Adalbert Stifter

Die wichtigsten Werke von Adalbert Stifter


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      Sie führte ihn über den Gang in das Gemach Berthas.

      Bertha saß in dem Gemache an einem Tische. Von ihrem Haupte hingen zwei Zöpfe nieder, an den Armen war weißes Linnen, der Brustlatz war rot, und von ihm fiel der stark faltige schwarze Rock hinab.

      Sie stand auf, da ihre Mutter mit Witiko in das Zimmer kam.

      »Bertha«, sagte die Mutter, »Witiko hat deinen Vater und mich gefragt, ob er mit dir sprechen dürfe, und wir haben ihm geantwortet, er darf mit dir sprechen. Willst du ihn hören, und auch mit ihm sprechen?«

      »Ich will ihn hören, und mit ihm sprechen, Mutter«, sagte Bertha.

      »So sprecht, und ich gehe zu dem Vater«, sagte Wiulfhilt.

      Sie verließ nach diesen Worten das Gemach.

      Witiko stand in seinem Ledergewande vor Bertha, und sah sie an. Bertha sah ihn an.

      »Was willst du zu mir sprechen, Witiko?« fragte sie.

      »Du hast an dem schönen großen Steine neben dem Waldsaume vor zwei Jahren zu mir gesagt, Bertha«, antwortete Witiko: »Baue dir ein Haus, Witiko, und wenn dann noch keine Makel an dir ist, so folge ich dir, und harre bei dir bis zum Tode. Nun baue ich mir ein Haus, und bin gekommen, dich zu fragen, ob eine Makel an mir ist?«

      »Es ist keine Makel an dir, Witiko«, antwortete Bertha.

      »So wirst du mir in das Haus folgen?« fragte Witiko.

      »Ich werde dir in das Haus folgen«, entgegnete Bertha.

      »Und wirst dort harren bis zu dem Tode?« fragte Witiko.

      »Ich werde harren bis zu dem Tode«, antwortete Bertha.

      »So ist gesprochen, was zuerst gesprochen werden sollte«, sagte Witiko. »Bertha, Bertha, sei mir tausendmal gegrüßt.«

      »Sei tausend und tausend Mal gegrüßt, Witiko«, antwortete Bertha.

      Und sie reichten sich die Hände, hielten sich an denselben, und schauten sich in das Angesicht.

      »Bertha«, sprach Witiko, »du hast gesagt: Ich will, daß dir keiner gleich ist, so weit die Augen blicken, es mögen unten die Bäume des Waldes emporstehen, oder die goldenen Felder der Ähren, oder der grüne Sammet der Wiesen dahin gehen. Nun aber sind mir viele gleich, es sind sehr viele über mir, wirst du mich in hoher Achtung halten können, Bertha?«

      »Witiko«, antwortete Bertha, »als ich jene Worte gesagt hatte, gabst du mir die Erwiderung: Ich will zu dem Höchsten streben.«

      »Ich wollte es, und will es noch«, sagte Witiko, »und ich habe auch gesagt, daß ich das Ganze tun will, was ich kann.«

      »Nun, das Streben ist der Anfang«, sagte Bertha, »und den Anfang hast du gemacht, Witiko. Ich habe an jenem Steine auch gesagt: Wenn ich dir folge und bei dir harre, dann rede zu den Männern deines Landes, bringe sie zu dem Großen, und tue selber das Große. Ich kann also nicht wollen, daß dir jetzt schon keiner gleich ist; aber die Jahre werden es nach den Jahren bringen, und einmal werde ich sagen: Witiko, jetzt ist dir keiner gleich.«

      »Und die Jahre werden nach den Jahren vergehen, und du wirst es nicht sagen können«, antwortete Witiko.

      »Dann werde ich noch weiter harren«, sprach Bertha.

      »Und wenn du immer harrest«, sagte Witiko.

      »So weiß ich dich auf dem Wege«, antwortete Bertha. »Witiko, ich habe gesagt: Wenn du ein niederer Mann würdest, so würde ich als dein Weib von dir gehen, dahin du mir nicht folgen könntest.«

      »Ich werde niemals ein niederer Mann«, sagte Witiko, »und so, Bertha, in diesen Gefühlen wirst du mein Weib.«

      »So werde ich dein Weib«, entgegnete Bertha.

      »Und so ist nun erfüllet, was erfüllt werden sollte, gehen wir jetzt zu den Eltern«, sprach Witiko.

      »Gehen wir«, sagte Bertha.

      »Ich bitte dich noch um etwas«, sprach Witiko.

      »Sage es«, entgegnete Bertha.

      »Gehe mit mir heute an diesem Tage, wenn es deinem Vater und deiner Mutter genehm ist«, sprach Witiko, »zu der Stelle, auf welcher ich dich zum ersten Male gesehen habe, da du mit Rosen bekränzt da standest, und gehe mit mir zu den Steinen, auf welchen wir an jenem Tage gesessen waren.«

      »Ich werde sehr gerne mit dir gehen, Witiko«, sagte Bertha, »und wir werden den Vater und die Mutter darum bitten.«

      »So gehen wir nun«, sprach Witiko.

      Und sie gingen über den Gang zurück in das Gemach Wiulfhilts. In demselben war noch Heinrich bei seiner Gattin. Witiko und Bertha traten vor die Eltern. Wiulfhilt stand auf, und küßte Bertha auf die Stirne. Heinrich nahm Witikos Hand in die seine, und legte sie dann in die Hand Wiulfhilts.

      »Lasse die Kinder an unserer Seite sitzen, Wiulfhilt«, sagte er.

      »Setzet euch zu uns«, sprach Wiulfhilt.

      Heinrich und Wiulfhilt setzten sich auf ihre Stühle, und Witiko und Bertha setzten sich auf Stühle daneben.

      »So sind Eure Wünsche gesichert«, sprach Heinrich, »und die Vollendung wird folgen. Und da Ihr nun, Witiko, wie Eure Worte gelautet haben, der höheren Ehren bei uns teilhaftig geworden seid, so werdet Ihr auch die minderen nicht verschmähen, und eine Weile unser Gast sein.«

      »Ich werde es mit Freude sein«, antwortete Witiko, »und werde auch diese Ehre ehren.«

      »Und uns wird es eine Freude sein, Euch länger zu sehen als sonst«, sagte Wiulfhilt.

      »Wir können dann auch über viele Dinge sprechen, die sich ereignet haben, und Ihr könnt mir manches erzählen, Witiko«, sprach Heinrich. »Auch könnt Ihr Bertha besser kennen lernen, und Bertha Euch.«

      »Ich kenne Witiko schon, mein Vater«, sagte Bertha.

      »Und ich kenne Bertha«, sagte Witiko.

      »Und wenn ihr eines das andere kennet«, sprach Heinrich, »so wird die Gegenwart euch doch erheben.«

      »Ja«, sagte Bertha.

      »Ja«, sagte Witiko.

      »Und unser Haus und unser Wald und unsere andern Liegenschaften können Euch zu mancher Betrachtung dienen«, sagte Heinrich.

      »Und ich kann für die Zeit, die mir zunächst liegt, etwas lernen«, sprach Witiko.

      »Ihr könnt für Eure Handlungen, die Ihr jetzt tut, bald die Einsichten gewinnen«, sagte Heinrich.

      »Und Ihr werdet mir mit Eurem Rate gewiß beistehen«, sprach Witiko.

      »Wenn Ihr ihn bedürft, und wenn er etwas nützt, werde ich ihn gerne geben«, antwortete Heinrich.

      »Ich werde ihn bedürfen, und er wird nützen«, sagte Witiko.

      »Jetzt aber«, sprach Heinrich, »ist es die erste Pflicht des Wirtes, den Gast zu pflegen. Ihr seid von dem Pferde gestiegen, und seid gleich in mein Gemach geführt worden. Es ist billig, daß ich Euch in Eure Wohnung geleite, daß Ihr Euch stärkt, vorerst einrichtet, und dann sagt, was Ihr weiter bedürfet.«

      »Es ist eine Bitte ganz anderer Art, welche ich stellen möchte«, sprach Witiko.

      »So redet«, sagte Heinrich.

      »Gebet Eure Genehmhaltung«, sprach Witiko, »daß Bertha und ich an diesem heutigen Tage die Stelle besuchen, an welcher ich Bertha zum ersten Male gesehen habe. Bertha bittet das gleiche.«

      »Ich bitte das gleiche, Vater«, sagte Bertha.

      »So besuchet die Stelle«, antwortete Heinrich, »wenn die Mutter meiner Meinung ist.«

      »Lasse die Kinder gehen«, sagte Wiulfhilt.

      »Ich danke«, sprach Witiko, »wir werden