Ödön von Horváth

Die wichtigsten Dramen von Ödön von Horváth


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      tonlos: Aufforderung zum Mord.

      POLIZIST

      Den Schleier. Lüften. Altmodische hebt ihn, ein maskenhaft leeres Antlitz umrahmen grauweiße Haare. Weicht etwas zurück; vergleicht rasch. Es ist schon gut. Und: die Vorschrift kennen Sie ja. Er geht an Wenzel vorbei nach rechts ab. Wenzel ohne Blick für die Altmodische langsam nach links ab. Altmodische allein; lehnt den Kopf an die Wand und wimmert; verstummt und horcht; rafft sich verschleiert empor. Ein Eisenbahner von linksher mit seinem Weibe.

      WEIB

      leise: Ich weiß du liebst mich nicht mehr.

      EISENBAHNER

      blickt nach der Altmodischen: Quatsch doch nicht immer solch Zeug!

      WEIB

      dumpf: Es ist schon so. Wirst schon sehen –

      EISENBAHNER

      lächelt: Willst mich vergiften? Dummes Ding – Wart, hol nur Zigaretten. Ab in die Bar.

       Weib sieht sich scheu um. Altmodische glotzt sie an. Wenzel kommt langsam wieder von linksher. Weib rasch an die Bartüre; will hinein, doch –

      EISENBAHNER

      tritt soeben heraus; Zigarette im Mundwinkel. Was hast du denn schon wieder?

      WEIB

      Angst. Komm – Laß mich nur nicht allein.

      EISENBAHNER

      Ja, wer das könnte.

      WEIB

      Will auch nichts mehr sagen.

      EISENBAHNER

      gähnt: Bin auch müde. Der ewige Dienst – Ab mit ihr nach rechts. Wenzel steht nun wieder vor dem Plakate.

      ALTMODISCHE

      nähert sich ihm: Pst! Hören Sie –

      WENZEL

      unterbricht sie: Nein.

       Stille.

      ALTMODISCHE

      Wollen Sie kein liebes Frauchen?

      Wenzel schweigt. Neben ihm; liest laut das Plakat. Wohltätigkeitsfest. Unter dem Protektorate Ihrer Hoheit. Tombola und Tanzturnier. Bazar. Montag am zweiten – Das war doch schon.

      WENZEL

      Ja.

      ALTMODISCHE

      Und trotzdem lernen Sies auswendig?

      WENZEL

      Ja.

      ALTMODISCHE

      Nein. Sie schauen in den Spiegel. Das soll man nie in der Finsternis: man wird verrückt oder sieht den Satanas neben sich.

      WENZEL

      Ich sehe Sie.

      ALTMODISCHE

      Und ich Sie. Wir gehören zusammen.

      WENZEL

      Jawohl.

      ALTMODISCHE

      Also: wollen wir nichts unternehmen?

      WENZEL

      Ich hab kein Geld.

      ALTMODISCHE

      Ich noch weniger. Das Leben ist zu teuer für die kleinen Frauen.

      WENZEL

      wendet sich ihr zu: Hören Sie: Sie werden sich doch etwas erspart haben: in zweiundzwanzig Jahren.

      ALTMODISCHE

      prallt zurück: Woher wissen Sie das?

      WENZEL

      Zufällig. Zuvor. Verzeihen Sie mir, daß ich es hörte.

      ALTMODISCHE

      Nichts wissen Sie!

      WENZEL

      Wieso?

      ALTMODISCHE

      Du kannst umsonst! Wann du willst – nur wissen Sie nichts! Wissen Sie nichts!

       Wenzel lacht irr. Ein Sechzehnjähriger blaß hochaufgeschossen; erscheint links und bleibt unschlüssig stehen.

      WENZEL

      zum Sechzehnjährigen: Nach Ihnen! Umsonst –

      ALTMODISCHE

      Bist verrückt?!

      WENZEL

      Herr! kauen Sie nicht an den Fingernägeln! Spucken Sie aus und treten Sie näher! Es kostet nur das Zimmer!

      ALTMODISCHE

      zischt: Ich bete für dich.

      WENZEL

      Nur Wohltätigkeit! Unter meinem Protektorate!

      ALTMODISCHE

      zum Sechzehnjährigen: Komm! So komm! Es ist doch umsonst! Ab ins Hotel. Sechzehnjähriger folgt ihr verschüchtert.

      WENZEL

      Fahrwohl! Auch ich war ein Jüngling mit lockigem Haar. Sentimental und mit Pickeln im Gesicht. Gute alte Zeit! Der Tisch, der Tisch – ich werde verrückt, verrückt! Er preßt die Stirne an das Barfenster. Siehst du den Satanas? Nur dich selbst! Kein Teufel, da kein lieber Gott! Nur zwei Augen, Nase, Mund, eine Stirne, niemals zwei, ein Hut um sechsfünfzig und die Gnade nur selten von der Wahrheit besucht zu werden. Das ist alles. Oder nichts. Bist erkannt du Dreck! Erkannt! – Doch ich will nicht mit Trauerfahnen jubilieren.

      Ein Hotelfenster wird hell. Sieht empor. Hm. Jetzt betritt er das Zimmer. Kostet zwei Mark. Teuer. Und billig. Jetzt zieht sie den Vorhang vor – bald leckt das Mysterium hündisch vier Sohlen. Und unerschöpflich strömt die Latrine der Ewigkeit über die Planetensysteme. Wir sind der Dung. Wie seelisch unser Tun blüht! Er lächelt irr; starrt dann vor sich hin. Alles ist hohl und leer. Die Häuser riechen nach Leichen und Sauerkraut. Man sollte sich selber erbrechen können. – Alles ist tot.

      Stille; dann geht er langsam an den Laden und liest. Diamanten. Gold. Kauf. Verkauf. Simon Kohn – Kennt ihr Simon Kohn? Der tat nur kaufen und verkaufen: Splitter und Staub aus Afrika. Und tat es unters Kopfkissen und überall glitzerte das Falsche. Die Imitation – Er spricht unterdrückt in den Laden hinein. Herr Kohn. Lassen Sie mit sich reden. Ruhig reden. Ich irrte. Reden, Herr Kohn! Wollte ja alles anders, immer alles anders! Wollte doch nur einbrechen, den Schmuck stehlen, ich schwöre: wollte nur stehlen! Hören Sie mich? Stehen Sie doch wieder auf, liegen ja unterm Pult! Setzen Sie sich wieder! Und nehmen Sie Stock und Hut! Stehen Sie auf, auf – Er trommelt an den Laden.

      SIMON KOHN

      mit Hut und Rohrstöckchen; erscheint links und tippt mit dem Stöckchen auf Wenzels Schulter. Fährt um. Herr Kohn!

      KOHN

      Leise, junger Mann, leise. Wir vertragen den Lärm nicht. – Sie haben sich geirrt? Haben die Imitation mitgenommen?

      WENZEL

      reicht ihm ein Schmuckkassettchen: Hier –

      KOHN

      unbeweglich: Sie wollen mir den Schmuck zurückbringen?

      WENZEL

      Nehmen Sie! Nehmen Sie!

      KOHN

      Die Imitation? Sie schlugen um den echten zu und wollen es mit dem falschen wieder ungeschehen machen? Hihihi.

      WENZEL

      Sie sind ja wieder –

      KOHN