Viola Maybach

Der kleine Fürst Staffel 6 – Adelsroman


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Situation ab, die ihr nicht behagt.«

      Da Friedrich keine Einwände erhob, griff Sofia also zum Telefon, ließ sich mit Bettina verbinden und sprach ihre Einladung aus.

      »Das muss Gedankenübertragung sein, Sofia!«, rief Bettina. »Ich habe gerade überlegt, ob wir nicht ein paar Tage zu euch fahren sollten, die Zwillinge und ich.«

      »Du bist hier jederzeit herzlich willkommen, Tina. Wie war übrigens dein Vortrag?«

      »Er war ein Erfolg, glaube ich. Der Saal war voll, die Diskussion hinterher verlief sehr lebhaft, und ich hörte, dass viele Spenden eingegangen sind.«

      »Wie schön für dich!«, freute sich die Baronin. »Also, wann kommst du?«

      »Nächste Woche? Ein paar Dinge habe ich hier noch zu erledigen, aber danach denke ich, wäre es für uns alle gut, wenn wir uns mal einige Tage nicht sähen. Mama wäre bestimmt froh darüber. Wenn wir unter uns sind, ist alles in Ordnung, da denke ich, sie hat sich irgendwie mit der Situation abgefunden. Aber sobald hier jemand von außerhalb auftaucht, wird sie nervös und unausstehlich. Jeden Besucher verdächtigt sie mittlerweile, spionieren und Gerüchte in die Welt setzen zu wollen. Ich meine, bei Gräfin zu Stabenow verstehe ich das, aber die Welt besteht ja nicht nur aus Klatschtanten.«

      »Lass ihr noch ein bisschen Zeit«, riet die Baronin. »Ruf noch einmal an, wann genau wir euch erwarten dürfen, Tina.« Zufrieden kehrte sie zu ihrem Mann zurück. »Sie kommt nächste Woche, Fritz.«

      »Fein«, erwiderte der Baron. »Und jetzt entschuldige mich bitte, Liebste, ich muss mich noch mit Herrn Hagen treffen, er möchte ein paar Probleme mit mir besprechen.« Volker Hagen war der Verwalter von Schloss Sternberg.

      Friedrich küsste seine Frau zum Abschied und eilte davon.

      Sofia blieb nachdenklich zurück. Was Bettina über ihre Mutter gesagt hatte, klang nicht ermutigend. Wie lange wollte Alexa denn noch mit ihren Enkelkindern hadern?

      *

      »Das war ein tolles Essen – und ein schöner Abend, Lili«, sagte Moritz.

      »Das finde ich auch.«

      Wie hübsch sie war, wie verführerisch! Ihm stockte der Atem, wenn er sie bloß ansah. Er nahm all seinen Mut zusammen und fragte: »Sehen wir uns wieder?«

      Sie betrachtete ihn nachdenklich. »Du bist in Wirklichkeit ziemlich schüchtern, nicht?«, fragte sie.

      »Was meinst du mit ›in Wirklichkeit‹?«

      »Na ja, du wirkst auf den ersten Blick eigentlich nicht so, aber wenn man dich näher kennenlernt, dann merkt man das.«

      »Und es stört dich?«

      »Nein, im Gegenteil. Ich mag Draufgänger nicht so gern – davon habe ich in meinen Klassen genug. Du weißt schon, so Sechzehn-, Siebzehnjährige, die mal ausprobieren, wie es ist, wenn sie sich wie ›richtige Männe‹’ benehmen.«

      Er musste lachen. »In dem Alter war ich auch schrecklich«, bekannte er. »Aber das gehört einfach dazu, glaube ich.«

      Sie nickte. »Ich kann ganz gut damit umgehen«, meinte sie. »Es gibt Kolleginnen von mir, die haben richtig Angst, solche Klassen zu unterrichten, mir geht das zum Glück nicht so.«

      »Lili?«

      »Ja?«

      »Ich … ich glaube, ich habe mich in dich verliebt.«

      Sie lächelte ihn strahlend an, ohne etwas zu sagen, was seine Verwirrung noch verstärkte.

      »Warum sagst du nichts?«

      »Muss man denn immer reden?«, fragte sie leise.

      Endlich fiel bei ihm der Groschen. Er stand auf, ging zu ihr und schloss sie in die Arme. »Manchmal brauche ich eben ein bisschen länger«, sagte er entschuldigend, bevor er sich zu ihr hinunterbeugte und sie küsste.

      Lili lag weich in seinen Armen, ihre Lippen öffneten sich bereitwillig. Ihm schoss die Frage durch den Kopf, ob es schon jemals einen Menschen gegeben hatte, der so glücklich gewesen war wie er in diesem Augenblick.

      Er hielt das für ausgeschlossen.

      *

      »Guck mal, wer da kommt!«, sagte Anna. »Gräfin zu Stabenow!«

      »Sie ist garantiert wegen Tina und den Zwillingen hier«, meinte der kleine Fürst. »Du kennst sie doch: Wenn sie irgendwo eine Geschichte wittert, lässt ihr das keine Ruhe.«

      »Du meinst, sie hat gehört, dass wir mit Alexa in Frankfurt waren, um Tina abzuholen?«

      »Klar meine ich das. Weshalb sollte sie sonst hier aufkreuzen.«

      Sie wechselten einen kurzen Blick, dann eilten sie zum Schloss zurück. Togo, Christians junger Boxer, bellte empört. Für seinen Geschmack war es viel zu früh, um den interessanten Spaziergang bereits abzubrechen. Hatte er nicht erst vor kurzem zwei ganze Tage auf sein Herrchen verzichten müssen?

      »Komm schon, Togo«, sagte Chris­tian. »Wir gehen nachher noch einmal mit dir raus, versprochen. Aber jetzt müssen wir Tante Sofia helfen, mit der Gräfin fertig zu werden!«

      Doch als sie das Schloss betraten, erlebten sie eine Überraschung: Eberhard Hagedorn teilte der Gräfin liebenswürdig mit, dass die Baronin zu Bett liege und daher keinen Besuch empfangen könne. Auch der Herr Baron sei leider nicht zu sprechen.

      »Guten Tag, Gräfin zu Stabenow«, sagte Anna höflich. »Wir haben uns vielleicht auch schon angesteckt, deshalb geben wir Ihnen vorsichtshalber nicht die Hand.

      »Angesteckt?«, rief Irina zu Stabenow erschrocken. »Womit denn, um Himmels willen?«

      Christian wollte bei dieser hübschen Lügengeschichte nicht zurückstehen und erwiderte ernst: »Das wissen wir noch nicht, es wird noch untersucht.« Er wandte sich an den alten Butler. »Wie geht es Tante Sofia denn jetzt, Herr Hagedorn? Bei ihr hat es ja mit Übelkeit und Erbrechen angefangen. Ich glaube, bei mir ist es jetzt auch so weit. Ich … mir ist schon ganz übel.«

      »Ihr gehört in Quarantäne! Es ist unverantwortlich, dass ihr frei herumlauft und eure Krankheitserreger überall verteilt!« Die Gräfin strebte bereits wieder der Tür zu, wobei sie sich ängstlich eine Hand vor den Mund hielt, um nur ja nichts Schädliches einzuatmen. »Na ja, wahrscheinlich ist das alles auf den Kontakt mit diesen Babys aus dem Urwald zurückzuführen!« Nach dieser letzten Bemerkung drehte sie sich um und verließ, wie von Furien gehetzt, das Schloss.

      Anna und Christian hatten Mühe, nicht laut loszulachen, während Eberhard Hagedorn nur zufrieden in sich hineinlächelte.

      Gleich darauf ließ die Baronin vernehmen: »Ist sie weg, die alte Giftspritze?«

      »Jawohl, Frau Baronin«, antwortete Eberhard Hagedorn, bevor er sich an Anna und Christian wandte: »Danke für die Unterstützung, Prinz Christian und Baronin Anna. Dadurch hat die Geschichte noch mehr Glaubwürdigkeit gewonnen. Ich glaube, die Gräfin hatte nicht den geringsten Zweifel, dass wir die Wahrheit sagen.«

      »Danke!«, sagte nun auch Sofia. »Danke, dass ihr alle für mich gelogen habt, aber ich hätte die Gräfin unmöglich empfangen können. Wenn sie das nächste Mal kommt, werde ich ihr deutlich sagen, was ich von ihr halte, aber heute erschien mir das ungeschickt.«

      »Wieso denn, Mama?«, erkundigte sich Anna verwundert. »Du sagst doch sonst immer allen Leuten ins Gesicht, was du von ihnen denkst.«

      »Das Problem ist nicht die Gräfin, sondern Tina«, erklärte die Baronin. »Ich möchte ihr nicht schaden – und ich wäre mit Sicherheit unfreundlich geworden, wenn ich jetzt mit Irina zu Stabenow gesprochen hätte. Und wie ich sie kenne, hätte sie das nur zum Anlass genommen, noch mehr Gerüchte über Tina in Umlauf zu setzen.«

      »Noch mehr?«, fragte der kleine Fürst.

      »Ja«, bestätigte Sofia mit düsterem Gesicht. »Sie hat keine Zeit verloren, die alte Klatschbase. Damals, als Tina weggegangen