Joachim Ringelnatz

Gesammelte Erzählungen (Über 110 Titel in einem Band)


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Ich verbitte mir jegliche Kundgebung seitens der Zuhörerschaft, sonst sehe ich mich genötigt, den Ausschluß der Öffentlichkeit zu be– Atemlose Stille.

      Staatsanwalt Angeklagter, berichten Sie weiter, genau und ausführlich. Wo fuhren Sie hin? Was trafen Sie wie? Wodurch?

      Angeklagter Ich geriet auf den Planeten Klopsia. Dort gibt es nur anständige Leute.

      Staatsanwalt Weiter! Weiter! Wieso? Was heißt das? Erzählen Sie doch! Welcher Gestalt taten Sie –?

      Angeklagter Ich legte mich in ein Kohlrabibeet, schlief zwei Jahre lang und radelte dann weiter.

      Staatsanwalt Häm – Sonderbar. – In der Tat. Aber die Methode ist uns nicht mehr neu. Wir kommen schon dahinter. Sprechen Sie weiter, Angeklagter. Wo? Nach welcher –?

      Angeklagter Ich landete auf dem Seitenmonde Exlibris.

      Staatsanwalt Exlibris?? Unruhe.

      Angeklagter Ja, Exlibris. Dort ging es fürchterlich zu. Hört! Hört!

      Staatsanwalt Fürchterlich? – Ruhe auf der Galerie! – Wollte sagen unter freiem Himmel. – Wieso fürchterlich?

      Angeklagter Ja. Ich kam todmüde an, entkleidete mich, ohne recht zu wissen wie, stopfte meine Kleider in den Schrank, kroch ins Bett und schlief gleich ein. Bis das Entsetzliche geschah. Alle Zuhörer stehen unwillkürlich auf.

      Staatsanwalt Welches Entsetzliche? Stocken Sie doch nicht fortwährend.

      Angeklagter Ich erwachte plötzlich. Die Lampe brannte. Da sah ich aus dem Türspalt des Kleiderschrankes einen nackten Arm herausragen, der mir meine zerknüllte Hose reichte, und eine hohle Stimme sagte: »Liederjahn!« Ich sträubte mein Haar, kroch unters Bettdeck. Und als ich wieder erwachte, hatte ich ein halbes Jahr verschlafen. Da radelte ich zur Erde zurück.

      Minutenlanger Lärm, dann Stille.

      Staatsanwalt Angeklagter, Sie haben bisher dreist gelogen.

      Angeklagter Ja.

      Staatsanwalt Wir wissen Mittel und Wege, Sie zahm zu machen. Aber erklären Sie uns jetzt zunächst einmal, wie Sie es fertigbringen, sich mit einem Fahrrad in die Luft zu erheben.

      Angeklagter Das kann ich nicht. Ich setze mich einfach drauf und fliege los.

      Staatsanwalt Quatsch! Ich setze mich auch einfach drauf und fliege nicht los. Also!?

      Der Angeklagteschweigt.

      Staatsanwalt Können Sie uns den Vorgang vielleicht praktisch vorführen?

      Angeklagter Ja. Es wird ihm das rostige Fahrrad gebracht. Angeklagter vormachend Ich ergreife die Lenkstange erst mit der linken, dann mit der rechten Hand. Dann setze ich den linken Fuß auf das linke Pedal. Dann hole ich ganz, ganz tief Atem. Allgemeines tiefes Atemholen.

      Staatsanwalt Das ist recht, so erzählen Sie vernünftig. Fahren Sie fort!

      Angeklagter Dann fahre ich fort. Er schwingt sich auf den Sattel und tritt an. Fährt ein Stück über den Rasen, hebt sich dann in die Luft und bewegt sich erst langsam, auf einmal sehr schnell gen Himmel. Und kam nie zurück.

      Die Ode an Elisa

       Inhaltsverzeichnis

      »Herein!«

      Ein elegant gekleideter Herr mit schwarzem Haar, Spitzbart und Monokel trat ein.

      »Verzeihung – ich war schon gestern hier, ohne Sie anzutreffen. Ich bin Baron von Tschmltrzklptsch –« (Den Namen verstand ich nicht.)

      »Ihr Besuch ehrt mich, bitte, nehmen Sie Platz. Ich habe leider nur einen Stu –«

      »Danke, danke«, unterbrach er mich nervös. »Ich höre, Sie dichten gut –«

      »Sehr gut«, bestätigte ich.

      »Ich habe ein vielleicht etwas seltsam klingendes Anliegen an Sie, aber ich würde, wenn Sie einverstanden wären, gut honorieren. Es handelt sich um ein Gelegenheitsgedicht –«

      »Goethe schrieb nur Gelegenheitsgedichte«, warf ich ein.

      »Würden Sie ein Gedicht über meine Frau machen?«

      »Mit Vergnügen. Frauenbedichtung ist meine Spezialität.«

      »Meine Frau kommt Montag aus Florenz, wird aber nur vierundzwanzig Stunden bei mir bleiben. Da möchte ich ihr das Poem überreichen.«

      »Sehr passend und vornehm.«

      »Und ein Honorar von fünfhundert Mark würde Sie befriedigen?«

      Ich verbeugte mich tief und konnte kein Wort herausbringen.

      »Schön«, sagte der Baron, »ich müßte aber die Bedingung stellen, daß Sie mir das Gedicht am Montagabend persönlich nach Uchtriz bringen. Ich bin zwischen acht und neun Uhr im ›Hotel Kaiser‹ zu treffen. Es tut mir leid, Ihnen die Sache so erschweren zu müssen, aber – – «

      »Schon gut. Ich bin ein freies Kind der Zeit. Ich brauche nur noch einige Angaben über Ihre Frau.« Damit holte ich einen für solche Zwecke bestimmten Fragebogen aus meinem Schreibtisch und begann die einzelnen Punkte vorzulesen:

      »Haare?«

      »Blond«, erwiderte der Fremde.

      »Augen?«

      »Blaugrau.«

      »Größe?«

      »Mittel.«

      »Schlank?«

      »Sehr.«

      »Vorname?«

      »Elisa.«

      »Ah! – Besondere Eigentümlichkeiten oder sonst Erwähnenswertes?«

      »Sammelt Strumpfbänder.«

      »Danke bestens. Das genügt. Montag zwischen acht und neun haben Sie das Gewünschte.«

      »Und nicht wahr, ich kann mich auf Ihre Pünktlichkeit verlassen?«

      »Der Wahn ist kurz, die Reu ist lang!« zitierte ich, da mir nichts Passenderes einfiel.

      »Schön. Soll ich den pekuniären Teil gleich – – «

      »Bitte, das eilt nicht.« Ich heuchelte erhabene Gleichgültigkeit.

      »Hier ist die Adresse: Uchtriz, ›Hotel Kaiser‹, acht bis neun Uhr. Dann besten Dank im voraus und auf Wiedersehen. Ich empfehle mich Ihnen!«

      »Adieu, Herr Baron, habe die Ehre!« rief ich an der Treppe laut. Alle Nachbarn hörten es.

      Das Gedicht über oder besser an Elisa ward noch am selben Tage fast fertig gedichtet. Es gelang wirklich schön. Nur auf Strumpfbänder fehlte mir noch ein Reim, Sumpfländer paßte nicht recht und Rumpfschänder schien mir zu gesucht. Doch das wollte ich schon noch finden.

      Inzwischen hatte ich mit vieler Mühe festgestellt, daß Uchtriz ein kleiner Marktflecken, etwa zwei Stunden Bahnzeit entfernt und keine Bahnstation war.

      Mein Freund Koppel, dem an dieser Stelle nochmals gedankt sei, lieh mir am Montag das Fahrgeld. In strömendem Regen, auf ausgefahrenen Feldwegen mußte ich von der letzten Bahnstation bis Uchtriz anderthalb Stunden zu Fuß gehen.

      »Hotel Kaiser« war der beste Gasthof dort. Man erhielt auf Wunsch Servietten. Übrigens gab es keinen Gasthof weiter in dem Ort. Als ich anlangte, erkundigte ich mich zunächst, ob ein Baron mit schwarzen Haaren, Monokel und vornehmer Kleidung dort logierte, denn ich wußte den Namen meines Auftraggebers leider nicht. Man teilte mir mit, der Herr wohne allerdings dort, habe aber nach Stallberg fahren müssen und hinterlassen, wer ihn zu sprechen wünsche, solle ihn erwarten; er käme um elf Uhr zurück.

      Das war sehr fatal und eine Ungehörigkeit,