Joachim Ringelnatz

Gesammelte Erzählungen (Über 110 Titel in einem Band)


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unerträglich drückte der Ranzen, das Koppelzeug mit Spaten und Patronen.

      Da tat sich eine überraschende, weite Helle auf. Vor der tiefstehenden Sonne blendeten und glitzerten die Dünen, deren Flächen vom Wind in starre Wellchen gemustert, streckenweise von Fußspuren sowie verstreutem, vielartigem Gerät und Abfall gestört waren. Auf einem Hügelkamme stand vor feurig ausgestrichenem Gewölk eine anmutige Silhouette. Zwei Lanzenreiter –»Dragonerpatrouille« – neben einer abnormen Kiefer.

      Müde stapften die Maate und Matrosen hügelan, hügelab, bis das Meer, ihr Meer sie mit wildem Spiel aufweckte. Weiße Schaumungeheuer fauchten über das dunkle Gewoge, glitten ein Stück von rechts nach links und versanken jäh, und immer neue kamen und schwanden.

      »Die Landzunge ist noch von den Russen besetzt.«

      Immer noch donnerten die Kanonen.

      »Setzt die Karabiner – zusammen!« Die Tornister fielen herab, überschlugen sich. Es war ein süßes Atmen ohne diese Bürde. Es war eine Wonne, sich nun auf unbemessenem, sauberem Boden lang zu strecken.

      Waschkuhn durchkämmte mit gepreizten Fingern den Rieselsand. »Kik mol, du Krät, dat es enn Collerabakzille; ek glow, dat hebbe de krätsche Russe akratz för uns hengeschmäte.«

      Der Mann mit dem gelben Bande der Rettungsmedaille ereiferte sich: »Blödsinn! Eine Bazille ist so lütt, daß man sie ohne Brille überhaupt nicht sehen kann.«

      »Soll das wahr sin, daß das Ubood im Schußfeld unserer Badderien liechd?«

      »Selbstverständlich, sonst würden es doch die Russen sich zurückholen.« Der Tsingtauschorsch schleuderte einen halben Pferdeschädel nach dem Sachsen. Daraus entstand neuer Zwist. Auch die Unteroffiziere bissen sich noch eine Weile. Dann war wieder Waschkuhns Stimme oben: »Mensch, mog di man nich so breet!«

      »Was willst du denn immer von mir, du schwammiges Aas?«

      »Ik war di oldbaksche Gesell glik eent ver'n Frät gewe, schon von wegen dat mit de Collerabakzillen –«

      »Na, willst du mir vielleicht was über Bazillen weismachen? Wo ich acht Monate lang auf Lübeck Sanitätsgast – – –.« Der Disput ward allgemein.

      Glomsda entschied: »Ein Cholerabazillus ist nur durchs Mikroskop erkennbar.«

      »Aber Herr Obermaat! Wo ich doch neun Monate lang Sanitätsgast war, wo wir jeden Morgen die Gonokokken und Bazillen haufenweise mit dem Haarbesen wegfegen mußten – – –«

      »Ein Bolera – – – ein Cholerabaktizillus ist ein Wurm!«

      »Jawohl! So eine Art Tausendfuß.«

      »Sag doch lieber gleich ein Singvogel.«

      »Ruhig mal, ich will's euch genau erklären. Ein Bazill ist kein richtiges Vieh und auch keine richtige Blume – – –« ...

      »Quatsch nicht, Rindvieh!« ... »Au! Du ver ...«

      »Pst! Ruhe! Keine Bolzereien hier.«

      Keltermann begann: »Das ist doch eigentlich sonderbar, daß wir nun plötzlich in Rußland sind, so ganz weit weg von Zuhaus.«

      »Ja Ja!« fiel Olyphant lebhaft und herzlich ein; er hatte zuvor lange schweigsam eine Hummel mit einem rostigen Hufeisen schikaniert. »Daß wir einst mit fremdländischen Mädchen tanzten und nun schon zwei Jahre Krieg erleben, leben, daß Dichter und Maler töten, und heute Bilder und Verse nicht viel mehr als wie Spielzeug gelten; daß gerade ich hier bin, – – – wie sehr sonderbar!«

      »Jawohl, Bootsmaat«, mengte Leibgeris bei, »und daß das Russenschiff hier auf den Schlick gelaufen ist und wir das heimlich nachts wieder flott machen sollen ...«

      Berthold winkte ab, als wollte er sagen: du verstehst mich nicht recht, und fuhr fort: »Dies Land, wo wir sind, ist schön und ergreifend wie ein trauriges Kindermärchen. Und wir zanken hier und hassen einander, als könnte nicht morgen, heute noch der eine oder andere von uns hops gehen –«

      In Glomsdas Gehirn setzte sich auf einmal der Gedanke fest, Bootsmaat Olyphant würde nicht lebend heimkehren. Deshalb fragte er versöhnlichen Tones: »Sie kennen doch die Gegend von Friedenszeiten her?«

      »Ja, ich verlebte zwei Jahre in der Nähe von Goflaz.«

      »Liebet eure Feinde!« zitierte Keltermann auf das Frühergesagte bezüglich.

      »Lieben? De Russen? De Grädze winsche ich den Ludern und Blutblasen an de Finger, damid se sich nich gradzen genn.«

      »Ich liebe zwei Feinde«, sagte Olyphant betonend, »Mußrussen – Russinnen.« Es hörte sich an, als ob er mit eins in eine glückliche Stimmung versetzt wäre. »Heute ist der 11. Dezember 1910. (Alle sahen den Bootsmaaten verblüfft an.) Hier auf den Dünen am Strand liegt Schnee, hoher Schnee. Ich bin ich. Sie, Glomsda, sind Wanjka, und du, Leibgeris, bist Fanjka. Wir drei treue Freunde, wir drei freie, arme, junge Künstler lagern hier im Schnee beisammen, wie Geschwister. Du, Wanjka, ziehst drei Lichter hervor, entzündest sie und steckst sie in den Schnee. Und du sagst: ›So, Berthold, nun laß uns feiern, heute ist bei euch Weihnachten –‹«

      »Ho!« »Da bollern sie jetzt auch.«

      Alle starrten nach der Landzunge. Dort, fast an der äußersten Spitze, zerging ein weißes Wölkchen und erschien gleich darauf ein zweites, rundes Wölkchen.

      Niemand wußte zu Olyphants Worten etwas zu äußern.

      Der Mann mit dem gelben Bande seufzte: »Jetzt ein gebratenes Filetstück mit Knochenmark und Zwiebeln ...«

      »Und mit drei fetten Cholerabazillen darauf«, stichelte der Tsingtauschorsch.

      »Lichter im Schnee«, murmelte Berthold. Ein sausendes, schneidendes Heulen unterbrach ihn.

      »Krietzschlag! Nu ward et Tid, dat wie ons vertörn.«

      »An die Karabiner!«

      »De Golera – – –« Da brach ein fürchterlicher Schreck ein. –

      »Himmlischer Vater, was war das?« fragte jemand leise, entsetzt. Dann sprachen alle gleichzeitig los. Doch nicht alle; drei von den acht sprachen nicht mehr, nie mehr.

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