Joachim Ringelnatz

Gesammelte Erzählungen (Über 110 Titel in einem Band)


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und er ließ sich nicht lange zureden, fing auch alsbald über seine Vorpostenfahrten zu plaudern an. Ein dänischer Dampfer voll Bannware gekapert. Beinahe auf Minen geraten. Sturm. Mit Vorliebe hielt er sich bei Anekdoten und Schilderungen auf, die Essen und Trinken betrafen, nicht merkend, wie gerade das übrige die feinen Herren interessierte und fesselte. Es störte ihn auch nicht sonderlich, daß seine Freundin für seine Erzählungen wenig übrig hatte; ihr wurden täglich Bordneuigkeiten von Marinern überbracht. Der übermütige Doktor wußte zudem auf geschickte Weise jeglicher Auseinandersetzung zwischen Fräulein Bade und Herrn Dauke vorzubeugen.

      Aber doch rückte er geflissentlich seine blasse, mit einem Funkelring geschmückte Hand neben die grobe, blaurote Tatze des arglosen Seemanns. Als dieser mehr und mehr weinbegeistert das Flaggenlied mit Mandolinenbegleitung freimütig zum besten gegeben hatte, öffnete der Zahnarzt das Klavier und trug raffiniert Chopins Fantasie Impromtu und die Lisztsche Rhapsodie vor. Es entging ihm nicht, wie Almas Blicke beobachteten und verglichen. Nur zu oft fing er diese Blicke auf, anscheinend bescheiden, aber gleichzeitig schürend und verheißend.

      Bei aller Trunkenheit doch der Urlaubsgrenze eingedenk, erhob sich Dauke endlich. Die zwei Zivilisten bestanden darauf, ihn im Wagen bis an sein Schiff zu fahren. – – –

      Bei nächstem Sonnenuntergang qualmten vier Torpedoboote im Hafen. Vier ausgefranste deutsche Heckflaggen flatterten westwärts aus. Nun stieg zwischen den Masten auch noch ein gelber Wimpel in den Wind. Und ein Kommando erscholl weithin vernehmbar: »Zurrr Flaggenparade!«

      Von der Chaussee her näherten sich armverschlungen ein Herr und eine Dame. Die betrachteten aus bequemer Entfernung die grauen, von Ruß und Kohlenstaub entstellten Schiffe, ihre finsteren Maschinen und das arbeitsame Treiben der Matrosen an Bord.

      »Dort!« Die Dame deutete auf einen Mann, der auf dem Achterdeck des vordersten Bootes aus Leibeskräften einen geschützverschluß abschmirgelte. Dauke. Er, der sich am Abend zuvor so schneidig präsentiert hatte, steckte nun in einer schmierigen, schlotternden Takelkleidung.

      Dr. Welke lächelte, Alma lachte. Der Matrose schaute auf, erkannte die beiden und wollte sich, offenbar beschämt, abwenden. In diesem Moment ertönte, schreckend wie eine Himmelsstimme, ein zweites Kommando: »Nieder!«

      Nun auf allen Fahrzeugen gleichzeitig die Flagge niedergeholt wurde und alle Leute an Deck von da aus, wo sie sich gerade befanden, ihr stramm salutierten, nahm auch Dauke vor der sinkenden Flagge seines Schiffes eine straffe, militärische Haltung an. Und nun das glutige Gefolge der Sonne seine trotzige Miene und seinen schmutzigen Anzug vergoldete, meinte Welke, nie ein treueres und ergreifenderes Soldatengesicht geschaut zu haben. –

      Alma begriff nicht, warum der Doktor auf dem Rückwege mit eins so verstimmt war, warum er sie, im Krug angelangt, mehr abgab, als daß er sich von ihr verabschiedete.

      Ohne ein Wiedersehen mit ihr vereinbart zu haben, wanderte er nach kurzem Gruß den fast doppelstündigen, einsamen Weg zur Stadt.

      Nach zwei Jahren

       Inhaltsverzeichnis

      »Mohammed ist ausgegangen«, sagte der Kantinier bedauernd.

      »Hm, Mohammed ist ausgegangen«, wiederholte ich brummig und dachte mich dabei orientalisch. Ich nahm irgendwelchen Ersatz, der aber nichts taugte. Gestern zum Abendbrot hatte ich einen Ersatz für Leberwurst genossen, der wie Wolle schmeckte.

      Bis Zapfenstreich spielte ich Schach oder schlug Fliegen tot mit einer lächerlichen, aus einer Brandsohle und einem Stück Kleiderbügel hergestellten Klatsche. Krieg und kein Ende.

      Denke Dir: Eine Hoffnung tat sich mir auf, endlich aus diesem trostlosen Mauerleben hinter der Front zu einer, wie wir's nennen, »dicken Sache« zu gelangen, zu einer schön gefährlichen Unternehmung. Selbstverständlich G.G. (ganz geheim). Aber ungefähr galt es, hier ins Meer zu springen, im Londoner Hafen plötzlich aufzutauchen, dem Lordmayor den Hut vom Kopfe zu reißen und damit wieder zu verschwinden. Ich meldete mich als Erster, diesmal direkt beim Kompanieführer. Der wies mich mit dem faden, gewiß schwer zu widerlegenden Kriegsschlagwort ab: Jeder hat da seine Pflicht zu erfüllen, wo er hingestellt wird. Seitdem verfolge ich diesen nüchternen, trockenen Offizier im geheimen mit Haß und Verachtung, wobei ich etwa die Rolle eines Mannes spiele, der ein loderndes Brandbündel vorstreckend gegen den Wind angeht.

      Ach, ich bin voller Bitterkeit und Überdruß und ruhelos. Ich renne mit einem bösen Gesicht die hallenden Korridore entlang, reiße jede Tür auf und werfe sie wieder zu, ohne die Schwelle überschritten zu haben, weil mir nichts einfällt, was ich dort suchen könnte. An Sonntagen irre ich im Park von Ritzebüttel umher, lagere mich an einem buschüberhangenen Teich, worin Goldkarpfen als zinnoberrote Striche durch Binsengrün streifen. Aber meine Sinne gleiten ab von den Märchenbildern. Ich habe kein Herz mehr, ich habe eine Kasernenuhr in der Brust – Herzersatz. Wirre, windelweiche Gedanken entziehen mich der Ruhe wie der Arbeit, vornehmlich vier Erinnerungen, die gleich Windmühlenflügeln mir immer von neuem vorbeisteigen. Das sind die Brüsseler Bibliothek und eine Schar Kinder. Und ich habe einmal die Feier eines kleinen Friedens miterlebt, in Boston in England. Da umarmten sich öffentlich Menschen, die einander fremd waren, und tanzten auf dem Pflaster; musizierende Banden querten die Stadt, Gassenbuben krakerten allerwärts mit Feuerwerk – die Ziegelsteine sangen vor Glück.

      Und besinnst Du Dich, ich meine so schwärmerisch wie ich, auf unser Außerweltsein bei den gesprächigen Frühstücken in Borkes Garten? Auf die Austern und Kürbisse? Auf das komisch feige Hühnervolk mit den kinoartigen Bewegungen?

      Übrigens, damit ich's nicht vergesse: Sollte in Breslau noch Seifenpulver ohne Karte zu kaufen sein, so besorge mir bitte ein Postpaket davon. Füge auch neue Lektüre bei (Detektivgeschichten – einen billigen Faust).

      Kurz aber überschwenglich teilte ich bereits mit, daß ich zwei Tage voriger Woche dienstlich in Brüssel weilte, einer Stadt, wo man noch heute tanzt und lacht und läuft wie Anno 1913 in Breslau – oh nein, in Paris.

      Habe ich das genossen! Bruxelles! Dort rauschte zwischen schroffen, imponierenden Ufern der Strom modernen Menschenvertragens. Lustwandelnde und Geschäftsgänger, Wallonen, Deutsche und Flamen, Zeitungsschreier; im Gewoge treibend eine lange, hübsche oder aparte Girlande von unbestreitbar berückenden Kokotten; und, über das Ganze verteilt, die straffen, grauen, bescheidenen Sieger. Meine blaue goldstrotzende Obermaatenjacke wirkte über die Maßen auffallend. Ich schwelgte in dem Ansehen, das sie mir lieh, und betrug mich in allen Situationen ausgesucht chevaleresk, aus Eitelkeit, darein sich ein Quäntchen Triumphgefühl mengte, einem tückischen Feinde gegenüber, der auch bezwungen noch unsere Rücksicht mißbraucht, hinterm Rücken unserer Offiziere höhnt und mich mehrmals durch vorsätzlich falsche Auskünfte fehlwies.

      Von meinem Abenteuer am Gare du Nord, von herrlichen Bauten, die ich geschaut, mag unser nächstes Wiedersehen, so Gott es gibt, behaglich plaudern. Du hättest dabei sein sollen, wie ich mit umgeschnallter Pistole und Entermesser mich als deutsche Marineessenz der Rue Neuve zeigte. Ich trank auch, mich gegen Brüsseler Zauber zu feien, braven Pfälzer, auf Deine Gesundheit. Und zu anderer Stunde in einem stockbelgischen Restaurant beobachtete ich im sanften Lichte eines teuren Chablis, wie die Besten die Schande ihres Landes tragen. –

      Duftige Schauläden, seltenen Blumenbeeten vergleichbar, hatten mich vom Place Royal in das Spitzenviertel gelockt, unversehens befand ich mich der Bibliothek gegenüber. Du nickst lächelnd – ja, ich stieg wie tausendmal im Heimatlichen vom Vestibül über steinerne Stufen zum Lesesaal empor. Oben zögerte ich einen Moment, weil ich bemerkte, daß ein Angestellter Einlaßkarten abforderte. Nun tat es mir wohl, als dieser belgische Beamte, meine Unschlüssigkeit erratend, mir durch eine ernste aber ungemein höfliche Verbeugung Einlaß gewährte. Warum es mich doch so seltsam verwundern konnte, alles wie bei uns zu finden?! Ein andächtiger, lichter Saal, ringsum die Repositorien voll ewiger Früchte, auf den Bänken, über die Tische gebeugt, still nach Wahrheit oder Klarheit grabende Männer, viele interessante Köpfe darunter. Einige dieser Arbeiter blickten nach mir auf, vertieften