Christine von Bergen

Der Landdoktor Staffel 3 – Arztroman


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der Garten … Meine Familie ist der Meinung, dass ich mich rund um die Uhr um sie kümmern muss. Ich versuche ja, so gut es geht, es allen recht zu machen, aber ich spüre, wie ich immer mehr meine Kraft verliere, und keiner von ihnen versteht mich. Ich bin da irgendwie in einen Teufelskreis geraten. Als ich vor zwei Jahren in Freiburg gekündigt habe, hatte ich vor, die Tankstelle zu übernehmen, die Vater wegen seiner Behinderung nicht mehr weiterführen und verkaufen wollte. Ich wollte das Sortiment erweitern, etwas Größeres daraus machen. Plötzlich rutschte ich aber zudem auch in die Rolle der Hausfrau, was daran liegen mochte, dass es Mama zu dieser Zeit auch schlecht ging. Dann entwickelte sich alles dahingehend, dass ich heute den Haushalt allein führe, die Tankstelle leite, ohne meine großen Pläne dort jedoch verwirklichen zu können, und alles andere noch ganz so nebenbei manage. Es ist einfach inzwischen zu viel. Wo bleibe ich dabei? Das kann doch nicht mein Leben sein.«

      All diese Worte waren aus ihr herausgebrochen. Endlich war da einmal jemand, der ihr zuhörte, der erkannte, dass sie nicht über alle Grenzen hinaus belastbar war.

      Die graugrünen Augen des Landarztes sahen sie ernst an. »Hast du schon einmal darüber nachgedacht, warum du dich in diese Rollen hast drängen lassen?«

      Sie erkannte an seinem Blick, dass er die Antwort schon wusste. Genau wie sie.

      »Das können Sie sich doch denken«, erwiderte sie leise.

      »Ja, ich habe da so eine Idee, die ich jedoch als Grund für dein aufopferndes Verhalten deinen Eltern gegenüber für kompletten Schwachsinn halte.«

      Sie zuckte innerlich zusammen.

      Das war eine harte Aussage.

      Er lächelte belustigt. »Ich sehe dir an, dass du jetzt verwirrt bist.«

      Sie nickte.

      »Also, dann will ich dir einmal meine Meinung dazu sagen. Die Meinung eines älteren, erfahrenen Menschen, der selbst zwei Kinder hat.« Er warf einen nachdenklichen Blick aus dem Fenster, ließ ihn einen Moment auf den bunt blühenden Wiesen verweilen, die sich vor der Praxis ausbreiteten, und wandte sich dann ihr wieder zu. »Deine Eltern haben sich damals, als sie feststellten, dass sie keine Kinder bekommen konnten, zur Adoption entschieden. Sie waren überglücklich, als sie dann tatsächlich dieses kleine blonde Mädchen, nämlich dich, bekamen, und liebten es wie ein eigenes Kind. Ich glaube, das tun sie auch heute noch. Oder hast du das Gefühl, dass sie Jenny, die sie dann überraschend doch noch bekamen, bevorzugen?«

      Da musste sie gar nicht lange überlegen. »Nein, den Eindruck habe ich nicht. Mama und Papa schimpfen oft mit Jenny und halten mich ihr sogar stets als gutes Vorbild vor, was meine Schwester natürlich wiederum sauer auf mich macht. Aber ich glaube, das sind normale Geschichten in einer Familie.«

      »Ja, das ist so«, bestätigte ihr Dr. Brunner. »Ich bin eigentlich sicher, dass du niemals in der jetzigen Situation wärst, wenn du dich früh genug gewehrt, früh genug Grenzen aufgezeigt hättest. Oder haben sie dir jemals gesagt, dass du dich besonders anstrengen musst, weil du nicht ihr leibliches Kind bist?«

      »Nein, niemals«, bekräftigte sie.

      »Du bist diejenige, die sich durch ihr Sichkümmern dafür bedanken will, dass sie dem kleinen Waisenkind ein Zuhause gegeben haben, was jedoch, wie ich schon sagte, völliger Schwachsinn ist. So etwas erwarten Eltern nicht von ihren Kindern, auch nicht von adoptierten. Da die Menschen im Allgemeinen jedoch zur Bequemlichkeit neigen, haben deine Eltern schnell angenommen, was du ihnen geboten hast, zumal sie ja beide auch noch auf ihre Art körperlich eingeschränkt sind. Natürlich wäre es für sie nun eine große und unangenehme Umstellung, wieder selbst Aufgaben zu übernehmen. Dich alles regeln und machen zu lassen, ist doch wesentlich bequemer für sie. Das Schlimme ist, dass sie wahrscheinlich inzwischen gar nicht mehr erkennen, was du alles machst.«

      Ja, so sah sie ihre eigene Situation auch, wenn sie überhaupt einmal den Mut fand, darüber nachzudenken.

      »Was soll ich jetzt tun? Es hat sich einfach alles so eingespielt. Wahrscheinlich würde es großen Krach zu Hause geben, wenn ich mich plötzlich verweigern würde.«

      »Das könnte durchaus sein«, gab ihr der Landdoktor recht. »Ich bin gern bereit, mit deinen Eltern zu reden. Wenn ich ihnen als Arzt klarmache, dass du diesen Belastungen weiterhin gesundheitlich nicht standhältst, erkennen sie vielleicht eher die Brisanz der Situation.«

      Sie überlegte kurz. Dann schüttelte sie energisch den Kopf. »Das ist nett von Ihnen, aber vielen Dank. Ich muss das selbst schaffen. Zuerst werde ich mir einen Plan machen, wie die Aufgaben neu verteilt werden können, und dann rede ich mit ihnen. Ich bin sehr froh, dass Sie mit mir darüber gesprochen haben. Jetzt finde ich sicherlich den Mut, etwas an meiner Situation zu ändern.«

      »Das höre ich gern«, sagte Dr. Brunner mit zufriedener Miene. »Falls du allein doch nicht weiterkommen solltest, hab keine Scheu und wende dich an mich.« Er riss ein Blatt von dem Rezeptblock ab und steckte es in den Drucker. »Ich verschreibe dir ein homöopathisches Medikament, das dein vegetatives Nervensystem ein bisschen unterstützt und dir den Alltag vorerst erleichtert. Denn wie wir wissen, brauchen Veränderungen Zeit.« Er sah sie ernst an. »Aber bitte vergiss nicht, Angela, entschleunige deinen Tag und nimm dir mehr Stunden von ihm für dich. Und das schon ab heute.«

      *

      Angela verließ die Landarztpraxis fast wie ein neuer Mensch.

      Ja, sie musste etwas an ihrem derzeitigen Leben ändern. Das würde bestimmt schwierig werden. Eingefahrene Gewohnheiten abzustellen war keine leichte Aufgabe, zumal ihre Eltern und Jenny dabei die Leidtragenden waren. Als solche würden sich die drei zumindest erst einmal sehen. Dennoch, so ging es nicht weiter, zumal sie Christian kennengelernt hatte. Für ihn und ihre Liebe brauchte sie Zeit. Nein, anders ausgedrückt, dafür wollte sie Zeit haben. Und zwar so viel wie möglich. Hinzu kam, dass sie diese gemeinsame Zeit genießen wollte. Und das mit ständigen Kopfschmerzen oder Schwindelgefühlen? Unmöglich.

      Sie blieb neben ihrem Wagen auf dem Patientenparkplatz stehen.

      Die Luft hier oben auf dem Praxishügel duftete nach den Wiesenblüten und dem Harz der Fichten. Am Mittagshimmel ließ sich keine einzige Wolke sehen. Es war warm, nicht zu heiß, gerade richtig, um irgendwo in einer Straußenwirtschaft zu sitzen, etwas zu essen, ein Glas Glottertaler zu trinken. So, wie es die Touristen machten, die den Schwarzwald besuchten. Urlaubsfeeling pur …

      Warum nicht?, dachte Angela, nahm ihr Handy aus der Tasche und wählte Christians Nummer.

      »Hallo, Süße«, meldete er sich.

      Sie hörte, dass er lächelte.

      Mit seinem attraktiven Gesicht vor Augen fragte sie: »Bist du eigentlich spontan?«

      »Spontaneität ist eine meiner herausragenden Stärken«, kam es wie aus der Pistole an ihr Ohr zurück.

      Gut, dann testen wir diese doch einfach einmal, sagte sie sich vergnügt.

      »Können wir uns heute zum Mittagessen treffen?«

      »Nichts lieber als das. Wann und wo?«

      Sie musste lachen. »Um zwölf Uhr in …«

      Jetzt wusste sie nicht mehr weiter. Nach Freiburg zu fahren würde bedeuten, ziemlich viel Zeit zu verlieren, die sie lieber mit Christian verbringen würde.

      »Weißt du was? Um zwölf Uhr in Ruhweiler«, schlug ihr Traummann da vor, als hätte er ihre Gedanken gelesen. »Was hältst du davon? Dort wird es doch bestimmt ein Gasthaus geben, in das ich dich einladen kann.«

      »Die Rottwälder Brauerei«, sagte sie sofort. »Die hat einen gemütlichen Biergarten. Und bei dem tollen Wetter …«

      »Der perfekte Ort, und du kannst Zeit einsparen«, sagte Christian, zögerte einen Augenblick und meinte dann trocken: »Dann werde ich mich mal auf den Weg dorthin machen. Wir haben ja schon halb zwölf.«

      »Okay, ein paar Minuten Verspätung seien dir gegönnt«, erwiderte sie und lachte.

      Sie klappte ihr Handy zu. Dann blieb sie