Leni Behrendt

Leni Behrendt Staffel 6 – Liebesroman


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da spielen sich in unserer nächsten Nähe die aufregendsten Dinge ab, die uns ganz schnöde vorenthalten werden«, beklagte sich Papa Hungold. »Sie sind ein ganz Scheinheiliger, Freund Wieloff. Läßt uns der Mensch seelenruhig in dem Glauben, daß er unlöslich in Fräulein Bottichs Netzen zappelt, und wirft in Wirklichkeit seine eigenen Netze nach der allerliebsten Edna aus. Ich habe Sie mehr als einmal in Gedanken einen armen Verblendeten genannt, was ich Ihnen jetzt von ganzem Herzen abbitte. Da hat also der Baron recht behalten, daß eine Hochzeit immer eine Verlobung nach sich zieht.«

      *

      Das alte Jahr verging; das neue kam und brachte viel Eis und Schnee mit sich. Waldwinkel lag wie in weiße Watte gebettet da und bot einen verträumten Anblick.

      So gingen die Wochen dahin. Und an einem wunderschönen Sonnentage im Juli wurde der kleine Erbherr auf Waldwinkel geboren. Ein prächtiges Kerlchen, auf das hauptsächlich Sanitätsrat Melch sehr stolz war.

      Der Baron, der heute ganz besonders blaß und verhärmt aussah, schaute stumm auf seinen Sohn, von dem der Arzt behauptete, es sei das schönste und gesündeste Kind der Welt.

      »Und ein Hellersen bis ins kleinste. Den hätte unser Freund Leopold sehen müssen; ihm wäre das Herz aufgegangen vor Freude und Wonne – und vor Stolz und Glück.«

      Swen tat die Freude des alten Herrn irgendwie weh, und er schritt langsam nach dem Nebenzimmer, wo die junge Mutter zu Tode erschöpft in ihren Kissen ruhte. Das feine Antlitz war wie Marmor so kalt und weiß, und so regungslos lag sie da, als wäre kein Leben in ihr.

      Jäh verhielt Swen den Schritt. Eine unsinnige Angst sprang ihn an. Vergessen waren die Wochen vorher, alles ging unter in der Angst um die Frau, die er in Gefahr glaubte.

      Mit wenigen Schritten stand er vor dem Bett und faßte behutsam nach der Hand, die so leicht und durchsichtig wie ein Blumenblatt in der seinen lag.

      Da schlug sie die Augen auf und sah ihn an. Unergründlich und rätselhaft war ihr Blick.

      Und dann ihre Stimme – so müde, so zerquält, so unendlich bitter: »Der Erbe ist geboren. Ich glaube, nun habe ich meine Pflicht restlos erfüllt.«

      Er zuckte zusammen wie unter einem Hieb. Und die vielen herzlichen und reumütigen Worte, die er auf den Lippen gehabt, blieben unausgesprochen. Er zog ihre Hand nur leicht an die Lippen, murmelte einen Dank und ging dann rasch hinaus. Fiel in seinem Arbeitszimmer buchstäblich in einen Sessel, wühlte mit beiden Händen im Haar und stöhnte wie ein Tier.

      »Mein Gott, das ertrage ich nicht! Ich ertrage es einfach nicht länger! Ich werde entweder wahnsinnig – oder ich bringe mich um! Etwas anderes ist kaum noch möglich.«

      Wenn nur endlich erst das Herz Ruhe geben wollte! Dieses bohrende, nagende, ätzende Gefühl mußte den Menschen ja mit der Zeit wahnsinnig machen.

      Es war, als höre er wieder einmal die brüchige Stimme des Onkels: »Du bist ein echter Hellersen, und die sind nie von der Liebe verschont geblieben. Sie müssen durch Himmel und Hölle.«

      Sein verzweifelter Blick suchte das Bild des Heimgegangenen.

      »Durch den Himmel bin ich nicht gegangen, Onkel Leopold«, murmelte er mit zuc­ken­den Lippen. »Aber durch die Hölle werde ich geschleift. Jetzt weiß ich, wie du gelitten haben mußt und kann deinen Haß und deine Menschenscheu verstehen.«

      *

      Das alte ehrwürdige Waldwinkler Schloß prangte in festlichem Schmuck; denn der Erbe wurde heute getauft.

      Es hatten sich fast ebenso viele Menschen eingefunden wie zur Hochzeit. Überall ­herrsch­te frohe Erwartung und emsiges Treiben.

      Frau Elisa hatte die Festgestaltung wieder zuverlässig in ihre Hände genommen, und daher klappte alles ganz ausgezeichnet. Sie war sehr stolz auf den erstgeborenen Enkel und erzählte jedem mit Genugtuung, daß er ein echter Hellersen sei.

      Die junge Mutter war eben dabei, mit Hilfe der Pflegerin dem Täufling das kostbare Kleid, das schon viele kleine Hellersen vor ihm zur Taufe getragen hatten, anzuziehen. Dabei mußte sie noch die unzähligen Fragen beantworten, die Ilsetraut, die schon im Festkleide neben ihr stand, mit bewundernswerter Ausdauer stellte. Sie galten natürlich alle dem Brüderchen, das ihr Entzücken von Tag zu Tag immer mehr erregte.

      Die Tauffeierlichkeit in der Kapelle war ergreifend schön. Man konnte keinen Blick wenden von der wunderschönen Mutter, die ihr Kind so stolz und frei hielt, während sie einen Arm um das Töchterlein geschlungen hatte, das sich zärtlich an sie schmiegte.

      Bolko und Roger waren Pate und entledigten sich ihres Amtes mit viel Würde und Stolz. Wieloff hatte sich in der Ehe so verändert, daß er kaum wiederzuerkennen war. Der düstere Ernst war von ihm gewichen, und es gab Stunden, da er sogar lustig sein konnte. Bolko war vollends wie ein ausgelassener Junge.

      »Du siehst aus, als wenn du jeden Tag das große Los gewännest«, neckte ihn der Baron später, als man sich nach dem Festessen in den prächtigen Räumen tummelte, mit leichtem Spott. Der Schwager lachte ihn vergnügt an.

      »Tue ich auch. Mit einer Frau wie Ellen ist das gewiß kein Kunststück. Übrigens, du, unterm Weihnachtsbaum wird in Hirschhufen Taufe gefeiert. Bei uns findet alles unterm Weihnachtsbaum statt.«

      »Großartig, du mußt immer etwas Besonderes haben! Und wie ist es mit Roger?« fragte er ihn, der lächelnd dabei stand.

      »Der wird sich selbstverständlich nicht lumpen lassen«, antwortete Bolko für ihn. »Der feiert Taufe am Frühlingsanfang. Stimmt’s, Schwagerherz?«

      »Auffallend, Bolko.«

      Swen lachte und ging weiter seinen Gastgeberpflichten nach, die heute gewiß nicht leicht waren, zumal ihm miserabel zumute war.

      Sein finsterer Blick ging zu Gerswint hin, die in einer Gruppe ältlicher Damen stand und lebhaft mit ihnen plauderte.

      Wie unwiderstehlich sie dieses frische, unbekümmerte Lachen machte! Überhaupt hatte die Mutterschaft sie noch frischer und köstlicher gemacht.

      Auch weicher schien sie geworden zu sein, milder und zugänglicher. Allerdings nicht zu ihm. Er wurde strenger denn je mit Blick und Wort in Schach gehalten, damit er ja nicht die ihm gesetzte Schranke überschritte. Sie war keineswegs unfreundlich zu ihm, manchmal sogar liebenswürdig. Aber darauf brauchte er sich beileibe nichts einzubilden.

      Pflicht, Pflicht und nochmals Pflicht!

      Sein Gesicht verfinsterte sich immer mehr, und es waren gar rebellische Gedanken, die sich hinter seiner Stirn jagten.

      Jetzt machte er endgültig Ernst; er wollte wissen, woran er war. Entweder ließ sich seine verpfuschte Ehe in die gewünschte Bahn bringen, oder er ging auf und davon.

      Mit Ungeduld sehnte er das Ende des Festes herbei und war froh, als er sich in seine Zimmer zurückziehen konnte. Dort vertauschte er den Frack mit dem Hausrock und begab sich unverzüglich in die Räume seiner Gattin. Ein Ausdruck entschlossener Härte lag ihm um Augen und Mund, wie eingemeißelt, und seine Gestalt war gestrafft, als gelte es einen erbitterten Kampf auszutragen.

      In ihrem Zimmer war Gerswint nicht; er hörte jedoch ihre Stimme aus dem Kinderzimmer. Kurz entschlossen ging er dorthin und blieb in der Tür stehen.

      Also so konnte seine Frau sein, so heiter und vergnügt. Konnte so strahlende Augen haben und so köstlich froh lachen! Und wie betörend sie aussah! Wie sie mit dem kleinen Knaben, den die Pflegerin umbettete, scherzte und koste.

      Er stand regungslos da, und das Herz wurde ihm immer schwerer. Ein tiefer Seufzer klang auf und ließ Gerswint erschrocken herumfahren. Sofort verschwand das strahlende Lächeln von ihrem Gesicht, da sie den Gatten in der Tür stehen sah. Sie drückte rasch einen Kuß auf die kleine Kinderhand und ging Swen entgegen, der jetzt langsam ins Zimmer trat.

      »Suchst du mich, Swen?«

      »Ja.«

      Das klang hart und schroff, und Gerswint sah voll banger Sorge in sein finsteres Gesicht, das sich auch nicht aufhellte,