Ödön von Horváth

Die wichtigsten Dramen von Ödön von Horváth


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      MUTTER

      Meinst du ich schämte mich vor dir?

      WENZEL

      Ach so. Er geht wieder umher. Vor mir darf man sich ja nicht schämen. Bin ja ein Dieb. Hab vom fremden Tellerchen gegessen. Und – Freilich, freilich. Aber dieser Tisch! Am Sonntag gab es Rostbraten mit Endiviensalat. Oder Endiviensalat mit Rostbraten. Und dann stritt man sich dort um den Eckplatz am Sofa. Einer schrie, einer gab nach und las Lokalnachrichten: immer wieder. Jeden Tag. – Eine soll mir sogar ähnlich sehen wurde behauptet.

      MUTTER

      Bist nur gekommen um wieder weh zu tun?

      WENZEL

      sachlich: Nein. Ich wollte auch nie weh tun. Jedoch es ist mein Fehler, daß ich laut denke und tue. Bin nämlich der verlorene Sohn, nur möcht ich wissen wer mich verloren hat.

      MUTTER

      Wie gerne du dich reden hörst.

      WENZEL

      Ja: wenn man unverstanden bleibt.

      MUTTER

      Boshaft wie immer.

      WENZEL

      Nein: dumm.

       Mutter horcht auf. Stille.

      MUTTER

      leise: Wenzel –

      WENZEL

      unterbricht sie: Jetzt geh ich.

      MUTTER

      schlägt um: So geh! Wir haben doch nichts miteinander gemein.

      WENZEL

      Glaubst du?

       Stille.

      MUTTER

      Was willst du noch hier?

      WENZEL

      sieht um sich: Wollte nur sehen – wie es euch geht. Er grinst.

      MUTTER

      starrt ihn an: Jetzt wird mir bange.

      WENZEL

      leise: Es ist nichts geschehen. Nichts. – Ich ging nur vorbei – Er geht an die Haustüre und öffnet sie; überlegt einen Augenblick, schlägt die Türe von innen zu und bleibt während des Folgenden im Vorzimmer stehen von Niemandem bemerkt. Paul von linksher.

      MUTTER

      dumpf: Wieder gehorcht.

      PAUL

      Ja. Er hätte dich auch wieder schlagen – Er stockt da.

      ILSE

      in einem billigen Ballkleid eintritt; zur Mutter: Da: bitte: den Knopf krieg ich nicht zu.

      MUTTER

      knöpft ihr am Rücken einen Knopf zu. Ruft. Mathilde! Das Essen!

      MATHILDE

      tritt eben mit Schüssel und Tellern ein: Zu Befehl, gnädiges Fräulein! Zu Befehl! Sie deckt den Tisch. Alle setzen sich um ihn und essen. Wenzel hinter der rechten Türe, sieht ihnen eine kleine Weile zu; geht dann indem er die Haustüre geräuschlos öffnet und schließt. Die Vier essen.

       Inhaltsverzeichnis

       Mohrengasse. Von links nach rechts: Ein geschlossener Laden mit Schildaufschrift: Diamanten. Gold. Simon Kohn. Kauf. Verkauf. Eine schmale Hoteltüre, die in einen matt erleuchteten Korridor mündet. Vor dem ersten Stocke halbkreisförmig trübelektrische Buchstaben: Hotel. Eine Bar. Hinter der schmutzigen Fensterscheibe, auf der ein altes Plakat klebt, geigt ein Schatten. Man hört aber keine Musik. Es ist Nacht und still.

       Drei Dirnen, zwei rechts, eine links vor dem Laden; horchen.

      ERSTE

      Klopf nochmal.

      ZWEITE

       klopft an den Laden.

      EIN VERWACHSENER

      tritt aus der Bar und läßt die Türe offen; gedämpft Musik: Wie lange –

      ERSTE

      unterbricht ihn: Pst! Schließ die Türe!

       Verwachsener schließt sie und horcht. Stille.

      ZWEITE

      Niemand. Er ist nicht zuhause.

      VERWACHSENER

      Wie lange wollt ihr noch warten? Versetzt. Ich sags.

      ZWEITE

      nähert sich den anderen: Das tat er noch nie. Der alte Schuft!

      DRITTE

      Vielleicht ist etwas geschehen.

      ERSTE

      Was denn?

      DRITTE

      Man kann nie wissen.

      ZWEITE

      Pah!

       Stille.

      ERSTE

      Ich weiß nur: hab kalte Füße und kann kaum mehr stehen. Und nun kommt so nichts mehr.

      VERWACHSENER

      sieht auf die Uhr: Was Richtiges sicher nicht.

      ZWEITE

      Still! Es kommt wer.

       Verwachsener verschwindet in der Bar. Die Drei stellen sich bereit, verstellen die Gasse. Die Altmodische gekleidet nach der Mode vor fünfundzwanzig Jahren und dichtverschleiert; kommt von links und bleibt vor der Hoteltüre stehen. Die Drei beobachteten sie, sehen sich nun an – Eine seufzt boshaft – kichern und eilen in die Bar. Ein Polizist erscheint rechts und sieht sich um. Die Altmodische klebt regungslos an der Wand.

      POLIZIST

      erblickt sie; hält langsam auf sie zu; leise: Ihre Papiere. Seit wann sind Sie hier?

      ALTMODISCHE

      kramt geziert umständlich ihren Ausweis hervor; gefällig: Seit heute, mein Herr.

      POLIZIST

      gutmütig: Sie sollen sich aber nicht so auffallend anziehen. Das ist verboten.

      ALTMODISCHE

      Auffallend?! Ein einfaches Straßenkleid!

      POLIZIST

      lächelt: Aus Urgroßmutters Zeiten.

      ALTMODISCHE

      Ich habe kein anderes.

      POLIZIST

      Das gibt es doch gar nicht! Er blickt in ihre Papiere. Der Schein. Stimmt. Er blättert; mechanisch. Gestern entlassen? Aus welcher Strafanstalt?

      ALTMODISCHE

      Sankt Lazarus.

       Polizist horcht auf; liest. Altmodische wird unruhig. Wenzel von rechts; will nach links; erblickt den Polizisten, zögert und bleibt vor dem alten Plakate am Barfenster stehen, als würd er lesen.

      POLIZIST

      spricht nun noch leiser: Also: zweiundzwanzig Jahre waren Sie dort. Und: weshalb?

      ALTMODISCHE

      Das muß ich nicht sagen. Bin begnadigt.

      POLIZIST

      Das