auch Ilsetraut teilnehmen durfte. Es war erstaunlich, wieviel Wieloff sich mit dem Kinde beschäftigte, und mit welcher Liebe es an ihm hing. Man plauderte noch eine Weile angeregt, und dann meinte Edna, daß sie nun nach Hause gehen müsse. Swen begleitete sie noch bis zur Wiese, dann lief sie allein dem Waldhause zu.
Im Wohnzimmer saßen die Mutter und Gerswint. Sie sahen kaum auf, als Edna eintrat.
»Mama, es wird alles viel besser gehen, als ich angenommen habe«, erzählte sie freudig erregt, schwieg jedoch betroffen still, als die Mutter sie mit einem Blick musterte, der ihr durch und durch ging.
»Deine Angelegenheiten gehen mich nichts an; das kannst du dir fortan merken«, sagte Frau Elisa hart. »Du hast dich von dem Augenblick an von uns gelöst, als du auf die andere Seite übertratest.«
»Aber Mama!« bat Edna betroffen. Allein die Mutter winkte entschieden ab.
»Du hast es ja nicht anders gewollt. Nun sei auch zufrieden mit dem, was du dir allein geschaffen hast.«
»Ja, soll ich denn überhaupt nicht mehr hierherkommen?« fragte das Mädchen verzweifelt.
»Das kannst du halten, wie du willst. Ich habe dich gestern vor die Wahl gestellt: deinen Vormund oder mich. Du hast ersteren gewählt; nun rechne dich auch zu ihm.«
Da ging Edna still hinaus. Ihr war recht weh zumute. Hatte sie denn etwas Böses verbrochen, daß die Mutter sie wie eine Verbrecherin behandelte?
Müde stieg sie die Treppe hinauf. Als sie an Bolkos Zimmer vorüberkam, öffnete sich die Tür, und er stand auf der Schwelle.
»Komm herein, Edna«, bat er hastig und zog die Schwester mit sich in das Gemach. »Wie war es, erzähle!«
Edna ließ sich müde auf den nächsten Stuhl sinken.
»Gut war es«, antwortete sie niedergeschlagen. »Man könnte zufrieden sein, wenn die Mama sich anders zu der Sache stellen würde. Wie weit bist du mit ihr gekommen, Bolko?«
»So weit wie du«, gab er kurz zurück. »Sie hat auch mich zum Schluß eines heißen, erbitterten Kampfes vor die Wahl gestellt: Entweder sie oder Swen.«
»Und was wirst du tun, Bolko?« fragte die Schwester bang.
Er zuckte die Schultern.
»Zuerst einmal eine Nacht darüber vergehen lassen. Dann gibt es ja nur zweierlei für mich: entweder zu Swen gehen und aus meinem verpfuschten Leben herausholen, was noch herauszuholen ist, und damit die Gunst der Mama verlieren – oder hierbleiben, ihre Gunst behalten, dafür aber langsam und sicher vor Trübsinn und Langeweile verblöden.«
*
Swen von Hellersen hatte Mühe, ein Lächeln zu unterdrücken, als er am andern Morgen über die Waldwiese reiten wollte, um auf schnellstem Wege zum Oberförster zu gelangen, und genau an derselben Stelle wie gestern Edna seinen Vetter Bolko stehen sah.
»Swen, ich bin gekommen…«, begann er zaghaft. Aber da stand dieser schon vor ihm und reichte ihm die Hand.
»Schlag ein, Bolko!« sagte er ernst. »Weiter ist nichts nötig. Habe erstens Vertrauen zu mir. Dann suche dir ein Wissen anzueignen, wie es jeder Landwirt haben muß. Alles andere findet sich dann von selbst.«
Bolko ergriff die Hand mit festem Druck. Schritt dann neben dem Vetter her, der ihn über den großen Gutshof führte, bis sie auf den Oberinspektor stießen.
»Hier bringe ich Ihnen den angekündigten Schützling, Herr Oberinspektor«, sagte der Baron vergnügt. »Haben Sie ein Herz im Leibe und bedenken Sie, daß er seine Knochen nicht in der Lotterie gewonnen hat.«
»Wird schon – wird schon alles werden«, versprach der gutmütige Alte zuversichtlich, während er seinen neuesten Zögling mit kritischen Augen musterte. »Nur ein bißchen zu sehr – hm, tja…«
»Muttersöhnchen«, half Bolko nicht ohne Bitterkeit aus; da streckte ihm der biedere Gort mit herzlicher Gebärde seine Hand entgegen.
»Also, auf gutes Verstehen, Herr von Hellersen! Und wenn es manchmal ein bißchen heiß hergehen sollte, dann müssen Sie immer daran denken, daß Lehrjahre keine Herrenjahre sind und daß der, der später befehlen will, in erster Linie gehorchen und den Mund halten lernen muß.«
Bolko legte schweigend seine gepflegte Hand in die derbe des Mannes, der ihn mitleidig ansah. Der Baron entfernte sich leichten Herzens, da er den Vetter jetzt in guter Hut wußte.
In der Halle des Schlosses stieß er auf Edna, die nach dem Arbeitszimmer des Sekretärs gehen wollte.
»Ist Bolko gekommen?« fragte sie hastig.
»Er ist da. Unser braver Oberinspektor hat ihn soeben unter seine Fittiche genommen.«
»Hat er sich also doch durchgerungen«, atmete sie tief auf. »Gestern sah es nämlich noch böse genug aus; die Mama hat ihm arg zugesetzt. Wir sind beide ganz gräßlich in Ungnade bei ihr gefallen.«
»Das wird sich wieder geben, kleines Mädel«, tröstete der Vetter. »Jetzt heißt es für euch beide: durchhalten und nicht etwa auf halbem Wege stehenbleiben.«
*
Am nächsten Tag fuhr Hellersen in die Stadt.
In der Hauptstraße hatte er eine Begegnung, die ihn freute. Er stand plötzlich Ellen Hungold gegenüber.
»Hallo, gnädiges Fräulein, das ist aber eine Überraschung!«
»Für mich nicht«, gab sie lächelnd zurück. »Ich weiß ja, daß Waldwinkel hier in der Nähe liegt. Wie es Ihnen geht, brauche ich nicht erst zu fragen. Sie sehen blendend aus!«
»Sie weniger«, bemerkte er mit einem prüfenden Blick in ihr schmalgewordenes Gesicht. »Sind Sie krank gewesen?
Aber ich bitte Sie, gnädiges Fräulein!« rief er bestürzt, als ihr die Tränen in die Augen schossen. »Ist denn irgend etwas Unangenehmes geschehen?«
»Mehr, als Sie ahnen«, erwiderte sie bitter. »Ich kann Ihnen wahre Wunderdinge erzählen, allerdings sehr trostlose«, setzte sie leise hinzu. Er wurde immer bestürzter. Ein Blick auf die Armbanduhr, ein kurzes Überlegen.
»Haben Sie Zeit, gnädiges Fräulein?«
»Wenn ich von allem so viel hätte wie Zeit, Herr Baron.«
»Das kann ich von mir allerdings nicht behaupten. Aber eine Stunde bleibt mir immerhin, um mich ein wenig mit Ihnen zu unterhalten. Kennen Sie das kleine Café in der Wilhelmstraße?«
»Ja, es ist ganz nett dort.«
»Wollen Sie mich dahin begleiten?«
»Von Herzen gern.«
So schritten sie denn nebeneinander der Konditorei zu, und der Baron mußte seine Begleiterin immer wieder verstohlen betrachten. Das sollte Ellen Hungold sein, die kecke, verzogene, temperamentvolle Ellen? Das konnte man kaum glauben.
Dieses Menschenkind, das da so seltsam bedrückt neben ihm her ging, war ein müdes, zerquältes Geschöpf.
Wie hatte das in den wenigen Monaten, seit er sie zuletzt gesehen, geschehen können?
In dem Café fanden sie ein ruhiges Plätzchen, das zum Plaudern wie geschaffen schien. Hellersen half der jungen Dame aus dem Mantel und sah erst jetzt so recht, wie erschreckend elend sie war. Allein er fragte nicht, wartete, bis sie den Kaffee getrunken und ein Stück Kuchen dazu gegessen hatte, steckte mit ihrer Erlaubnis eine Zigarette an und lehnte sich dann behaglich in seinen Polsterstuhl zurück.
»Wie geht es Ihren verehrten Eltern, gnädiges Fräulein?« erkundigte er sich, aber da ging ein Schatten über ihr Gesicht.
»Meine Eltern wohnen jetzt hier in der Stadt, weil Papa das Gut verkauft hat.«
»Aber wie ist denn das gekommen, gnädiges Fräulein?«
»Daran ist meine unglückliche Ehe schuld«, erklärte sie kurz und lächelte ein