herrscht die alte Schicht über dem Schutt. Sie will eine Ruine renovieren und sie mit Kanonen und Paragraphen befestigen. Das Volk schreitet aber über Schutt und baut sich ein Haus, ohne Fassaden aus »großer Zeit«.
UNTERSUCHUNGSRICHTER
Sie sind Pazifist?
FRANZ
Ich wäre glücklich, wenn wir ein internationales Strafgesetzbuch hätten, das die Macht besäße, den Krieg zu sühnen genau wie den Mord. Daß es trotzdem Kriege geben wird, nehme ich als unerbittliche Tatsache, aber nicht als Ausrede.
UNTERSUCHUNGSRICHTER
Wir haben leider keine Wehrmacht mehr. Leider. Si vis pacem, para bellum, sagt der Lateiner. Können Sie Lateinisch?
FRANZ
Nein.
UNTERSUCHUNGSRICHTER
Das heißt: Wenn du Frieden willst, rüste dich zum Krieg.
FRANZ
lächelt: Das habe ich verstanden, obwohl ich nicht Lateinisch kann.
Stille.
UNTERSUCHUNGSRICHTER
räuspert sich: Ihr Artikel kann uns Wehrlosen nur schaden. Das ist Wasser auf die Mühle der gehässigsten feindlichen Propaganda. Das ist Verrat, denn Sie hindern des Deutschen Reiches Wiedererstarkung, indem das Ausland kraft solcher Artikel an unserem aufrechten Verständigungswillen zweifelt.
FRANZ
Wer meuchelte die aufrechten Versöhnungsfreunde? Aus innenpolitischen Gründen verschlechterten jene Verbrecher gewissenlos die verzweifelte Lage des Volkes! Mein Artikel kämpft für den ehrlichen Frieden gegen lichtscheue Machenschaften –
UNTERSUCHUNGSRICHTER
unterbricht ihn: Es gab keine schwarze Armee! Alle Ihre Behauptungen sind glatte Fälschungen!
FRANZ
Ich selbst sollte ja ermordet werden! Ich werde alles beweisen!
UNTERSUCHUNGSRICHTER
Ich warne Sie, wie gesagt: in Ihrem eigensten Interesse. Sie sind eines Verbrechens des versuchten Landesverrates angeklagt, beweisen Sie mir aber, daß es tatsächlich eine schwarze Armee gab, so sind Sie eines Verbrechens des vollendeten Landesverrats überführt und kommen kaum unter zwei Jahren Zuchthaus davon.
FRANZ
Ich kann also nur verurteilt werden?
UNTERSUCHUNGSRICHTER
Nur. So oder so.
FRANZ
Es gibt also keine Verteidigung?
UNTERSUCHUNGSRICHTER
Keine für Landesverräter.
Stille.
Sie sind doch Pazifist? Oder Kommunist?
FRANZ
Es hat mir einmal einer gesagt, ich hätte einen Denkfehler, – das habe ich mir schon vorher gestanden, nur habe ich falsche Konsequenzen gezogen. Wissen Sie, was meinen Pazifismus betrifft, so ist das richtig, daß meine Ehrfurcht vor der einzelnen Kreatur übertrieben ist, trotz all dem Elend, das ich sah. Der Glaube an die Unantastbarkeit jedes lebendigen Wesens führt in die Labyrinthe des Betruges. Es gibt nämlich Kreaturen, verfassungsmäßig organisierte Kreaturen, die moralisch derart verkommen sind, daß es selbst der liebe Gott aufgegeben hat, sie bessern zu wollen. Selbst er hat im Tempel sofort zur Knute gegriffen, ohne auch nur ein Wort für ihr Seelenheil zu verschwenden. Die kann nämlich selbst der liebe Gott persönlich nicht bekehren, – sie gehören aus dem Tempel der Menschheit wie räudige Hunde mit Fußtritten verjagt, sie, die das Heiligste verhandeln, sie gehören vernichtet, die zu verludert sind, um es sich auch nur vorstellen zu können, daß es auch anderes gibt. – Der Hauptmann hatte recht, obwohl er es gar nicht ahnte: Das »zu guter Letzt« geht uns nichts an.
UNTERSUCHUNGSRICHTER
Sie sind also Terrorist?
FRANZ
Ich muß.
UNTERSUCHUNGSRICHTER
Sie bekämpfen also den Staat an sich?
FRANZ
Ihren Staat.
UNTERSUCHUNGSRICHTER
Es gibt nur einen Staat, Sie, und der wird sich zu schützen wissen! Auch der Wurm krümmt sich, wenn er getreten wird.
IX. NORDSEEHAFEN
Sladek spricht mit zwei Matrosen auf einem stillen Kai. Es wird bald Abend.
ERSTER MATROSE
Wie? Was? Du willst um das Kap der Guten Hoffnung herum nach Südamerika?
SLADEK
Ich denk.
ERSTER MATROSE
Um das Kap der Guten Hoffnung?
SLADEK
Nach Nikaragua.
ZWEITER MATROSE
In Südamerika?
ERSTER MATROSE
Mittelamerika, Kamel! Mittelamerika!
SLADEK
So? Möglich.
ERSTER MATROSE
Wen hast du denn in Nikaragua, du Neger? Erbtante? Erbonkel?
SLADEK
Niemand. Ich fahr auch anderswohin. Nur möglichst bald, bitte. Hier ist es nicht schön. Ich hörte von Nikaragua – da dacht ich: Dorthin, der Name war mir so sympathisch, er ist so sehr fremd, so ganz anders, wie hier. Hier ist es doch wirklich nicht schön. Zum Beispiel: Immer nur Nebel. Ich möcht mal ganz anderswohin. Das ist alles.
ERSTER MATROSE
Wer bist denn du?
SLADEK
Ich?
ERSTER MATROSE
Du!
SLADEK
Warum?
ERSTER MATROSE
Darum. Ich glaub, wir kennen uns. Bist du denn nicht der Kerl, der bei der Frau, der Witwe – die alte Schraube hatte sich in ihren Aftermieter verknallt, aber plötzlich fiel es auf, daß ihr Fräulein Tochter trächtig war – ich hab diesen Herrn Aftermieter nur mal flüchtig gesehen, du siehst so aus, als ob – Das war in Triest.
SLADEK
Nein, das ist ein sogenannter Irrtum. Ich war noch nie in Triest, ich hab ja nur gefragt, ob ihr mich mitnehmen wollt als irgendetwas, wie eine Kiste, ihr seid doch Matrosen. Ich kann auch etwas kochen, ich wollt nämlich eigentlich Kellner werden, aber ich trag auch Kohlen, wenn es sein muß. Nur fort.
ERSTER MATROSE
Du hast was ausgefressen?
SLADEK
Was? Wieso?
ERSTER MATROSE
Was würd man uns für dich zahlen?
SLADEK
Für mich? Wer?
ERSTER MATROSE
Der Staatsanwalt.
Stille.
SLADEK
Ich hab doch nichts getan, obwohl auch Belohnungen auf die Ergreifung unschuldiger