Adalbert Stifter

Die wichtigsten Werke von Adalbert Stifter


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ist ein eisengraues Pferd«, entgegnete der Reiter.

      »Und warum tragt Ihr denn nicht eine Kopfzier, wie die andern hohen Männer?« fragte das Mädchen.

      »Ich bin kein hoher Mann«, antwortete der Reiter, »und die Haube ist mir sehr wert. Sieh her, sie ist von der Haut des Elentieres, das weit von hier lebt. Ein Schwerthieb geht nicht durch.«

      Bei diesen Worten hatte er den Helm aufgehoben, und ihn dem Mädchen gezeigt. Das Mädchen sah ihn an, und befühlte sein weiches Leder mit den Fingern.

      »Und ist es denn nicht sehr heiß, wenn Ihr die langen Haare in der Haube tragt?« fragte sie.

      »Es ist heißer, als wenn die Haare kurz sind«, antwortete er, »aber Hitze und Kälte muß dem Manne gleich sein. Bei allen alten Völkern hat man lange Haare geliebt, und sie schützen auch gegen Hiebe.«

      »Sind Eure andern Kleider ebenfalls von der Haut dieses Tieres?« fragte das Mädchen.

      »Der Panzer; das übrige ist geringer«, antwortete der Reiter. »Sie haben sonst auch Schienen, ich habe das Leder.«

      »Ihr habt Euer Schwert in den Wald mitgenommen«, sagte das Mädchen.

      »Ich habe es immer bei mir«, entgegnete der Reiter, »außer wenn ich zu Hause in sicherer Kammer schlafe. Schwert ist zugleich Schwert und Schild.«

      »Ist es schön?« fragte das Mädchen.

      »Siehe«, sagte der Reiter.

      Er wendete die Scheide gegen sich, zog das Schwert daraus hervor, und reichte es ihr dar. Sie nahm es so, daß einen Teil der bloßen Klinge sie hielt, den andern er.

      »Ach, welche Zeichen!« rief sie aus.

      »Das ist Sankt Peter mit der Kette«, sagte er, »wir haben ihn zu unserm Schutzheiligen, weil wir aus Rom stammen. Was du um ihn herum siehst, das ist Zierat.«

      »Und was ist denn das andere?« fragte das Mädchen.

      »Das ist auch Zierat«, entgegnete der Reiter.

      »Das Bild ist ein schönes Bild«, sagte sie.

      »Es muß schön gemacht sein«, antwortete er, »und das Schwert muß gegen Hiebe und Gewalt gut gestärkt sein. Das wirst du nicht erkennen.«

      »Nein«, sagte sie.

      Er nahm die Scheide, hielt sie, und steckte das Schwert wieder in dieselbe.

      »Und nun, Mädchen, wie heißest du denn?« fragte er.

      »Bertha«, antwortete sie, »und wie heißt denn Ihr?«

      »Witiko«, entgegnete er, »und wie alt bist du denn?«

      »Sechzehn Jahre«, sagte sie, »und wie alt seid denn Ihr?«

      »Zwanzig«, erwiderte er, »ich bin neun Jahre nach der Zeit geboren worden, da der Herzog Swatopluk von Böhmen erschlagen worden ist.«

      »Ich habe mir gedacht, daß Ihr sehr jung seid«, entgegnete sie.

      »Und lebst du im Walde, Bertha?« fragte er.

      »Im Walde und auch anderswo«, antwortete sie; »ich habe Euch ja schon gesagt, daß wir weiter aufwärts von hier ein Haus haben. Dann ist noch das Häuschen des Vaters meiner Singgespanin, sonst ist nichts.«

      »Habt Ihr eine Kirche?« fragte er.

      »Sie steht fünf Stunden von hier in der Freiung«, antwortete sie, »wenn man dann hundert Schritte von unserm Hause abwärts geht, und noch eine halbe Stunde zur Mihel zu gehen hätte, wo die Köhler sind, steht ein dunkelrotes hohes Hüttlein aus Holz, und in dem Hüttlein ist die heilige Mutter mit dem Jesuskinde aus Holz. Der Bischof hat sie geweiht. Vor dem Hüttlein stehen kleine Bänklein, daran man knien und beten kann. Wir beten da. Hinter dem Hüttlein stehen Ebereschenbäume, und Ebereschenbäume gehen bis zu unserem Hause. Jetzt sagt mir aber auch etwas von Euch.«

      »Mein Geschlecht ist dunkel«, antwortete er, »es ist aber nicht immer so gewesen.«

      »Und wo werdet Ihr dann hingehen, wenn Ihr morgen von hier fortreitet?« fragte sie.

      »In das Land Böhmen«, antwortete er.

      »In das Land Böhmen?« fragte sie, »warum geht Ihr denn nicht zu dem neuen Könige Konrad oder zu unserem Herzoge Heinrich?«

      »Das ist so«, entgegnete er: »im Mittage des Landes Böhmen haben meine Vorfahren im Walde gelebt. In alten Zeiten vor vielen hundert Jahren, da es noch gar kein deutsches Reich gegeben hat, da in dem Lande der Franken, das sehr groß war, die tapfern Hausmeier der alten Könige geherrscht haben, ist ein Mann aus dem Stamme der Fürsten Ursini in Rom, der auch Witiko wie ich geheißen hat, wegen Verfolgung eingedrungener Feinde mit seinem Weibe, mit seinen Kindern, mit seinen Anverwandten und mit einem kriegerischen Gefolge in das Land gegen Mitternacht gegangen, und bis an die Donau gekommen. Von dort wollte er in das Land Böhmen einbrechen. Aber Woyen, der Herzog Böhmens, der erstgeborne Sohn des Herzogs Mnata, der noch heidnisch war, und die Christen haßte, zog ihm mit einem Heere entgegen, und tötete in einer Niederlage, die Witiko erlitt, fast alle seine Leute. Da trug Witiko dem Herzoge Woyen ein Bündnis an, er wollte sich ihm unterwerfen, und die Marken Böhmens gegen die Fremden verteidigen, wenn ihm der Herzog in den waldigen Bergen, in welche er eingedrungen war, eine Wohnung geben wolle. Der Herzog gab sie ihm, und nun wohnte er an einem Berge in dem Walde. Sie breiteten sich aus, wurden mächtig, und gründeten das Christentum, daß sich vierzehn Lechen vom Mittage Böhmens lange vor der Zeit, da Boriwoy der erste christliche Herzog Böhmens war, in Regensburg taufen ließen. Dann nahm das Geschlecht wieder ab, wurde unbekannt, und ich bin der letzte davon. Witiko hatte auf dem Berge an seiner Wohnung Waldrosen gepflanzt, wie auf einem Berge neben seiner Wohnung in Rom Waldrosen gestanden sind. Alle Vorgänger des alten Witiko, welche in die Zeiten hinauf reichten, da noch gar kein Christ auf der ganzen Welt war, hatten Waldrosen gepflanzt, weil noch keine anderen waren, und alle Nachfolger haben Waldrosen gepflanzt.«

      »Es wird doch eine Eingebung gewesen sein, daß ich die Rosen genommen habe«, sagte Bertha.

      »Nimmst du oft Rosen?« fragte Witiko.

      »Ich nehme sie zuweilen«, sagte Bertha.

      »Und daß es in dieser Jahreszeit noch Rosen gibt, ist schon ein Wunder«, sagte Witiko.

      »Ich habe diese auch nur heute im Waldschatten gefunden, und in meinen Ring gesteckt«, entgegnete Bertha.

      »Siehst du«, sagte Witiko.

      »So mögen sie Euch ein Zeichen sein«, erwiderte Bertha, »und möget Ihr recht viel Glück haben. Ich werde Euch zu meinem Vater führen, daß er Euch einen Mann zu den drei Sesseln mitgibt, der Euch den kürzesten Pfad weist.«

      »So führe mich zu deinem Vater, Bertha«, sagte Witiko.

      »Wollt Ihr?« fragte sie.

      »Ich will«, antwortete er.

      »So kommt«, sagte sie.

      Bei diesen Worten erhob sie sich, der Reiter setzte seine Lederhaube auf den Kopf, und stand gleichfalls auf.

      Sie gingen nun an dem Waldsaume bis zu der Stelle, an welcher die Mädchen herausgekommen waren. Dort traten sie unter die Stämme, und in kleiner Tiefe des Waldes stand das andere Mädchen, das mit Bertha gesungen hatte. Als Bertha und Witiko sich ihr näherten, nahm sie die Flucht, und lief vor ihnen her. Witiko sah nun, daß ihre Zöpfe, die auf das dunkle Kleid hinab gingen, eine lichte fast weißgelbe Farbe hatten, während die Berthas braun wären. Sie lief aber so, daß sie bald nicht mehr gesehen werden konnte. Witiko und Bertha gingen unter den hohen Tannen des Waldes und zwischen bemoosten Steinen dahin. Sie gingen aufwärts.

      Nach einer Weile hörten sie ein Wasser rauschen, welches in der Gegend zu ihrer linken Hand fließen mußte. Bertha wendete sich nun links, und ging zu dem Wasser, das man fast durch die Stämme aber tief unten in einer Schlucht sehen konnte. Bertha ging an dem Wasser in der früheren Richtung wieder fort, aber immer oben am Rande der