Joachim Ringelnatz

Gesammelte Erzählungen (Über 110 Titel in einem Band)


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acht Uhr ausdrücklich – – khä – verboten, und Sie wußten, daß Sie vorläufig noch den Militärgesetzen – khä unterstehen ...« Der Admiral hat eine schweratmige, rauhe, sozusagen satte Sprache, die nach Sachlichkeit ringend immer vier, fünf Worte zusammenrafft und dann einen Moment innehält. Da der Admiral heute, wie stets, von Dienstgeschäften gedrängt wird, fällt seine Ansprache kurz aus. »Ich bestrafe Sie also ... in Anbetracht Ihrer bisherigen ... khä ordentlichen Führung nach dem Mindestmaß ... mit einem strengen Verweis ... Es hat sich also herausgestellt, ... daß Sie in dem Spionage – khä Affäre ... gut aufgepaßt haben ... Wie Sie das – khä angedreht haben ... bleibt mir freilich ...«

      »Nu, Herr Admiral, wir Blinden hamm ä'm de Oochen in d'n Ohren.«

      »Reden Sie nich, wenn Sie nicht gefragt sind ... khä – Sie haben das Glück gehabt ... Gelegenheit zu haben, Ihre Pflicht zu tun ... und durch Opfer dem Vaterlande ... khä gute Dienste zu erweisen; ... Ich beneide Sie darum ... Bilden Sie sich aber nichts drauf ein! ... khä Seine Königliche Hoheit hat geruht ...«

      Flaggenparade

       Inhaltsverzeichnis

      Spät hatte V 133 angelegt. Es schickte sich zum Schlafen an, wurde still und klappte ein Auge nach dem anderen zu, das heißt: seine farbigen Lichter erloschen nacheinander. Nur am Fallreep pendelte nunmehr eine weiße Lampe. Als noch ein Urlauber an Land eilte, musterte ihn der Posten im Scheine dieser Laterne etwas neidisch, doch nicht ohne aufrichtige Bewunderung. »Ah, Bootsmaat Dauke. Schlenk – Kulani – Scharfmacherstrümpfe. Selbstverständlich Kurs: Chausseekrug.«

      Ja, ihr Aktiven, ihr habt den Bogen raus. Alle tragen sie diesen Kulani aus seidigem Stoff, Handschuhe in der Flosse, in der Mütze den gewissen Kniff, und alles an ihnen hat Schmiß, was sie »schlenk« nennen. Lauter junge, blühende Burschen; aber im Dienste jederzeit fix auf Posten, verteufelte Draufgänger. Und wenn sie an Land gehen, laufen ihnen die Weiber zu wie das Deckwasser dem Speigatt. – Da dockt er sich nun jede Freizeit im Krug ein und legt einen bigwonschen Speech bei der dicken Alma an und klönt und klönt. Na, und sie ist ein sauberes Weibstück, und der Alte hat Koks. Dabei seine treuherzige Art – ich wette zwei Dekaden –

      Willy Dauke rief ein leeres Privatgefährt an, das gleicher Richtung fuhr, und erhielt Erlaubnis, mit aufzusitzen. »Mein Herr ist auch im Krug mit noch einem; die haben heute einen Abstecher gemacht, ich bin auf sieben Uhr hinbestellt. – Was hast du in dem Tuch; das lebt ja?«

      »Einen Aal, für Bades Alma.«

      »Aha, der Dicken. Da willst du also mit dem Aal nach der Speckseite werfen?«

      »Nix zu wollen.« Dauke winkte ernstlich unwillig ab. »Das ist ein anständiges Mädchen; wir sind so halbwegs verlobt.« –

      Zahnarzt Dr. Welke und sein Freund Emmerich waren angenehmst überrascht, in dem abgelegenen Chausseehaus so vorzüglichen Wein anzutreffen. Sie hatten die Tochter der Wirtin an den Tisch und in eine Unterhaltung genötigt, die sich rasch amüsant und zutraulich gestaltete. Alma Bade besaß die Unbefangenheit und den gesellschaftlichen Halbschliff, welche simple Wirtsleute im Verkehr mit den Gästen sich aneignen, außerdem trotz ihrer auffälligen Korpulenz eine natürliche, kokette Grazie, und ihre gesunde, häusliche Heiterkeit tat den Lebemännern wohl. War auch dem kränklichen Emmerich sein Behagen nicht recht anzumerken, so blieb der Doktor dafür mit den launigsten Einfällen auf der schiefen Ebene.

      Obwohl beide das Mädchen gern nahmen, wie es war, versagten sie sich doch nicht hin und wieder das eitle, billige Vergnügen, ihr zu imponieren, etwa durch die deplacierte Anrede »Gnädiges Fräulein« oder durch irgendeine Galanterie aus höherer Etikette.

      »Ich hatte einmal Petrusen einen hohlen Zahn gezogen. Aus Dankbarkeit trug er mich in den Himmel, ergriff eine riesige Zange und ließ hunderttausend bildhübsche Frauenzimmer antreten. ›Betrachte sie!‹ sagte er. ›Welche Nase gefällt dir am besten?‹ Ich deutete auf ein edel geschnittenes Näschen. Sofort knipste Petrus die Nase mit der Zange ab. ›Welche Augen gefallen dir am besten?‹ Ich suchte zwei entzückende dunkle Augen aus. Knips! hatte Petrus sie abgezwackt und jener Nase beigefügt. So hieß er mich eins ums andere, Stirn, Haare, Ohren und alle Gliedmaßen auswählen, knipste sie ab und baute daraus eine berauschende ideale Venusgestalt. Die stellte er auf eine silberne Platte und reichte sie mir mit den Worten: ›Nimm sie zur dauernden Freundin, zeige ihr die Wunder der Wissenschaft, lehre sie die heiligen Künste verehren, führe sie in die hohe Gesellschaft; sie werde eine Königin.‹ Aber – sei es, daß der Präsentierteller etwas schlüpfrig war – kurz: das holde Wesen klitschte herab und fiel aus dem Himmel. Ich ließ mich sogleich zur Erde tragen und suchte meine Venus, in Berlin und in London, in Paris und Taschkent. Und was meinen Sie, Gnädige, wo ich sie endlich fand?«

      »Nun, in Ihrer Frau.« Alma freute sich, die Pointe der Geschichte versperrt zu haben.

      Man hörte draußen einen Wagen knirschen und Menschenstimmen. »Das ist dein Wagen, Doktor.«

      »Meinetwegen. Ich bleibe hier, bis Tokio Vorstadt von Rostock oder bis Berlin englisch wird.«

      »Sie müssen etwas ganz besonderes Freudiges erlebt haben, da Sie so vergnügt sind. Oder freuen Sie sich so, daß Sie nicht Soldat zu spielen brauchen?«

      »Es ist nicht meine Schuld, wenn ich's nicht spielen darf«, sagte Welke, jählings ernst, resigniert. Herr Emmerich fiel rasch ein: »Er hat heute höchst feudal bei einem dicken Botschafter gegessen und getrunken.«

      Der Doktor nickte, wieder lächelnd, klang sein Glas an dasjenige Almas und sah ihr lange, begehrlich in die Augen. »Lauter Speisen, die einen göttlich anlachten, Weine, die wie Sonnenschein schmeckten.«

      »Ja, Sie haben es gut.«

      »Gewiß, ich habe es gut, und ich schäme mich deswegen nicht. Denn bei mir geht's Gott sei Dank ohne unlautere Geschichten – sogar besser als im Frieden. Da kann man sich schon hier und da eine Schlemmerei leisten. Heute bin ich besonders gut aufgelegt. Nur zweierlei fehlt mir noch, mein Glück komplett zu machen ...«

      Polterig sprang die Tür auf. Ein adrett gekleideter, heißwangiger Matrose, das schwarzweiße Band im Knopfloch, trat wohlgemut mit lautem »Guten Abend« ein; es klang wie: »Was kostet die Welt?«

      »Guten Abend!« »Guten Abend!«

      »Wie? Du?« fragte Alma mit wenig schmeichelhaftem Erstaunen. »Ist hundertdreiunddreißig schon eingelaufen?«

      »Jawoll! – Fang auf!« Der Matrose warf dem Mädchen etwas zu, was sie erhaschte, aber sofort mit einem Schrei des Entsetzens wieder fallen ließ. Auf dem Tische, zwischen den Weingläsern ringelte sich ein Aal, dessen blutendes Maul das saubere Linnen rot befleckte.

      »Pfui! So ein richtiger, gemeiner Matrosenwitz«, schalt Alma empört.

      »Der beißt nicht.« Der harmlose Dauke lachte tüchtig. Er nahm rechts neben Alma Platz, und als der links von ihr sitzende Doktor sowohl als auch Herr Emmerich sich verbeugend Namen nannten, nickte der Maat nur flüchtig verlegen, wohl weil ihm das Gefühl kam, irgendeine Höflichkeit versäumt zu haben. »Einen steifen Rum, Almchen. Ich mußte bis an die Knie ins Wasser waten, weil das Biest die Schnur zerrissen hatte.«

      »Dürfen wir Sie einladen?« Herr Welke tippte an die Flasche. »Bitte noch ein Glas, gnädiges Fräulein, und etwas für den Appetit.«

      Emmerich betrachtete den Aal. »Machen Sie ihn doch tot; er hat ja noch den Angelhaken im Maul. Abscheuliche Quälerei.« Und Emmerich stand auf, um den auf der Schwelle wartenden Kutscher zu sprechen.

      »Willy, hörst du denn nicht? Du sollst den Aal schlachten. Aber in der Küche.«

      »So ein Vieh hat kein Gefühl wie unsereins«, meinte Dauke; aber er trug den Aal hinaus. Alma folgte ihm, um neuen Wein zu holen.

      Die zurückbleibenden Freunde wechselten Blicke. »Er ist ihr Galan«, flüsterte Emmerich, an den Tisch zurückkehrend.

      »So?