Joachim Ringelnatz

Gesammelte Erzählungen (Über 110 Titel in einem Band)


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      »Hm, wo nur Emil heide bleibd?«

      »Erwarten Sie jemanden?«

      »Ja, mei Freund wolde mich abholen.«

      Das gemahnte an die vorgerückte Stunde. Die Damen empfahlen sich mit freundlichen Wünschen für den Matrosen.

      »Freileins«, rief der ihnen nach, da sie einige Schritte gegangen waren. Sie blieben stehen. »Wie?«

      »Nu, 's is schon kud, kude Nachd!«

      »Gute Nacht!« »Gute Nacht!«

      »Ooder hm – wenn Se vielleichd – ...«

      »Was will er noch?« »Ja? – Herr Fritsche?«

      »Mei Freind scheint nämlich nich mehr zu gomm ...«

      »Haben Sie noch etwas auf dem Herzen?«

      »Ja, wenn Se so giedlich sein wolln und de Freindlichgeet hädden, mich bloß ä Schdickchen, bloß ans Geländer om zu bringen; ich bin nämlich ä Bißchen malado uff de Oochen.«

      »Was sind Sie?« – »Ach so, Sie – Sie sehen nicht gut. Selbstverständlich. Friedl, gib mal dein Feuerzeug. Seien Sie unbesorgt, es bemerkt Sie niemand.«

      Durch die Nacht tönte das Rackern des Rädchens am Feuerstein. Beim aufflammenden Lichte blinzelten die Mädchen neugierig nach dem Matrosen hin, der sich halb erhoben hatte, so daß er nun vor ihnen kniete. Ihre übereinstimmenden Blicke begegneten einander. Friedl sagte leise zu Mirzln, aus trockener Kehle heraus: »Er ist blind.«

      »Das wollen wir schon kriegen, lieber Fritsche. Geben Sie mir mal Ihren Arm. Friedl, geh auf die andere Seite. So. – Jedenfalls waren wir recht gemütlich beisammen. Gelt, Herr Fritsche? Ich heiße Mirzl Schwesterling und meine Freundin Friedl Mahler. – Wollen Sie nicht ein Butterbrot bei uns – ach, Sie haben keinen Urlaub? Schade. Dann bringen wir Sie jetzt in Ihr Quartier und morgen abend treffen wir uns hier wieder.« – –

      Andern Tages, im Hotel, beim Kaffee teilte Mirzl ihr Erlebnis dem Admiral und seiner Tischnachbarin, der Frau van Huissen – (mit dem Echo) mit. Der Admiral bemerkte nichts dazu, sondern eilte nach einer korrekten Verbeugung fort. Er hatte heute noch eine Bootsdivision und ein Lazarett zu inspizieren, eine Rekrutenvereidigung zu leiten und einer Gerichtsverhandlung in der Stadt beizuwohnen, ferner ein Gutachten abzugeben und den Erlaß betr. Butterzulagen für die F.P.K. zu prüfen. Außerdem mußte er sich den neuen Flugmotor vorführen lassen und abends eine Rede halten – abgesehen von den laufenden Geschäften. Dagegen äußerte die Echodame starkes Mitleid für den Sachsen. »Wenn Sie gestatten, schließe ich mich abends Ihnen an, Fräulein Schwesterling, und bringe ihm eine Tafel Schokolade mit.«

      Sie fanden Herrn Fritsche zur Dämmerzeit am alten Platze, ohne Zweifel über ihren Besuch höchst erfreut. Friedl Mahler war allerdings nicht erschienen und ließ nur herzliche Grüße nebst einer Schachtel Zigaretten durch Mirzln übergeben. Der Sachse lehnte jedoch sowohl die Zigaretten als auch die Schokolade der Echodame ab. Er fing an, nach seiner Weise sehr aufgeräumt zu plaudern. Das teilnahmsvolle Interesse der Echodame für alles Maritime und Mirzls Lachlust rissen ihn zu ausführlichen, oft mit reichlich derben Anekdoten ausgeschmückten Schilderungen hin, und er gab auch ungeniert über seine persönlichen Verhältnisse Auskunft.

      Man hatte den sechsundzwanzigjährigen Matrosen, nachdem er wochenlang im Lazarett gelegen, zur Erholung ins Seebad geschickt, wo er mit einem zu seinem Beistand abkommandierten Sanitätsgast verweilen sollte, bis die Fragen seiner endgültigen Entlassung, seiner Pensionsansprüche usw. geregelt wären. Und es war für ihn von militärischer wie von zivilbehördlicher, außerdem noch von privater Seite wohlwollend und ausreichend gesorgt. Über seine bereits unterrichtete Frau äußerte Fritsche, sie würde ihm auch ferner treu bleiben, und »im Dunkeln is gerade kud munkeln«. Er spricht heiter, bescheiden, ohne Sentimentalität von der Zukunft und mit hübscher Begeisterung von seinem bisherigen Marineleben. Es ist sein heißer Wunsch und er hofft, »ooch ohne de Oochen noch ämal was fiersch Vaderland zu machen«. Der Prinz hat allerdings zu ihm gesagt: »Fritsche, Se ham Ihre Schuldichgeet gedahn.«

      Während der Unterhaltung horcht der Sachse auf alle nahen und fernen Geräusche und erklärt sie laut. Sein Unterscheidungsvermögen setzt die Damen in Erstaunen. »Das sin ungefähr zwanzich Infandrisden« – »Das wird Haubdmann Brunner uff seiner Fuchsschdude sein« – »Ja, meine Freileins, wir Blinden hamm ä'm die Oochen in d'n Ohren.« –

      Es will aber Mirzln doch bedünken, als ob der Sachse sich nicht so unbefangen gäbe wie tags zuvor. Auch wird er nach und nach wortkarger. Dann unterhalten sie ihn, lustig, vertraulich, jede auffällige Schonung vermeidend; und er hört zu.

      Bis spät. Bis Fräulein Schwesterling sich verabschieden muß. Frau van Huissen wird noch bei Herrn Fritsche bleiben und ihn auch heimgeleiten. Sie dringt, als Mirzl fort ist, nochmals in ihn, den kleinen Schokoladenspaß nicht zurückzuweisen. »Nee, ich nähme geene Geschenke nich.«

      Sie bittet den Sachsen, ihr einmal genauer solch großes, neues Torpedoboot zu beschreiben. Jedoch er lenkt ab und scheint ihr ernster – traurig geworden. So erzählt sie ihm von Offizieren, die sie im Seebad kennengelernt hat, und von anderem und reizt ihn dabei manchmal zu Gegenbemerkungen. Aber seine Antworten klingen jetzt müde oder zerstreut. An seinem Atem oder irgendworan erkennt sie, daß er noch immer wie erwartungsvoll in die Umgebung lauscht.

      Und auf einmal streicht ihre kleine, mit Sammetleder bekleidete Hand über seine Wange, und die berühmte, anmutige Stimme mit dem unbeschreiblichen, glockenhaften Nachhall fragt: »Wissen Sie denn auch, Herr Fritsche, daß ich eine schöne und reiche Dame bin?«

      »Ja«, erwidert er trocken und wehrt unhöflich ihre Hand ab.

      »Gommd da nich ä Offizier? Ä Soldat?«

      »Es ist dunkel, Herr Fritsche. Wenn er die Laterne passiert, wird sich's herausstellen. Aber haben Sie keine Furcht. Niemand bemerkt Sie hier und – ja, es ist Leutnant Daniel.«

      »Gä'm Se mir mal Ihre Hand«, flüstert der Sachse. Er ist lächerlich ängstlich erregt.

      »Pfui, wie kann ein Soldat solche Angst haben. – Au! Au! Was machen Sie denn? Sie tun mir doch weh!«

      Er hat ihr Handgelenk mit seinen zehn groben Fingern schmerzhaft fest umklammert und an sich gezogen.

      »Lassen Sie doch los! Au! Lassen Sie los, oder ich schreie!«

      Er sagt kein Wort. Er hält krampfhaft fest.

      »Au! Ich werde um Hilfe schreien. Ich schreie!« – Er hält fest.

      »Fritsche! – Robert! Sei lieb zu mir!« – Er hält eisern fest. Sie schlägt ihn mit der freien Hand ins Gesicht. »Hilfe! Hilfe!« Sekunden danach reißt der Schein einer Taschenlampe die Gruppe aus dem Dunkel.

      »Um Gottes willen, befreien Sie mich von dem Menschen.«

      »Was ist denn los? Wollen Sie sofort die Dame loslassen, Kerl!«

      »Nee, Herr Leidnand«, schreit Fritsche laut. Sein Sächsisch wirkt in dieser Stärke abscheulich roh, »nee, ich lasse nich los. Die Frau is eene Schbionin; ich habe de Beweise.«

      »Was bin ich? Er ist wahnsinnig. Ich setzte mich zu ihm, weil er blind ist – au! au! Helfen ...«

      »Lassen Sie augenblicklich los, frecher Bursche! Ich kenne die Dame ...«

      »Nee, se muß uff de Wache, se darf nich endwischen ...«

      »Herr Leutnant, bitte hei ... au ... Hilfe! Hilfe!«

      »Was fällt Ihnen ein? Ich befehle Ihnen – ich bürge – lassen Sie los, oder ich ...« Er läßt los. Mehrere andere Personen sind inzwischen herbeigeeilt.

      »Gnädige Frau, wie peinlich! Ich werde den Kerl exemplarisch bestrafen. Ich bin natürlich überzeugt; ich kenne Sie doch genau – aber – meine Pflicht als Soldat – vergeben Sie! – die Form –. Wir werden das auf der Wache im Nu klarstellen. Der Kerl wird eingesperrt –.«

      »Pardon,