Das