Ödön von Horváth

Die wichtigsten Dramen von Ödön von Horváth


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      Das läßt sich nicht so einfach sagen. Zum Beispiel über das Morden in der Natur, das sich nicht ändert, über das Versöhnen, das es nie geben wird, und über die Gerechtigkeit, die es auch nicht gibt, aber wie gesagt, man kann da komische Erfahrungen machen. Wir haben über Weltpolitik debattiert. Deine Nase hat geblutet.

       Stille.

      Es freut mich, daß du zuvor gesagt hast, du glaubst nicht daran, daß es jemals Frieden geben wird, daß es also nur Gewalt gibt und sonst nichts. Daß du dich zu meiner Ansicht über den Sinn des Lebens bekehrt hast, das freut mich, denn du bist ein sogenannter intelligenter Mensch. Hörst du mich?

      FRANZ

      hatte den Kopf in den Händen vergraben; apathisch: Ja

      SLADEK

      Es freut mich, daß ich wieder mit dir reden kann, hier komm ich kaum dazu, denn hier darf man nicht selbständig denken, es ist auch besser, aber man kann es sich nicht verbieten. Vielleicht leider.

       Stille.

      Der intelligente Mensch gibt seinen Denkfehler zu, ich denk heut auch etwas anders, obwohl ich immer recht gehabt hab, aber es war alles durcheinander. Nämlich ich hab den Fehler gemacht, daß ich mich in den sogenannten Mittelpunkt der Welt gestellt hab, mich, den Sladek, obwohl dieser Sladek nur ein Teil ist. Ich hab mich mit dem Vaterland verwechselt.

       Stille.

      Ich hab mir das alles genau überlegt. Der Einzelne ist nur ein Teil des Vaterlandes, und dieser Teil darf als Einzelner zum Beispiel nicht morden. Es wird zwar immer gemordet, weil man ja nicht anders kann, aber das darf der Einzelne nur als Teil, obwohl ja ganz zu guter Letzt alles für den Einzelnen ist. Es ist aber komisch, daß, wenn man sich als Teil selbständig macht, zum Beispiel beim Morden, man das Gefühl hat, als sollt man doch anders tun, obwohl man doch muß. Das ist sehr kompliziert.

       Stille.

      Hörst du mich?

      FRANZ

      wie vorher: Ja.

      SLADEK

      Das sind so Sachen. Das ist dein Fehler, daß du sagst, du nimmst Rücksicht auf den einzelnen Teil. Wer das richtig tut, der muß sich zu guter Letzt selbst umbringen, denn es wird immer gemordet in der Natur. Dem geht es wie der Republik: Die will keinen umbringen, also wird sie umgebracht. Ohne Mord gibt es kein Leben, geht es nicht weiter. Es muß nämlich immer weiter gehen. Es wird zwar nicht besser, aber man weiß das nicht. Der einzelne Teil allein zählt nämlich nichts, man darf nur an das Ganze denken.

       Stille.

      Zum Beispiel für das Vaterland darf der Einzelne als Teil zum Beispiel jeden Mord begehen. Jederzeit. – Ich war mal bei der Hinrichtung einer Landesverräterin. Das war eine Frau.

       Franz horcht auf.

      Das erzähl ich jetzt nur dir, weil du nämlich auch ein intelligenter Mensch bist und ich komm hier wie gesagt nicht dazu, darüber zu reden.

      FRANZ

      Bitte.

      SLADEK

      Eine Landesverräterin gehört im Interesse des Ganzen erledigt, das ist doch klar. Es war auch alles in Ordnung, auch wenn sie unschuldig gewesen sein sollte, aber wir konnten nicht anders, wir mußten sie hinrichten, das sind manchmal so Umstände. Auch Unschuldige müssen für das Ganze fallen, das wird nicht anders. Wir hatten recht. Das ist jetzt nur für dich persönlich, weil, wie gesagt, du selbständig denken kannst und vielleicht das verstehst. Nämlich ich versteh alles, nur das nicht, daß es mir manchmal ist, als hätten die Leut, die diese Frau hingerichtet haben, obwohl sie doch vollkommen im Recht waren, weil sie nicht anders tun konnten, doch Unrecht getan. Das ist sehr interessant.

      FRANZ

      Sehr.

       Stille.

      Wer war diese Frau?

      SLADEK

      Das ist Geheimnis. Dieses Ganze, verstehst du, ist nur unter uns –

      FRANZ

      Meinst du?

      SLADEK

      Das hab ich nur dir gesagt, bitte.

      FRANZ

      Warum?

      SLADEK

      Es ist nur unter uns. Unter uns beiden.

      FRANZ

      spöttisch: Ich danke dir für das große Vertrauen.

      SLADEK

      Du wirst mich nicht betrügen.

      FRANZ

      Wieso?

      SLADEK

      Bitte.

       Stille.

      FRANZ

      nähert sich ihm: Du betrügst dich selbst. Du denkst als Teil zu selbständig, davon werden Deinesgleichen blöd. Jetzt weiß ich, wer du bist.

      SLADEK

      Jetzt erst?

      FRANZ

      Du bist der Sladek.

      SLADEK

      Ja.

      FRANZ

      Das ist sehr interessant. Ich weiß auch, wer deine »Landesverräterin« war.

      SLADEK

      Wer?

      FRANZ

      Sie hieß Anna.

      SLADEK

      Nein!

      FRANZ

      Doch! Und ihr »Henker« heißt Sladek.

      SLADEK

      Lüg nicht!

      FRANZ

      Das ist sehr interessant, Herr Sladek, denn die Justiz hat noch keine Ahnung, daß dieses Verbrechen eine »Hinrichtung im Interesse des Vaterlandes« ist. Die Polizei nimmt Mord an, einen höchst »selbständigen« Mord.

      SLADEK

      Ich bin kein Mörder.

      FRANZ

      In der Natur wird gemordet, das ändert sich nicht. Die Polizei sagt, wie der Herr es in jeder Zeitung nachlesen kann, daß es ein verkommenes Subjekt namens Sladek war, das die mütterliche Liebe einer alternden Frau in egoistischster Weise ausnützte. Ein arbeitsscheuer Lump, ließ er sich aushalten und trieb sich mit ihren kleinen Ersparnissen, die er ihr aus dem Schranke stahl, mit Huren herum. Und weil sie das nicht mehr mitansehen wollte, hat er sie in bestialischer Weise ermordet. Die Hauseinwohner hörten Frau Schramm »Sladek«! rufen und fanden sie abgeschlachtet. Auf die Ergreifung des Mörders hat der Staatsanwalt eine Belohnung ausgesetzt.

      SLADEK

      Wieviel?

      FRANZ

      Viel.

       Stille.

      SLADEK

      Das ist alles nicht wahr. Das ist alles ganz anders gewesen.

      FRANZ

      Das war alles für das Vaterland?

      SLADEK

      Ja, aber es gibt keine Gerechtigkeit.

      FRANZ

      Es gibt auch keine, aber wir haben Justiz